Politik | Interview

“Wir sind ideologisch offen”

Dieter Steger macht sich Richtung Rom auf. Der Neo-Senator (SVP) spricht über seinen Auftrag, die “Marke SVP” in Rom – und über italienische Verhältnisse in Südtirol.
Dieter Steger
Foto: Salto.bz

salto.bz: Herr Steger, freuen Sie sich über Ihre Wahl zum Senator?

Dieter Steger: Ja, sicher. In dem Moment, in dem man die Entscheidung getroffen hat, anzutreten, ist es natürlich eine Freude wenn die Kandidatur erfolgreich abgeschlossen wird.

Freuen Sie sich auch über das Wahlergebnis der SVP?

Das Ergebnis ist ein klarer Auftrag für uns, in Rom die Autonomie zu verteidigen und weiterzuentwickeln.

Gibt Ihnen die gesunkene Wahlbeteiligung zu denken?

Im Wahlkampf habe ich erlebt, wie schwer es war, die Menschen zu mobilisieren. Ich habe oft gehört, “es ist eh alles schon klar”.

War es das nicht?

Sechs der sieben Senatssitze in der Region wurden mittels Mehrheitswahlrecht vergeben – eine höchst demokratische Form der Wahl. Zugleich hat das Mehrheitswahlrecht aber an sich, dass ein Kandidat nur eine Stimme mehr braucht als die anderen, um gewählt zu sein. In Südtirol waren das bis heute eben die Kandidaten der Volkspartei. Das hat auch diese Wahl gezeigt. Der Eindruck, dass das Ergebnis schon vor der Wahl feststand, war also naheliegend.

Sie selbst sind nicht in einem Mehrheitswahlkreis gewählt worden, sondern dank des neuen Wahlsystems im regionalen Verhältniswahlkreis.

Genau. Aber man war nicht imstande, den Menschen zu erklären, dass es auch noch das Verhältniswahlrecht, sprich den Wahlkreis Trentino-Südtirol gibt – und dass es keineswegs eine so sichere Sache war. Das habe ich im Wahlkampf gemerkt, entsprechend schwierig die Mobilisierung. Abgesehen davon muss man sagen, dass immerhin 70,3 Prozent der Wähler im Senat gewählt haben. Das ist nicht nichts! Anderswo wäre man über eine solche Wahlbeteiligung froh. Klar, 2013 waren es 80 Prozent. Aber damals gab es mehr Konkurrenz im deutschsprachigen Lager. Die gab es dieses Mal nicht.

In erster Linie, weil mit den Freiheitlichen die größte deutschsprachige Oppositionspartei auf eine Parlamentskandidatur verzichtet hat.

Was ich nicht verstanden habe. Die Argumentation der Freiheitlichen war – mit Verlaub – schwach. Ich wiederhole: Sechs der sieben Senatssitze wurden über das Mehrheitswahlrecht vergeben. Und Entschuldigung – natürlich muss sich jeder einer Wahl stellen! Ich kann nicht sagen, ich komme nicht auf die Stimmen der Volkspartei und deshalb kandidiere ich nicht. Was ist das bitte für eine Argumentation? Aber dies hat sicher auch dazu beigetragen, dass viele Menschen nicht wählen gegangen sind. Denn man hat gesehen: Überall dort, wo es Konkurrenz gab, war die Wahlbeteiligung um fünf bis sechs Prozentpunkte höher. Ich spreche vom Wahlkreis Bozen-Unterland.

Was sagt Ihnen das?

Das bedeutet, dass der Bürger sehr wohl reflektiert, überlegt und wenn zwischen A und B zu unterscheiden ist, sehr wohl zur Wahl geht.

Andererseits gibt es auch deutlich mehr weiße und ungültige Stimmzettel.

Nein, das ist nicht wahr. Es gab im Schnitt rund 6 Prozent weiße und 2 bis 3 Prozent ungültige Stimmzettel. Das sind mehr als in der Vergangenheit, ja. Aber dafür gibt es zwei Gründe. Einer ist sicher der, den Sie suggerieren: Es gab einen Aufruf, weiß abzugeben. Aber ganz ehrlich, wenn ich einen solchen Wahlaufruf mache und nur 6 Prozent geben weiß ab, dann frage ich mich schon, ob ich alles richtig gemacht habe. Der zweite Grund ist – vergessen wir bitte nicht das neue Wahlrecht und die neuen Stimmzettel! Bei den Bundestagswahlen in Deutschland gibt es seit 30 Jahren dieselben Wahlmodalitäten, die Bürger wissen, wie gewählt wird. Genau wie bei den Landtagswahlen. Bei den Parlamentswahlen gibt es jedes Mal ein anderes Wahlsystem. Das kann natürlich auch dazu führen, dass ungültig oder weiß gewählt wird: Nicht jeder beschäftigt sich ausführlich mit dem Wahlsystem, hält dann jedes Mal einen anderen Wahlzettel in den Händen und hat Zweifel, wie genau gewählt wird. Kein Wunder! Ich hoffe ja, dass es irgendwann ein stabiles Wahlgesetz gibt und der Bürger zehn, zwanzig Jahre gleich wählen kann.

