Gesellschaft | salto Gespräch

Die Lega? “Eine Chance”

...und zwar, um die Lethargie im Landtag zu beenden, meint Hans Heiss. Der Grandsigneur der Grünen spricht übers Scheiden in und aus der Politik – und Fragen der Zukunft.
Hans Heiss
Foto: Hannes Prousch

“Mit sechsundsechzig Jahren, da fängt das Leben an.” Ob Hans Heiss bei seinem Auszug aus dem Landtag mit Udo Jürgens mitgeträllert hat, ist nicht bekannt. 66 ist Heiss am 13. November geworden. Just an seinem letzten Tag als offizielles Mitglied des Südtiroler Landtages. Seit 2003 saß Heiss ununterbrochen für die Grünen dort.

Während das Gerangel um die begehrtesten Plätze vor Beginn der ersten Sitzung des neuen Plenums am 14. November beginnt, betritt auch Hans Heiss den Landtagssaal. Behutsam stellt er eine rote Rose auf die Bank, hinter der die Grüne Fraktion Platz nimmt – und huscht dann wieder hinaus.

Mit dem Abgang von Hans Heiss endet im Landtag die Ära eines außergewöhnlichen Politikers, der daneben immer Historiker, Professor und Archivar geblieben ist: Scharfsinnig und -züngig, jedoch nie beleidigend, hat er 15 Jahre lang aus der Opposition die Vorgänge beobachtet und kommentiert, den Finger in die Wunde gelegt, Missstände angeprangert und leise, aber umso hartnäckiger seine Kämpfe geführt. Der Grandsigneur der Grünen – eine wohltuende Anwesenheit zwischen polternden Kollegen. Jetzt kehrt der hoch gewachsene und hoch gebildete Brixner hinter die Kulissen zurück. Seine politische Karriere, die im Brixner Gemeinderat begann, ist zu Ende. Sagt zumindest Hans Heiss, der für salto.bz noch einmal in die Rolle des politischen Kommentators schlüpft.

salto.bz: Herr Heiss, diese Woche wurden die ausgeschiedenen Landtagsabgeordneten vom Landtagspräsidium um Präsident Thomas Widmann und seinen Vize Massimo Bessone verabschiedet. Sie waren bei der offiziellen Zeremonie nicht dabei. Fällt es Ihnen so schwer, loszulassen?

Hans Heiss: Von 19 scheidenden Abgeordneten waren 11 anwesend, die absolute Mehrheit wurde also nur knapp erreicht. Wir wurden sehr kurzfristig avisiert und ich hatte schon seit geraumer Zeit einen Vortrag an der Universität Regensburg zugesagt. Den wollte ich nicht verschieben, nur um die warme Hand von Herrn Bessone zu drücken.

Kehren Sie dem Landtag wehmütig den Rücken?

Wenn man einen Job halbwegs engagiert betrieben hat, ist ein Abschied immer mit Trauer verbunden. Man verspürt neue Freiheit, aber auch eine gewisse Leere. Aber der Abschied ist kein Drama, sondern ein völlig normaler Vorgang in jeder Lebensphase.

Nach den Rösslsprüngen dieser Woche fällt es mir schwer, Landeshauptmann und SVP-Obmann noch etwas zu glauben.

Viel Trauer scheint in der SVP nicht zu herrschen, dass man sich vom langjährigen Partner, dem PD, verabschiedet hat.

Den PD hat man mit ziemlicher Leichtigkeit von der Bettkante gestoßen. Und das nach gar einigen Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit, in denen die SVP wieder viel erzielt hat. Karl Zeller hat erklärt, Bressa und Boschi würden den Abschied, der doch relativ schnell über die Bühne gegangen ist, durchaus sportlich sehen und hätten Verständnis dafür. Aber mir erscheint das in gewisser Weise schon zynisch.

In Zeiten wie diesen ist die Lega einfach der attraktivere Partner?

