Lackner, Herbert
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Gesellschaft | Debatte

Zur Rolle der Intellektuellen

Appelle, Romane, Theaterstücke: wie weit geht der Einfluss der Künstler und ihrer Werke? Auch darum geht es im letzten Buch von Herbert Lackner.

Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle sind die Protagonisten eines sehr interessanten Buches des österreichischen Journalisten Herbert Lackner: “Als die Nacht sich senkte. Europas Dichter und Denker zwischen den Kriegen – am Vorabend von Faschismus und NS-Barbarei”, Wien 2019. Interessant deshalb, weil es nicht so sehr aus ihren Werken, sondern aus Quellen wie Tagebücher, Briefe, Erinnerungen, Berichte, überlieferte Bemerkungen usw. zitiert und uns so einen Einblick in ihre unmittelbaren Wahrnehmungen der damaligen Geschehnisse gibt. Heute wissen wir, wie es ausging; aber was dachten die „Dichter und Denker“ damals?

Man kann ihnen nicht vorwerfen, sie hätten die Tragödie, die sich in jener Zeit in Europa vorbereitete, verkannt. Zumindest nicht allen. Was sich da zusammenbraute, haben viele geahnt, noch bevor sie zur Flucht gezwungen und ihre Werke in Berlin, Wien, Salzburg und in anderen deutschen Städten verbrannt wurden. Heinrich und Thomas Mann, Albert Einstein, Sigmund Freud, Hans Kelsen, Bertolt Brecht, Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Karl Kraus, Joseph Roth und viele andere sahen die Welle kommen, wenn auch nicht alle versuchten, ihr entgegenzuwirken.

Es geht im Buch also auch um die Rolle der Intellektuellen: Ist es ihre Pflicht, Stellung zu beziehen? Und können sie, wenn sie es tun, etwas bewirken?

Viele haben es versucht. Heinrich Mann war als überzeugter Pazifist den Deutschnationalen schon seit Beginn des Ersten Weltkrieges ein Dorn im Auge; während der Weimarer Republik engagierte er sich in der Sozialdemokratischen Partei. Sein Bruder Thomas, frischer Nobelpreis-Träger, verfasste 1930, nach dem Wahlerfolg der Nationalsozialisten (von 2,6% auf 18,3%) die „Deutsche Ansprache – Ein Appell an die Vernunft“. Ein anderer weltbekannter Nobelpreis-Träger, Albert Einstein, unterschrieb ebenfalls Appelle. In Italien war es der Philosoph Benedetto Croce, der 1925 einen Text, bekannt als „Manifesto degli intellettuali antifascisti“ (Manifest der antifaschistischen Intellektuellen), verfasste und am 1. Mai veröffentlichte.

 

Politische Stellungnahmen angesehener Persönlichkeiten gibt es bis heute: das ist eine Möglichkeit. Andererseits kann der Künstler das individuelle und gesellschaftliche Bewusstsein durch sein Werk beeinflussen. Das ist sicher wahr, allerdings kann dieser Einfluss, selbst wenn er bedeutend erscheint, in kurzer Zeit schwinden und einer anderen Stimmung weichen. Aufschlussreich ist das Schicksal des Romans von Erich Maria Remarque über die Schrecken des Krieges, an den Lackner erinnert. „Im Westen nichts Neues“ erschien 1929 und war ein Welterfolg. Stefan Zweig schrieb dazu in einem Brief: „In Deutschland sind die Nationalsozialisten am Verzweifeln. Das Buch von Remarque – die Auflage geht auf die Million zu – hat sie umgeworfen. Dieses schlichte und wahre Buch hat mehr ausgerichtet als alle pazifistische Propaganda in zehn Jahren“. Vier Jahre später war das Buch in der Liste der Werke, die auf öffentlichen Plätzen verbrannt wurden; und es ist anzunehmen, dass viele von jenen, die es lasen, dabei waren und den Krieg, den Nazi-Deutschland 1939 losbrach, auch billigten.

Ebenfalls aufschlussreich ist eine andere Bemerkung, die bezeugt, dass die Botschaft eines Werkes, selbst wenn sie gut gemeint war, missverstanden werden kann. Es geht dabei um Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“, ab 1928 ein Riesenerfolg und nicht nur in Deutschland. Brecht wollte durch sein „verfremdetes“ Theater die Unmenschlichkeit der Welt inszenieren und sie als veränderbar und verbesserbar darstellen. Das war wohl seine Absicht, wenn er Macheath in der Dreigroschenoper singen lässt: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Keine Aufforderung also, nach diesem Prinzip zu handeln, im Gegenteil; doch das Publikum nahm sie als solche auf, glaubt man Hannah Arendt, die als 22-jährige die Dreigroschenoper gesehen hatte und dazu später bemerkte: „... das einzige politische Ergebnis des Stückes war, dass jedermann ermutigt wurde, die unbequeme Maske der Heuchelei fallen zu lassen und offen die Maßstäbe des Pöbels zu übernehmen.“

Dass die Intellektuellen deshalb schweigen sollten, ist eine verfehlte Schlussfolgerung. Sie haben sehr wohl die Aufgabe, Ihres über die Welt aus zu sagen.

Neben jenen, die es gut meinten, gab es auch Hetzer, die nicht nur durch Krawalle und Gewalt, sondern auch mit den Mitteln der Künste Nationalismus, Rassismus und Feindschaften schürten. Doch auch hier lässt sich bemerken, dass Hitler und seine Banden trotz aller Propaganda wahlrechnerisch unbedeutend blieben; erst die Krise von 1929, die darauffolgende Arbeitslosigkeit und die Verschlechterung der Lebensbedingungen verhalfen ihnen zum Erfolg.

Nein: Die weitaus große Mehrheit der Bevölkerung verhält sich nicht, wie die Intellektuellen es möchten. So berühmt, glaubwürdig und geschätzt sie auch sein mögen, haben sie weniger Einfluss auf die Bildung der öffentlichen Meinung, als man ihnen zutrauen könnte. Andere Faktoren kommen da ins Spiel, wirtschaftlicher, sozialer und politischer Natur, die von weitaus größerer Bedeutung sind.

Dass die Intellektuellen deshalb schweigen sollten, ist eine verfehlte Schlussfolgerung. Sie haben sehr wohl die Aufgabe, Ihres über die Welt aus zu sagen. Aber das Buch erinnert uns daran, dass das Schreckliche, trotz aller Mahnungen, geschehen kann.

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Hans Knapp So., 24.11.2019 - 18:00

Die Wirkung realistisch als begrenzt einschätzen und trotzdem Stellung beziehen, Partei ergreifen, das betrachte ich als Bürgerpflicht gerade auch für Intellektuelle - und kann es doch nur hoffen, dass sie mit ihremWissen und Sagen-Können auch ethische Haltungen verbinden, die meiner Auffassung vom guten Leben entsprechen.

So., 24.11.2019 - 18:00 Permalink
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Peter Gasser So., 24.11.2019 - 18:15

Antwort auf von Hans Knapp

„Aber das Buch erinnert uns daran, dass das Schreckliche, trotz aller Mahnungen, geschehen kann“: damit endet der Beitrag.
Sehend, dass die Trumps, Erdogans, Orbans, Straches und Salvinis nicht aus der Menge der Intellektuellen kommen, lässt mich das letzte Wort „kann“ mit dem Wort „wird“ ersetzen.

So., 24.11.2019 - 18:15 Permalink