Gesellschaft | Musikologie

Wo Brücken aus Tönen gebaut werden

Der junge Masterstudiengang „Musikologie“ an der unibz ist zwar sehr klein, hält für Studierende verschiedenster Fachrichtungen aber nicht nur fachlich viel bereit.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: unibz

Eintausendsechshundert Kilometer legte die Studierende Franka Deister vor einem Semester zurück, um ihr Wunschfach zu studieren. Eine Kommilitonin überwand gleich mehrere Landesgrenzen, als sie ihren Wohnort wegen des Studiums von Minsk nach Bozen verlegte. Denn die Freie Universität Bozen bietet mit dem Masterstudiengang „Musikologie“ ein ganz besonderes Fach an. Musikologie ist nicht weit verbreitet, so gibt es etwa in Deutschland nur einen vergleichbaren Studiengang. Außerdem werden in Bozen sowohl AbsolventInnen von Konservatorien, als auch Bachelor – AbsolventInnen für den dreisprachigen Master zugelassen. Die Schwierigkeit eines Wechsels zwischen beiden Ausbildungsformen in der Musikwissenschaft ist damit aufgehoben. Insbesondere fachlich geht der Bozener Master in Musikologie einen Schritt weiter als die klassische Musikpädagogik. Über den Schulkontext hinaus geht es im Schwerpunkt Musikvermittlung laut Franka Deister vielmehr darum, „in jeglichem Setting, auch mit Erwachsenen oder Senioren, die Brücke zwischen den Hörenden und der Musik herzustellen“.

 

Um in Theorie und Praxis ihrer gemeinsamen Leidenschaft, der Musik, nachzugehen, gründeten die aktuell sieben Studierenden des Masters Musikologie den Music Point. Alle paar Wochen treffen sich die Studierenden in lockerem Rahmen, um gemeinsam zu musizieren oder sich mit musikwissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen. In den bisherigen sechs Sitzungen ging es  bunt gemischt um eine chorpädagogische Einführung in die Mehrstimmigkeit, theaterpädagogische Aufwärmspiele, gemeinsames Musizieren oder um eine neue Methode des Dirigierens. „Die Idee war, einen Rahmen zu haben um gemeinsam Musik zu machen und zu teilen, was wir haben, können und wollen. Wir bringen alle ganz unterschiedliche Hintergründe mit“, sagt der Student Emanuele Galvan. Außerdem ist der Studiengang ziemlich international, die aktuellen Studierenden kommen etwa aus Deutschland, Italien und Weißrussland. Gemeinsam versetzen sich die jungen Musiker wortwörtlich in Schwingung, wenn sie Musik machen. „Man formt gemeinsam ein Gebilde und erzeugt etwas, in dem jeder auf den Anderen Acht geben muss. Dabei sind wir alle auf Augenhöhe, ich zeige mich verletzlich.“, sagt Franka Deister. Bei einem Music Point etwa haben alle auf Instrumenten improvisiert, die sie eigentlich gar nicht spielen konnten. Die Vertrautheit innerhalb des kleinen Studiengangs spielt für Deister eine wichtige Rolle, auch wenn die „Größe“ des Masters sie im Vorhinein hätte abschrecken können. Deister wusste aber nicht, dass sie nur sechs KommilitonInnen haben würde.

 

Generell ist die größte Hürde für den Master Musikologie zu wissen, dass es diesen Studiengang gibt. Selbst in Bozen, wo es bereits ein Konservatorium gibt, ist der Studiengang kaum bekannt. Da scheint es beinahe an ein Wunder zu grenzen, dass sogar eine Studierende aus Minsk den Master finden konnte. Dafür genießen die Studierenden ein enges Betreuungsverhältnis mit ihren Professoren. Mehrere Tage auf eine Antwort vom Dozenten warten zu müssen kommt so nicht vor. Auch zu den Music Points kommen Professoren gelegentlich, um Input zu geben oder einfach mit zu machen. So verschwimmen die Hierarchieebenen zwischen Studierenden und Professoren, wie sie Deister etwa aus ihrem Bachelor kennt. Auch ihr Kommilitone Galvan schätzt den Umgang miteinander sehr: „Es herrscht große Offenheit, alle die teilnehmen, probieren etwas gemeinsam aus. Da stellt sich dann auch unser Professor mitten unter uns und wir versuchen zusammen, einen umgeschriebenen Choral aus J.S. Bachs Orgelbüchlein zu singen.