Die Lega scheint für die SVP tatsächlich ein hochattraktiver Partner zu sein. Das Abstimmungsergebnis im Parteiausschuss spricht sehr dafür. Es gibt zur Lega sehr große Affinitäten, die über die rein technische Seite einer Koalition hinausgehen.

Steht im Hause Edelweiß also doch eine Liebesheirat an – trotz vehementer Dementis von Parteiobmann und Landeshauptmann?

Ich glaube nicht, dass das eine Zwangsehe ist. Sondern es wächst zusammen, was zusammen gehört.

Ganz ehrlich, haben Sie einen Moment daran geglaubt, dass die Grünen der neue Partner der SVP werden würden?

Ich habe nie so gute Chancen gesehen wie dieses Mal. Selbst war ich 2008 und 2013 bei Nachwahl-Gesprächen mit der SVP dabei. 2013 herrschte ein angenehmes Klima, aber das Gespräch war relativ rasch beendet. 2008 hat uns Luis Durnwalder sofort wieder hinauskomplimentiert. Dieses Mal haben unsere Vertreter eine sehr gute Gesprächsgrundlage gespürt – und mitentwickelt. Von daher wäre die Chance weitaus größer gewesen als die letzten Male. Aber, die SVP kennend, vermochte ich nie wirklich daran zu glauben. Nichtsdestotrotz, immerhin wurde der rote Teppich doch ziemlich weit ausgelegt, bzw. der grüne. (schmunzelt)

Woran ist es wirklich gescheitert, dass die Grünen den Teppich nicht betreten haben? Die SVP sagt, sie will mit dem Versuch, mit der Lega zu regieren, dem Wählerwillen der Italiener Rechnung tragen. Wenn man einen Riccardo Dello Sbarba oder einen Sepp Kusstatscher hört, klingt das sehr nach einer Scheinausrede. Für Sie auch?

Der Wählerwille war für die SVP bisher immer ein relatives Problem. Ich erinnere daran, dass auch der MSI oder Alleanza Nazionale einst auf 11 bis 12 Prozent hinaufgeschossen sind und bis zu vier Abgeordnete stellten. Dennoch verfiel die SVP nicht auf den Gedanken, diese Parteien mit in die Koalition zu nehmen. Und das, obwohl sie von der Weltanschauung her ähnlich befremdend wirkten wie die Lega. Das, was die SVP jetzt mit der Lega anstrebt, ist so, als ob in Deutschland die CDU mit der AfD koalieren würde. Das muss man in aller Deutlichkeit sagen. Da gibt es großen Erklärungsbedarf für die eloquenten Herren Achammer und Kompatscher, vor allem auch nach außen hin. Für uns Grüne wäre nach 40 Jahren eine Regierungsmitarbeit sinnvoll und zielführend gewesen, zumal die Kompetenzen da sind.

Herr Bessone pflegt einen sehr unbefangenen Umgang, auch mit Ausländerfeindlichkeit und Rassismus.

Die Sympathien für das Grüne Führungsduo weniger. Vor allem Riccardo Dello Sbarba ist der SVP ein Dorn im Auge.

Riccardo Dello Sbarba hat in den Bereichen Raumordnung, Energie und Umwelt enormes Sachwissen und kennt das Territorium durch und durch. Von Ulten bis Winnebach hat er dieses Land kennen und lieben gelernt. Aber innerhalb der SVP gibt es eine grundlegende, wirklich tief sitzende Abneigung gegenüber uns Grünen. Das hat Sepp Kusstatscher sehr gut auf den Punkt gebracht.

Abneigung – und auch eine gewisse Angst vor den Grünen, die ein lang gewachsenes System über den Haufen werfen würden, an dem sich die SVP festkrallt?

In Südtirol beruht die Regierung auf einer Konkordanz der Macht, auf einer Machtteilung. Das heißt, in einer Regierungskoalition regiert jeder Partner in seiner eigenen Welt. Es gibt nur selten Zusammenschau, kein Zusammenwirken bei wichtigen Fragen.

Ein Regieren nebeneinander statt miteinander?

