Umwelt | Landwirtschaft

Mutter Natur - die beste Therapeutin

Die Sozialwissenschaftlerin Susanne Elsen und der Bildungswissenschaftler Armin Bernhard sprechen darüber, wie sozial und heilend die Arbeit mit der Natur sein kann.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Perspektiven der Sozialen Landwirtschaft
Foto: unibz

Prof. Dr. Susanne Elsen, Sozialwissenschaftlerin und Mag. Armin Bernhard, Bildungswissenschaftler arbeiten am interdisziplinären Forschungsprojekt UPAS, Potenziale der Sozialen Landwirtschaft, an der Freien Universität Bozen. Am 14. Februar gibt es zu dem Thema eine Tagung auf dem Uni Campus in Brixen. Vorab sprachen die beiden Experten mit Salto darüber, wie sozial und heilend die Arbeit mit der Natur sein kann.

 

In der Tagung werden Möglichkeiten der Sozialen Landwirtschaft in Südtirol besprochen. Zunächst einmal, was ist mit „sozialer Landwirtschaft“ gemeint?

Wir verwenden mittlerweile den Begriff „Green Care“ und schließen uns damit den internationalen Fachdiskursen an. Green Care ist ein Sammelbegriff, der die Arbeit mit Menschen in der Natur und im landwirtschaftlichen Umfeld beschreibt. Es geht immer um einen aktiven Prozess z.B. im Kontakt mit Erde, Tieren und Pflanzen, der sich positiv auf die psychische und geistige Gesundheit verschiedener Zielgruppen auswirken soll.

Im Rahmen dieser Tagung erweitern wir die Perspektive um Erfahrungen nicht nur in Südtirol, sondern auch in anderen Regionen Italiens und vor allem um die Frage, welche Effekte die soziale Landwirtschaft für das Gemeinwesen im allgemeinen, insbesondere in peripheren ländlichen Räumen haben kann. Dabei geht es um die Erhaltung oder auch Neugestaltung kleinstrukturierter, oft innovativer Landwirtschaften und es geht um die möglichen Wirkungen Sozialer Landwirtschaft auf die Landschaftsökologie.

Wie wir bereits im Rahmen der ersten Tagung herausgearbeitet haben, wird Soziale Landwirtschaft/Green Care auch in Südtirol nicht nur an privaten Höfen organisiert, sondern auch durch Sozialgenossenschaften und öffentliche Träger. Südtirol hat hier durchaus eine Pionierrolle.

 

Welche Vorteile bringt soziale Landwirtschaft?

Wir erweitern die Frage nach den Vorteilen der Sozialen Landwirtschaft im Rahmen der zweiten Tagung folgendermaßen: Wie kann die Arbeit in der Sozialen Landwirtschaft einen Mehrwert für Menschen mit Unterstützungsbedarf einerseits, und für die Natur und Landschaft andererseits erzeugen. Also, wie kann das Tätigsein von Unterstützungsbedürftigen für die Natur, die Kulturlandschaft und die Biodiversität heilsam sein?

Es geht dabei also um ein neues Verständnis von Nehmen und Zurückgeben, eine Kernfrage der öko-sozialen Entwicklung und Transformation. Diese Grundhaltung wurde in den vergangenen Jahrzehnten von der ausbeuterischen und auf Größenwachstum angelegten Landwirtschaft als irrelevant ausgeblendet. Wir verstehen also Soziale Landwirtschaft/Geen Care auch als eine Alternative zur dominanten Wachstumswirtschaft, welche soziale und ökologische Verantwortung negiert und tragen mit unserer Arbeit zu einem wahrnehmbaren Trend der öko-sozialen Transformation und Entwicklung bei.

 

Es sollen alternative Landwirtschafts-Modelle im internationalen Bereich besprochen werden. Können Sie mir einige dieser best-practice Beispiele nennen? Welche Länder gelten als besondere Vorreiter und warum?

Im Rahmen der Tagung wie auch in unserer Forschung fokussieren wir Beispiele öko-sozialer Landwirtschaft aus dem europäischen Raum. Diese entstehen meist „von unten“, durch das Engagement von Personen und Initiativen, welche kooperative Alternativen für soziale Bedürfnisse oder auch Gegenentwürfe zur industriellen Landwirtschaft suchen. Darüber hinaus finden sich sowohl in Italien als auch z.B. im Osten Deutschlands interessante öko-soziale Experimente in peripheren ländlichen Gebieten, die von jungen, überwiegend gut qualifizierten Menschen initiiert werden. Oft mischen sich ökologische Landwirtschaft, soziales Engagement, der Wunsch nach Eigenständigkeit, Handwerk und künstlerische Aktivitäten. Die Soziologin und Landwirtin Agitu Giudetta, welche im Trentino brachliegende Flächen bewirtschaftet und Ziegenkäse herstellt und zudem Geflüchteten eine Arbeit verschafft, ist ein solches Beispiel. Derer gibt es viele und es entstehen ständig neue.