 

Die Music Points sind offen für alle Interessierten, auch wenn die Veranstaltung derzeit nicht beworben wird. Darüber hinaus gibt es im Rahmen eines Seminars lose Veranstaltungen, in denen das breite Thema „Musik und Migration“ behandelt wird. Mit der Kinogruppe der Uni Bozen etwa diskutierten die Studierenden darüber, ob Musik Sozialarbeit sein kann. Als Nächstes sind ein Workshop mit dem Rapper Napoleon Maddox zum Thema HipHop und soziale Inklusion geplant sowie eine Kooperation mit der Universität Innsbruck zum Jazz. Diese Veranstaltungen stießen bei Externen bereits auf großen Anklang. Trotz der vielen Möglichkeiten, sich in die Weiterentwicklung des Studiengangs einzubringen, empfindet Deister keinen höheren Druck als bei anderen Studiengängen. So nimmt die Organisation des Music Points für sie etwa eine halbe Stunde in Anspruch, eine ihrer Kommilitoninnen studiert sogar in Teilzeit neben ihrer Berufstätigkeit. In den Vorlesungen gibt es keine Anwesenheitspflicht, sondern die Kurse können auch „non-attending“ absolviert werden.

 

Diese offene und vertraute Art des Umgangs miteinander spiegelt sich auch im Weltbild der Studierenden wieder. „Gerade in Südtirol, einer Europaregion, fühle ich mich als Weltenbürgerin. Ich würde mich eher als Weltbürgerin, weniger als Deutsche, bezeichnen. Die Musik, die man macht, ist ja nie losgelöst vom Mensch mit seinen Hintergründen. Das spiegelt sich auch in den individuellen Perspektiven und Zielen, wo jemand hin möchte, wieder“. Obwohl sie das Gleiche studieren, streben die Studierenden ganz unterschiedliche Berufsfelder an. Deister möchte in der Musikvermittlung tätig werden, während ihre KommilitonInnen etwa in der Lehre, der Musikproduktion, an Oper und Theater arbeiten oder in Archiven alte Choräle erforschen möchten.

 

Der nächste Music Point findet am 02. Mai um 18:00 Uhr im Missionshaus (G.01) der Universität Brixen statt. Unter dem Titel „Musica sacra dai manoscritti del Tirolo storico“ wird ein Vokaltrio singen. Hintergrundinformationen zu mittelalterlichen und alten sakralen Chorälen von Professor Gabrielli runden den Music Point ab.

 

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Franz Hilpold Di., 02.10.2018 - 22:10

"Musikologie" hat es seit jeher am Konservatorium gegeben. Das Wort ist eine ungeschickte Eindeutschung vom italienischen "musicologia", was soviel wie Musikwissenschaft bedeutet. Der Lehrgang ist entstanden, um das Konservatorium auszuhebeln, gegenüber dem die Uni in Brixen stets einen Minderwertigkeitskomplex hatte, zumal am Konservatorium ausgebildete Lehrer unterrichten, was man von den "Professoren" an der Uni im Bereich der Musik nicht behaupten kann. Die Einrichtung einer Fakultät für "Musikologie" ist also eine Doppelung, so nötig und und nützlich wie ein Kropf. Dafür sollte sich der Rechnungshof interessieren, der ja sonst so eifrig ist, auch da wo alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Die Anmaßung nicht zustehender Titel ("Professor Gabrielli" - im Artikel oben) ist eine in Südtirol so verbreitete Praxis, dass man sie wohl auf lange Sicht nicht auszumerzen vermag.

Di., 02.10.2018 - 22:10 Permalink