So wird das auch mit der Lega funktionieren. Mit uns Grünen wäre das nicht möglich gewesen. Das Regierungsmitglied, ein Landesrat Dello Sbarba hätte sehr wohl genau hingeschaut, was auch in anderen Ressorts beschlossen wird.

Für den Landtag sehe ich jetzt die Chance, ihn neu aufzuwerten, auch mit harten Tönen.

In den vergangenen Tagen wurde in der SVP sehr viel über Werte gesprochen. Haben Sie den Eindruck, dass hier eine ehrliche Diskussion stattfindet? Oder war dieser Wertekodex ein händeringender Versuch, der Parteibasis die Lega als regierungsfähigen Partner zu präsentieren?

Die Wertediskussion war eine in vieler Hinsicht vorgetäuschte Diskussion. Sie hat instrumentellen Charakter, um die Lega zu kurieren, sie zum Kuschen zu bringen.

Das hat nicht ganz funktioniert, denn am Ende sollen die Verhandlungen vor der Unterschrift unter dem Wertekodex stattfinden. Anstatt, wie wiederholt angekündigt, “ohne Unterschrift keine Verhandlungen”…

Es ist genau das Gegenteil passiert: Plötzlich sieht die SVP die Pistole, die auf die Lega zielen sollte, gegen sich selbst gerichtet. Das ist ein sehr beachtlicher Effekt, ein absoluter Hammer.

Ein Beweis, dass es der SVP nicht um Werte geht?

Die Wertediskussion spielt in der SVP eine sehr geringe Rolle. Die SVP ist, ich würde sagen, zu 80 Prozent ethisch völlig entkernt. Es geht um Interessen, es geht um bestimmte Ziele und erst nachgeordnet um ethische und politische Grundwerte. Aber jene Kräfte, die Werte und nicht Interessen vertreten, sprich die Arbeitnehmer, stehen am Rande. Jene, die Interessen vertreten und konkrete Ziele, sprich Wirtschaft und Bauern, sind enorm gestärkt. Die Wertediskussion ist eine Scheindiskussion, sie wurde vorgeschoben – und eben aufgrund fehlender Überzeugung ist sie jetzt am Ende erfolglos geblieben.

Es wird ein Wandel eintreten, die Menschen werden sich verstärkt in Richtung Europa und in Richtung eines ökosozialen Umbaus positionieren.

Für viele Menschen im Land sind die vier Lega-Landtagsabgeordneten völlige Unbekannte. Sie kennen den Parteichef Massimo Bessone. Welches Bild zeichnen Sie von ihm?

Herr Bessone ist Fernmeldetechniker – ein ehrbarer Beruf. In der Brixner Gemeindepolitik war es bisher als Gemeinderatsvizepräsident präsent. Mit seiner wirtschaftsliberalen Sicht der Dinge, die er vertritt, ist er für die Brixner Stadtratsmehrheit der SVP sehr passgenau gekommen. Er pflegt einen sehr unbefangenen Umgang, auch mit Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Es genügt, seine Posts zu betrachten und die Leserbriefe, die er regelmäßig in Isarco News veröffentlicht. Herr Bessone verkörpert eine Art des klassischen Lega-Vertreters: Nicht richtig bad guy, aber ganz selbstverständlich vom Wertesystem der Lega beseelt. “Italiani prima”, “brissinesi prima”, “wir wollen keine Ausländer und keine Bettler in Brixen” – das ist seine Wertehaltung. Die politische Fantasie des Herrn Bessone würde ich als sehr überschaubar einschätzen. Ebenso seine Urteilsfähigkeit, wie die der übrigen Lega-Vertreter. Allesamt waren noch am Montag bereit, alles zu unterzeichnen – bis ihnen der große Chef dann einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.

Die SVP wird künftig also mit Matteo Salvini regieren?

Er wird wie ein Hausarzt sein und fallweise zu Hausvisiten aufkreuzen. Die werden sich nicht nur auf die Konzerte der Kastelruther Spatzen beschränken, sondern er wird öfters in Bozen einfallen und hier gezielte Botschaften platzieren. Für die die örtlichen Vertreter dann gerade stehen können.