Man kann Italien alleine schon wegen seiner Gesetzgebung für die Soziale Landwirtschaft (2015) aber auch der gesetzlich geregelten Möglichkeiten im Bereich der Sozial- und der Bürgergenossenschaften (1991, 2018) als Vorreiterin bezeichnen. Bereits im Trentino und Veneto und noch stärker in den Regionen weiter südlich finden sich hoch kreative Beispiele, die auf großes Interesse in der europäischen Community des Green Care stoßen.

Dabei sind besonders die Gründungen von Geflüchteten im Süden Italiens, die als Alternativen zu Ausbeutung und neuer Sklaverei entstanden, bemerkenswert, so z.B. die Kooperativen Funky Tomato oder Barikamà. Sie haben nicht nur öko-soziale und ökonomisch, sondern auch politische Effekte und einen starken Impact auf das Gemeinwesen.

 

Wie öko-sozial ist Südtirols Landwirtschaft und was muss noch getan werden?

Auch in Südtirol gibt es wie oben angedeutet viele hervorragende Beispiele. Es gibt aber auch noch viel zu tun. Wie die Diskussion um Mals zeigt, werden neue Wege vielfach noch bekämpft anstatt sie zu unterstützen und den Nutzen für die Bevölkerung, den Tourismus und auch die Landwirtschaft zu sehen. Da macht eine Änderung der Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik von Bauernbund und Landesregierung Sinn. In Ansätzen ist diese Änderung bereits erkennbar, kann aber noch beträchtlich verstärkt werden.

 

Es sollen mehr soziale Gemeinschaftsgärten gebaut werden. Ist das ein Modell für die Zukunft, oder spielen diese nur eine marginale Rolle?

Gemeinschaftsgärten spielen, wie zahlreiche Beispiele in Europa und international zeigen, eine zentrale Rolle im Bereich der öko-sozialen Transformation. Es geht ja nicht nur um die Teilunabhängigkeit von industriellen und weltmarktvermittelten Versorgungsstrukturen, sondern auch um das gemeinsame (Wieder-)Aneignen von zentralem Wissen und Können. Gemeinschaftsgärten sind wichtige Einrichtungen der Gemeinschaftsbildung, des Lernens, des interkulturellen und intergenerativen Austauschs und der Selbstversorgung insbesondere in Städten. Der interkulturelle Garten der Organisation Donne Nissà in Bozen ist ein schönes Beispiel.

Mittlerweile sind viele Städte dazu übergegangen, Gemeinschaftsgärten in die Stadtplanung zu integrieren oder vorhandene Grünflächen zur Bewirtschaftung an Bürgerinnen zu übergeben. Andere gehen noch weiter und kreieren „essbare Städte“, die ihre BürgerInnen und Gäste zum Ernten einladen und essbare Pflanzen anbauen. Wir haben in den vergangenen Jahren bei Forschungen in 40 Europäischen Städten zu diesen Fragen des Umgangs mit Gemeingütern interessante Beispiele entdeckt. Dieser Trend hat mittlerweile mehr als nur Symbolcharakter.

 

Dem gesellschaftlichen Umbau geht meist ein Umdenken der Gesellschaft voraus. Wie weit ist das Umdenken in der neuen Generation vorhanden? Denken Südtiroler heute sozialer, ökologischer, grüner als früher?

Eine gesellschaftliche Veränderung vollzieht sich meist wechselseitig. Ein Umdenken verändert die Praxis, eine veränderte Praxis ist jedoch zugleich notwendig für weiteres Umdenken. Südtirols Landwirtschaftspolitik verweist oft auf die notwendige Veränderung des Einkaufsverhaltens. Gerade dieses Einkaufsverhalten ist jedoch auch politisch, durch Subventionen und vom Markt gesteuert.

Durch eine Veränderung der Landwirtschaftspolitik ergibt sich auch ein Umdenken. In der jungen Generation sind die Folgen der intensiven Landwirtschaft und die notwendige gesellschaftliche Veränderung auch aufgrund der Klimaveränderung vielfach präsent. Sei es in der bäuerlichen als auch nichtbäuerlichen Gesellschaft. Zugleich ist dies nicht eine Generationenfrage, denn auch ältere Personen sind sich der notwendigen Veränderungen bewusst.