Unser Auftrag in Rom ist klar: Selbstverwaltung und Autonomie sicherstellen und weiterentwickeln.

Wie interpretieren Sie das Wahlergebnis in der Stadt Bozen, wo Sie SVP-Stadtobmann sind? Die 5 Sterne Bewegung ist mit 22 Prozent die stimmenstärkste politische Kraft, die Lega hat viel Zuspruch erhalten, CasaPound kommt auf 5 Prozent.

In der Stadt Bozen haben sich die italienischen Zustände offenbart. Die SVP hat wieder die rund 7.000 Stimmen von den vergangenen Gemeinderatswahlen erhalten. Wobei ich auch hier sagen muss, dass es unheimlich schwer war, die deutschsprachigen Bürger zu mobilisieren. Ich glaube, dass die Mobilisierung unter den deutschsprachigen Wählern weniger stark, bei den Italienern hingegen voll erfolgt ist – und das Wahlverhalten der Italiener die italienischen Zustände eins zu eins widerspiegeln.

Welche Erklärung haben Sie dafür?

Eine Interpretation meinerseits in diesem Zusammenhang ist, dass der Wahlkampf einzig über Fernsehen und Social Media ausgetragen wurde. Die italienischen Bozner schauen eben die nationalen Sender und sind voll im nationalen Kontext drin. Ähnlich die Situation in Leifers – auch dort wurde das italienische Ergebnis von den italienischsprachigen Wählern reproduziert. Überall, wo das italienische Fernsehen keine zentrale Rolle spielt, ist Südtirol nicht Italien.

Sprich, die italienischsprachigen Wähler haben vielmehr die nationalen Parteien gewählt als die lokalen Vertreter dieser Parteien in Südtirol?

Meine Interpretation ist eindeutig: Die italienischen Bozner haben voll im nationalen Kontext gewählt. Während die deutschen Bozner nicht so sehr mobilisiert wurden, weil sie den Eindruck hatten, es passt eh alles. Diese Kombination muss man sich anschauen und ernst nehmen, aber sie ist durchaus interessant. Der Beweis für meine These, dass in Bozen die italienischen Verhältnisse voll durchgebrochen sind, ist das Wahlergebnis der Lega: 17 Prozent. Die Lega kennt niemand, niemand kennt deren Akteure! Es wurden nicht die Menschen gewählt, sondern der italienische Trend!

Können vor diesem Hintergrund aufgrund des Wahlergebnisses vom 4. März Prognosen für die Landtagswahlen gemacht werden?

Nein – weder für die Landtagswahlen im Herbst noch für die Gemeinderatswahlen 2020. Ich glaube – und das ist keine Floskel –, dass es um andere Dinge geht. Da gibt es keine nationale Presse, keine dieser unsäglichen TV-Diskussionsrunden, die ich mir schon gar nicht mehr anschaue. Solche Szenen gibt es bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen nicht! Da wird die Meinungsbildung hier in Südtirol betrieben – im Land, in der Stadt. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir sowohl bei den Landtags- als auch bei den Gemeinderatswahlen die Bürger überzeugen können, dass Stabilität und Berechenbarkeit ein Wert in der Politik ist. Bei diesen Parlamentswahlen hatten diese Werte offensichtlich keine Bedeutung.

Stichwort Berechenbarkeit: Die SVP schickt drei Senatoren nach Rom – vier, wenn man Gianclaudio Bressa dazuzählt, der für den PD mit Unterstützung der Volkspartei gewählt wurde. In der vorherigen Legislaturperiode waren es drei. Wie wichtig ist diese gestärkte Vertretung Südtirols in Rom? Insbesondere wenn man bedenkt, dass der Bündnispartner der SVP im Trentino keinen einzigen Senator entsendet und in Rom mit dem Sieg der 5 Sterne Bewegung und einer starken Lega unsichere Zeiten bevorstehen dürften?

Wie immer ist die geschlossene Vertretung Südtirols wichtig in Rom. Ich behaupte, dass wir dort inzwischen eine Marke sind. Bei dem ganzen casino, den es dort unten gibt, wird die Marke SVP von links und rechts anerkannt. Man schaut auf uns und sagt, die sind imstande, in Rom mit einer Stimme aufzutreten. Während man sich in Italien nicht mehr auskennt – mittlerweile gibt es keine Partei, die mehr als zehn Jahre überdauert –, gibt es da oben die Volkspartei, das Edelweiß, das seit nunmehr 70 Jahren mit einer klaren Linie in Rom vertreten ist. Auch wenn wir nur zu dritt oder zu viert in den beiden Kammern sind – man schaut sehr wohl auf Südtirol. Egal was passiert, die marschieren nach Rom – das beeindruckt, wird ernst genommen. Und gibt uns Kraft. In dieser Legislaturperiode, wie sie sich jetzt ankündigt, ist es besonders wichtig, dass wir stark auftreten und nicht zerfledert sind.

Wie gut kennen Sie Ihre zukünftigen Südtiroler Senatskollegen Julia Unterberger und Meinhard Durnwalder?