Seine Diagnosen gibt Salvini vorzugsweise über Twitter ab.

Ein Tweet genügt, um sofort auf irgendeinen lokalen Vorfall zu reagieren – wie in Brixen auf diesen sehr betrüblichen Zwischenfall im dortigen Aufnahmezentrum. Salvini wird in jeder Hinsicht versuchen, eine scharfe Linie hineinzubekommen und als “Capitano” deutlich demonstrieren, wer das Ruder in Händen hält.

À propos Twitter: Sie selbst haben in letzter Zeit angefangen, sehr fleißig zu twittern. Eine Flucht in die digitale Welt, weil die Realität so unerträglich ist?

Ich twittere recht gerne. Twitter ist ein gutes Format, man braucht nicht viel zu sagen, aber man muss Aussagen konzentrieren. Das nennt man Aphorismus. Und nach dem Abgang aus der aktiven Tagespolitik leide ich unter einem leichten Isolationssyndrom – Twitter ist in diesem Sinne fallweise ein kleines Ventil.

Macht Ihnen Twitter Spaß?

Es macht auch Spaß. Vor allem, weil ich inzwischen ein paar Gleichgesinnte gefunden habe. Man kann entweder blödeln oder sofort scharf zugreifen. Aber ich werde es nicht zum Exzess treiben. (schmunzelt)

An eine beeindruckende Episode im Landtag erinnere ich mich ganz besonders...

Hinter vorgehaltener Hand galt Hans Heiss in den vergangenen Jahren als Schatten-Landesrat für gewisse Themen. Bedauern Sie es, dass Sie sich nach Ihrem Abgang aus dem Landtag nicht mehr so unmittelbar für Ihre Herzensanliegen was Kultur und Museen anbelangt, einsetzen können?

Nicht allzu sehr. Erstens sollte ich wieder verstärkt wissenschaftlich arbeiten – ich habe ein paar Buchpublikationen abzuschließen. Zweitens denke ich, dass ich im Kulturbereich bestens vertreten bin. Einerseits in unserer Landtagsfraktion durch Brigitte Foppa und in privater Hinsicht durch Tochter Anna (Anna Heiss leitet seit Herbst 2017 den Kleinkunstkeller “Dekadenz” in Brixen, Anm.d.Red.). Dennoch werde ich im Museumsbereich ohne Zweifel sehr wohl den Daumen drauf halten, auch in Zusammenarbeit mit unserer Landtagsfraktion um Brigitte Foppa, Riccardo Dello Sbarba und Hanspeter Staffler. In Brixen bleibe ich weiterhin in Sachen Hofburggarten aktiv. Wir haben jede Woche eine Sitzung, gerade letzte Woche gab es eine Aussprache mit dem Landeshauptmann. An Arbeit fehlt es weiterhin nicht.

Um beim Stichwort Kultur zu bleiben. Brigitte Foppa macht sich Sorgen, dass die Umgangstöne im Landtag in der soeben angebrochenen Legislaturperiode schärfer werden könnten, dass vor allem mit der Lega ein rauer Stil in das Hohe Haus einziehen könnte. Sind Sie um die Umgangskultur in der Institution Landtag besorgt?

Für den Landtag ist die aktuelle Situation eine wichtige Herausforderung. Es wird notwendig sein, dass sich alle Landtagsabgeordneten genau positionieren, dass Diskussionen nicht verwaschen geführt werden, sondern mit großer Entschiedenheit. Ich kann nur den Vergleich des Deutschen Bundestages heranziehen, wo die Präsenz der AfD dazu geführt hat, dass man dort wirklich mit sehr klarer Kante diskutiert, wie etwa am Donnerstag zum UN-Migrationspakt.
Für den Landtag sehe ich jetzt die Chance, ihn neu aufzuwerten, auch mit harten Tönen. Insofern nützt die momentane Lage dem Landtag, der die letzten fünf Jahre ein Schattendasein geführt hat. Auch die Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, aus ihrem Dämmerschlaf zu erwachen und sich fallweise wirklich stark einzubringen. Ebenso hat das Team Köllensperger jetzt die Pflicht, seine programmatische Beliebigkeit zugunsten klarer Positionierungen auszudrücken, etwa zur Migrationspolitik. Es ist ein wichtiger Moment für den Parlamentarismus und die Grünen werden als erste dafür sorgen, dass die entsprechende Betriebstemperatur herrscht. (schmunzelt)