 

Die Schädlingsbekämpfung und Anwendung von Pestiziden ist immer ein großes Thema in Südtirol. Unsere Region hat sogar den höchsten Chemieeinsatz Italiens. Sind Pestizide wirklich so schädlich? Kann man es Bauern verübeln, wenn sie wirtschaftlich denken? Und welches wären Lösungen/Alternativen?

Der Einsatz von chemisch synthetischen Mitteln wird in der Geschichte der Landwirtschaft auf einen kurzen Abschnitt beschränkt bleiben. Es ist ökologisch und gesundheitlich aber auch ökonomisch nicht länger sinnvoll. Für Südtirol kommt noch hinzu, dass wir uns mit industrialisierter Landwirtschaft und mit Monokulturen nicht mit anderen Regionen messen können. Global und lokal macht nur eine Ökologisierung der Landwirtschaft Sinn.

 

Was ist mit Gentechnik. Könnte das eine Lösung sein?

Auf vielen Ebenen wird versucht die Lösung der heutigen gesellschaftlichen Probleme mit vermehrter Technik zu lösen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele Probleme nicht technisch gelöst werden können, sondern andere Probleme schaffen. Der enorme Energie- und Ressourcenverbrauch der Landwirtschaft kann mit Gentechnik nicht gelöst werden. Meist können wir die dadurch entstehenden Probleme heute noch nicht erfassen. Zudem haben wir kein Problem der reinen Menge an Lebensmitteln auf der Welt. In der westlichen Welt essen wir zu viel Fleisch, welches durch Soja- und Getreidefütterung erzeugt wird und erzeugen Energie aus Lebensmitteln.

 

Ist BIO wirklich die sozialere Art der Landwirtschaft?

Bio ist eine Art des Anbaus von Lebensmitteln bei dem auf chemisch synthetische Mittel verzichtet wird. Sie kann aber genauso industrialisiert und in Monokulturen ablaufen. Zudem sind daran keine sozialen Standards geknüpft. Auch biologische Landwirtschaft kann ausbeuterisch sein. Und sie kann auch sozial sein.

 

Ein Problem mit dem ST zu kämpfen hat: Spezialisierung auf Apfel und Trauben- das führt zur Monokultur und damit einhergehende Erschöpfung der Böden. Gibt es dieses Risiko bei uns? Wie sollten wir vorgehen?

Der Boden wird in globalem Diskurs eines der wichtigsten Themen der nächsten Jahre werden. Bodenverbrauch, Ausdehnung der Wüsten, Bodenerschöpfung sind zentrale gesellschaftliche Probleme. Dies wird auch in Südtirol immer klarer ersichtlich und ebenso immer stärker erkannt. So gilt es auch bei uns in diesem Bereich viel mehr Anstrengungen zu unternehmen und auf eine Landwirtschaft zu setzen, welche die Bodenfruchtbarkeit stärkt anstatt sie abzubauen.

Auch dies zeigt von der Notwendigkeit der Umgestaltung der Landwirtschaft und auch hier wird nicht eine weitere Technologisierung die Lösung bringen. Eine Extensivierung der Landwirtschaft und mehr Vielfalt sind Wege dazu.

 

Sozial- schön und gut. Aber wie überzeugen sie einen Apfelbauer davon? Schließlich muss er wirtschaftlich denken, denn seine Existenz und die seiner Familie ist von dem Einkommen abhängig. Und Monokulturen sind nun mal rentabler, Pestizideinsätze nötig, wirtschaftliches Denken wichtiger als soziales.

Soziale Landwirtschaft/Green Care bezeichnet ein spezielles Angebot im Sozial-, Bildungs- oder Gesundheitsbereich und muss also differenziert werden von dieser Frage, die eher genereller Art ist. Als informierte BürgerInnen können wir sagen, dass es in Bezug auf Rentabilität wichtiger ist, genauer hinzusehen. Die heutige Landwirtschaft ist „rentabel“ dank großzügiger Förderungen aus Steuermitteln und durch die Auslagerung der Folgekosten an die Allgemeinheit. Monokulturen und industrialisierte Landwirtschaft bringen Pestizideinsatz, Bodenausbeutung und Folgen für die Gesundheit von Mensch und Natur mit sich. Diese Folgen werden abgewälzt. Würden mit ehrlichen Preisen diese Kosten einberechnet wären diese Lebensmittel viel teurer. Die heute in der westlichen Welt dominierende Landwirtschaft mit der Förderung der Großen ist Ausdruck eines politischen Willens. Global werden die Menschen aber vorrangig durch kleinteilige Landwirtschaft ernährt. Die Änderung politischer Regeln würde sehr schnell die Art der Landwirtschaft und das, was wir als rentabel bezeichnen, verändern.