Meinhard, der SVP-Bezirksobmann im Pustertal ist und mit mir in der Parteileitung sitzt, kenne ich natürlich schon länger. Er ist ein Pusterer wie ich. Auch Julia kenne ich schon lange, wir waren zusammen im Landtag, sie war meine Nachfolgerin als Präsidentin. Im Wahlkampf habe ich sie neu kennengelernt. Ich behaupte, dass wir drei ein gutes Team bilden werden. Dazu ist zu sagen, dass ich auch Gianclaudio Bressa schon lange kenne. Entsprechend zuversichtlich bin ich. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Änderung der Geschäftsordnung von Karl Zeller noch durchgegangen ist. Die ermöglicht, dass die Autonomiegruppe im Senat nicht als Untergruppe der Gemischten Fraktion besteht, sondern als eigenständige Fraktion mit fünf und nicht wie normalerweise zehn Mitgliedern. Gerade in Zeiten, in denen man sich in einer Minderheitenposition befindet bzw. nicht sagen kann, die Regierung ist auf deiner Seite, ist es ganz ganz wichtig, dass die parlamentarischen Instrumente voll ausgenutzt werden können. Als eigenständige Fraktion ist das möglich.

Es wird auch in dieser Legislaturperiode eine Autonomiegruppe im Senat geben?

Natürlich! Wir sind fünf Autonomisten – unsere vier Senatoren plus der Aostaner Kollege. Darüber hinaus haben wir gute Kontakte ins Friaul, einer weiteren Region mit Sonderstatut, deren Senatoren in die Autonomiegruppe aufgenommen werden könnten. Und ich sage, wir werden noch froh sein um diese Gruppe in den kommenden Jahren!

Wer wird nun der erste Ansprechpartner der SVP in Rom sein? Am Montag Abend hat der bisherige Verbündete Matteo Renzi verkündet, mit dem PD in die Opposition zu gehen. An wen wenden Sie sich mit Ihren Anliegen?

Wir Südtiroler Abgeordnete – zumindest jene der Volkspartei – haben einen klaren Auftrag: Wir haben dafür zu sorgen, dass unsere Selbstverwaltung garantiert bleibt und wenn möglich ausgebaut wird. Wir haben die Aufgabe, die Autonomie abzusichern. Das bedeutet auch, dass wir ideologisch offen sind.

In alle Richtungen?

Wir werden mit all jenen Kräften reden, die zumindest ein Grundverständnis für die Autonomie entwickeln. Wer die sein werden, kann ich derzeit noch nicht sagen. Heute schaut es so aus, als ob wir allein auf weiter Flur wären. Morgen kann es anders ausschauen. Ich erinnere an die Legislaturperiode 2013-2018. Am Anfang sah es nach komplettem Chaos aus. Fakt aber ist: In den vergangenen fünf Jahren hat man viel für die Autonomie tun können. Ich garantiere Ihnen: Hätten Sie die Abgeordneten und Senatoren nach der Wahl im Frühjahr 2013 gefragt, hätten sie gesagt, dass es eine schwierige Legislatur wird. Fünf Jahre später kann man sagen, es war eine der erfolgreichsten Legislaturen.

Sie sind optimistisch?

Ich behaupte nicht, dass die kommende erfolgreicher sein wird oder erfolgreich. Ich sage nur, dass man es noch nicht sagen kann. Man muss von Anfang an mit allen sprechen. Natürlich kann man nicht mit denen sprechen, die dir ins Gesicht sagen, dass die Autonomie ein Blödsinn ist. Das ist klar. Aber du musst auf all jene zugehen, die dir zumindest zuhören oder bei denen du das Gefühl hast, sie für deine Anliegen überzeugen zu können. Das wird unser Job sein, dafür sind wir da.

Wie geht es jetzt im Landtag mit Ihnen weiter?

Ich werde nicht mehr lange im Landtag sein. Soweit ich weiß, findet am 23. März die erste Sitzung des Senats statt. Ich muss noch genau verstehen, wie der Übergang vonstatten geht, aber ich gehe davon aus, dass ich die Landtagssession Anfang April noch mitmache – dann stehen vier Gesetze auf der Tagesordnung, die ich noch geordnet über die Bühne bringen möchte. Danach bin ich weg.

An Ihre Stelle rückt bis Ende der Legislaturperiode der Nächst-Meistgewählte auf der SVP-Liste von 2013 nach. Das wäre Otto von Dellemann.

Wenn er das Mandat annimmt, rückt der Nächstgewählte für mich nach.

Einen Nachfolger braucht es auch für Ihren Posten als SVP-Fraktionssprecher im Landtag. Wurde parteiintern schon darüber gesprochen?

Nein. Das wird die Fraktion bestimmen, da kann ich nicht mitreden. Ich habe einen Stellvertreter (Oswald Schiefer, Anm.d.Red.), aber diese Entscheidung wird die Fraktion nach meinem Ausscheiden aus dem Landtag treffen. Problem sehe ich keines, wir haben viele fähige Leute, die diese Aufgabe übernehmen können.