Das, was die SVP jetzt mit der Lega anstrebt, ist so, als ob in Deutschland die CDU mit der AfD koalieren würde.

Im Schattendasein, das Sie dem Landtag attestieren, waren Sie selbst für viele eine Lichtfigur. Auch politische Widersacher bedauern Ihr Ausscheiden. Welche Reaktionen sind Ihnen nach Ihrem Abgang zugetragen worden?

Ich spüre einiges an falschem Zungenschlag, aber viel an echtem Bedauern, auch unter Bürgerinnen und Bürgern. Doch nirgendwo entrückt man so schnell der Öffentlichkeit und dem öffentlichen Licht wie in der Politik. Sobald man nicht mehr Teil des parlamentarischen Diskurses ist, ist man in eine andere Dimension gebeamt. Das ist demokratisch geboten. Trotzdem glaube ich, dass ich als öffentliche Person weiterhin eine Rolle finden werde – wie ich sie bereits vor meiner politischen Tätigkeit gehabt habe. Keine Sorge! (lächelt)

Wie ordnet der Historiker Hans Heiss die jüngsten Entwicklungen im Lande ein? Findet mit der neuen politischen Realität tatsächlich eine Zäsur, eine Zeitenwende, ein Bruch mit bisher da Gewesenem statt?

Man soll nie dramatisieren. Dennoch spielt sich gerade ein signifikanter Umstieg von einer Politik europäischer Öffnung, die Kompatscher in der letzten Legislatur zu seinem Programm gemacht und zum Teil mit Erfolg ins Werk gesetzt hat, hin zu einer Schließung der Gesellschaft ab. Mit der Koalition mit der Lega wird Mitte-Rechts bis Rechts sehr salonfähig werden, der öffentliche Diskurs wird einen Rechtsdrall erfahren. Jene Potentiale und Poren der Öffnung, die Südtirol sehr wohl vertragen könnte, werden wiederum stärker verschlossen.

Machen Sie sich Sorgen um das Zusammenleben im Land, nicht nur zwischen den drei Sprachgruppen, sondern auch mit den neuen Mitbürgern?

Wir brauchen uns keine Sorgen machen, denn die Realität ist bereits unverkennbar. Es gibt eine relativ klare Diskriminierung, wie sie noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Es gibt sehr viele ländliche Gemeinden, die die Präsenz von Migranten und Asylbewerbern strikt ablehnen.

Darunter solche Gemeinden, die seit jeher aufgrund des Tourismus mit dem Fremden zu tun haben.

Manche touristische Hot Spots sind hier besondere Vorreiter der Ablehnung. Dort stellt man sich unter Fremden eben doch eher wohlhabende Touristen vor – und damit ist der Bedarf an Fremden sozusagen gestillt. Aber man sollte sich vielmehr einige deutsche Bundesländer und Landkreise zum Vorbild nehmen, wo die Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich trotz der Hetze gegen die Merkel’sche Willkommenskultur nicht nachgelassen hat, wo es weiterhin massives Engagement gibt und eine Gesellschaft auch lernt, dass sie an solchen Herausforderungen wachsen, dass sie sich modernisieren und damit umgehen kann. Migration und der Umgang damit sind eine globale Herausforderung, die wir so oder so bewältigen müssen. Und diese Fremdenfeindlichkeit, die man allerorten und vielfach spürt, öffnet keinen Weg in die Zukunft, sondern fällt viel eher auf einen selbst zurück.

Es gibt großen Erklärungsbedarf für die eloquenten Herren Achammer und Kompatscher, vor allem auch nach außen hin.

Sie sagen Südtirol dunkle Zeiten voraus?

Mag sein, aber auch in solchen Situationen wie gegenwärtig bilden sich entschiedene Gegenkräfte aus, die man bereits jetzt deutlich hört: klare Stellungnahmen von kirchlicher Seite und aus der Zivilgesellschaft. Südtirolerinnen und Südtiroler aller Sprachen und Kulturen haben in den nächsten Jahren Gelegenheit, von verwaschenen, unklaren Positionen zu entschiedener Klarheit zu finden, wie man sich in Hinblick auf diese neue Politik positionieren will.

Wo sehen Sie die Zukunft des Landes?

Eine europäische Lösung, eine Öffnung würde Südtirol sehr gut anstehen. Nur, mit der Lega wird das nicht auf die Art passieren können, wie wir uns das wünschen. Deshalb nehme ich an, dass in zwei bis drei Jahren Koalition politische Ernüchterung eintreten wird. Und dann wird sehr wohl ein Wandel eintreten, die Menschen werden sich verstärkt in Richtung Europa und in Richtung eines ökosozialen Umbaus positionieren.

Die bevorstehende Ehe zwischen SVP und Lega wird also nicht fünf Jahre lang halten?

Das kann ich mir schwer vorstellen. Ich glaube, dass die Ausrutscher und Fehlgriffe der Lega, ihre bewussten Regelverstöße und ihre Unprofessionalität zur Folge haben werden, dass sich die SVP nachgerade nach einem PD zurücksehnen wird. Und ich denke, in zwei bis drei Jahren wird eine ernsthafte Überprüfung des Status Quo stattfinden müssen.

Wird die SVP also nicht um jeden Preis an der Macht festhalten? Sondern gegebenenfalls die Reißleine ziehen und die Zusammenarbeit mit der Lega aufkündigen – so hat es Parteiobmann Achammer zumindest anklingen lassen?

Ich gebe mir Mühe, dem Parteiobmann und dem Landeshauptmann abzukaufen, dass sie die Reißleine ziehen. Aber nach den Rösslsprüngen dieser Woche fällt es mir schwer, ihnen noch etwas zu glauben.

Ein Abschied ist immer mit Trauer verbunden. Man verspürt neue Freiheit, aber auch eine gewisse Leere

Herr Heiss, welche Erinnerungen an den Landtag nehmen Sie mit?

Zum einen, dass ich mir nie gedacht hätte, dass Politik so profundes, handwerkliches und professionelles Wissen und Geschick braucht. In diesem Sinne nehme ich großen Respekt vor Politikerinnen und Politikern mit, die sich ordentlich reinhängen – und richte meine Einladung an alle Bürgerinnen und Bürger, die Politikverachtung ein wenig zu zügeln. Zweitens nehme ich mit, dass die parlamentarische Auseinandersetzung lebensnotwendig ist. Denn damit werden auch öffentliche Auseinandersetzungen und Konflikte akzentuiert, die ansonsten in sozialen Medien oder im Privaten verschwimmen oder nur zu Polemik gerinnen. Es ist grundlegend, dass eine parlamentarische Öffentlichkeit weiterhin besteht.
Erinnern werde ich mich an manchmal wirklich große Debatten zu wichtigen Themen im Landtag, ebenso wie an die Aufklärungsarbeit, die dort in vieler Hinsicht geleistet wurde.
An eine beeindruckende Episode erinnere ich mich ganz besonders: An die schneidende, oft messerscharfe und gezielte Kritik unserer Kollegin Kury an Landesrat Laimer, der sich trotz allem am Schluss bei ihrem Ausscheiden 2008 dafür bedankt hat, dass sie ihm in so vieler Hinsicht ein wichtiger Coach war. Das hat mir sehr gefallen: Jemand, der so frontal attackiert wurde und trotzdem zur Größe gefunden hat, sich beim Gegner für eine wichtige Lektion zu bedanken.

Die Zukunft Südtirols sehen Sie in Europa. Ihre eigene auch? Würden Sie eine Kandidatur bei den Europawahlen kommenden Mai in Betracht ziehen?

Eine solche Kandidatur hätte gewissen Reiz, wenn ich 10 Jahre jünger wäre, so aber arbeiten wir Grüne unter Regie von Brigitte Foppa und Riccardo Dello Sbarba an aussichtsreichen Bündnissen und Kandidaturen.

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gorgias So., 02.12.2018 - 07:21

>In Südtirol beruht die Regierung auf einer Konkordanz der Macht, auf einer Machtteilung. Das heißt, in einer Regierungskoalition regiert jeder Partner in seiner eigenen Welt. Es gibt nur selten Zusammenschau, kein Zusammenwirken bei wichtigen Fragen.

So wird das auch mit der Lega funktionieren. Mit uns Grünen wäre das nicht möglich gewesen. Das Regierungsmitglied, ein Landesrat Dello Sbarba hätte sehr wohl genau hingeschaut, was auch in anderen Ressorts beschlossen wird.<

Der entscheidende Grund warum es zu keiner Koalition mit den Grünen gekommen ist und man warscheinlich (noch) nichts vom noch nicht politisch definierten Team-Köllensperger wissen wollte.

Doch was mich interessieren würde ist was die Grünen unter ökosozial meinen? Grüne sind sehr wenig sozial. Sieht man Kretschmann oder Habek, dann sieht man dass man im besten Fall linksliberal mit grünen anstrich ist. Grüne sind im Grunde, nach einem Begriff des Philosophen Pfaller haben die Grünen eine starke progressive neoliberale Ausrichtung.

So., 02.12.2018 - 07:21 Permalink
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Peter Gasser So., 02.12.2018 - 11:29

mit der Weigerung der südtiroler Lega, strammfuss bei Salvini den Wertekodex nicht zu untezeichen, ist bereits alles für die Zukunft gesagt. Die Rücknahme dieses Wertekodex durch die SVP ist bereits vor Beginn des gemeinsamen Regierens der erste Kniefall... beispielgebend für die Zukunft.

So., 02.12.2018 - 11:29 Permalink
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alfred frei So., 02.12.2018 - 12:51

Einen gemeinsamen Wertekodex für Bauern, Handwerker, Geschäftstreibende, Investoren, Freiberufler, Künstler, Arbeitnehmer und Tagelöhner erstellen und ein Hand(Trost)buch für die Randgesellschaft beilegen. Das könnte der erste Regierungsauftrag für die Koalition SVP-Lega sein. Gegen Ausrutscher, Fehlgriffe und Regelverstöße wird ein bürgernahes, unabhängiges, frei souveränes Volkstribunal eingesetzt. Südtirol: ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten !

So., 02.12.2018 - 12:51 Permalink
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Peter Gasser So., 02.12.2018 - 13:55

... ein „Volkstribunal“? ... solche Einrichtugen haben stets jenseits von Recht und Gesetz agiert; Volkstribunale sind Einrichtungen von autoritären Systemen, da fällt schnell die Guillotine bei politischen Gegnern und Kritikern. Da Ende der demokratischen Gewaltentrennung.

So., 02.12.2018 - 13:55 Permalink
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Christian Mair So., 02.12.2018 - 18:53

Der König ist nackt. Die Hüllen sind gefallen.
ISt das tatsächlich die Chance für eine neue Partei zwischen Wertkonservatismus und ökosozialem bürgerlichem Engagement? Könnte ein Zusammenschluss Team Köllensperger und Grüne erfolgreich in diese Presche springen?

So., 02.12.2018 - 18:53 Permalink
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gorgias So., 02.12.2018 - 19:32

Antwort auf von Christian Mair

Nein die Grünen wollen von Köllensperger nichts wissen, weil dieser ja die größte Konkurenz sein könnte für diesen Haufen von Patscherten, die sich bei jeder Gelegenheit selbst auf die Füße treten.

Wenn sich einmal eine politische Kraft mit starker deutschsprachigen Vertretung links der SVP etabliert hat, dann ist es eh vorbei mit den Grünen.

Was ist den bitte sozial am ökosozialem der Grünen?

So., 02.12.2018 - 19:32 Permalink
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Richter Peter So., 02.12.2018 - 21:35

Salvini hat mit dem decreto sicurezza gerade 40.000 Migranten aus den Auffangzentren auf die Straße geworfen. Im Dezember. Die Lega ist eine rechtsextreme Partei und hat in der Südtiroler Landedregierung nichts zu suchen. Ich schäme mich für Durnwalder und Achammer.

So., 02.12.2018 - 21:35 Permalink
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Waltraud Astner Mo., 03.12.2018 - 10:03

Antwort auf von Richter Peter

Ich weiß nicht wie Sie die Situation einschätzen, aber auch ohne dem "decreto sicurezza" landen die meisten der Asylwerber auf der Straße, ebne weil sie kein Anrecht auf Asyl oder einen anderen Status erhalten haben, aber schon VOR deren Feststellung in ganz Italien bzw. der EU verteilt wurden und nun halt illegal irgendwo unterkommen, denn zurückkehren, wie vom Gesetz vorgesehen, tun die wenigsten. Vom Anlocken vieler anderer und dem Riskieren des Lebens bzw.dem Unterstützen des Menschenhändlernetzes gespannt über ganz Europa ganz zu schweigen. DAS ist die derzeitige Praxis, die in der Eu zur Zeit herrscht. Wenn eine solche human ist, dann weiß ich auch nicht. Ganz abgesehen von den Folgen für die einheimische Bevölkerung, die sich Straftaten von Menschen, die entweder keine Identität vorweisen können oder wo noch nicht festgestellt wurde, ob sie überhaupt ein Recht haben mitten in der Gesellschaft zu sein, wie jene die einen GEREGELTEN Aufenthaltsstatus haben, gefallen lassen müssen.
Ich weiß nicht inwieweit das "decreto sicurezza" dem Abhilfe schafft, aber das bisherige System ist jedenfalls NICHT dazu geeignet Rechtssicherheit zu schaffen, weder für die Asylwerber, noch für die einheimische Bevölkerung.

Mo., 03.12.2018 - 10:03 Permalink
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Frei Erfunden Mo., 03.12.2018 - 08:58

“Italiani prima”, “brissinesi prima”, “wir wollen keine Ausländer und keine Bettler in Brixen” : solche Äusserungen finden in unseren Breiten breiten Zuspruch, das sollten auch die Grünen begreifen und realpolitisch auf das Problem (!) Migration reagieren . Keiner ist erfreut über den Umstand Migration, weder Flüchtlinge noch Aufnahmestaaten bzw. deren Bürger.
Wer individuell helfen will kann es tun und viele Südtiroler sind dabei auch engagiert.
Viele Menschen haben aber (berechtigterweise oder auch nur durch Medienhetze bedingt) Zukunftsängste.
Der Sozialstaat wird durch manche Phänomene auf eine harte Probe gestellt, die Grünen antworten aber mit Refugees welcome, den Ansatz finde ich nicht weitsichtig und vor allem aber auch nicht zielführend (im Hinblick auf Wählerstimmen), ohne einen touch (linken) Populismus ist die Linke in der heutigen Zeit anachronistisch.
Jedenfalls würde den Grünen eine neue Einschätzung der Lage den Zugang zu einer breiteren Wählerschaft öffnen und somit dem Machtgeflecht SVP sowie ihrer Lobby wirklich etwas entgegenzusetzen.

Mo., 03.12.2018 - 08:58 Permalink
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Profil für Benutzer Elisabeth Ladinser
Elisabeth Ladinser Mo., 03.12.2018 - 10:30

Hans Heiss war eine Bereicherung für den Landtag.
Auch von Dir, Hans, kann jeder lernen! Danke für Deinen nimmermüden, wertvollen Einsatz!

Mo., 03.12.2018 - 10:30 Permalink