Wirtschaft | Gastbeitrag

Allheilmittel oder trojanisches Pferd?

Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstitutes AFI über die Zweifel am Bürgereinkommen ("reddito cittadinanza").
Pferdeskulptur
Foto: Pixabay

Nach Angabe der Zeitung "Il Sole 24 Ore" soll das Bürgereinkommen 2,5 Millionen Familien in Italien zugutekommen, davon rund 5.000 Südtiroler Familien. Ordnet man das Bürgereinkommen der Sozialhilfe zu, greift der Staat in einen Bereich ein, in dem Südtirol primäre Zuständigkeit hat. Die Frage ist, ob wir unser bewährtes System der Mindestsicherung aufgeben wollen für etwas, von dem wir weder wissen, ob es funktioniert, noch ob es hält.

 

Das Bürgereinkommen ("reddito di cittadinanza") soll mit 1. April 2019 Realität werden. Positiv ist, dass die italienische Regierung die Armutsbekämpfung zur politischen Priorität erklärt hat und dass eine effektive Bereitschaft besteht, den Wohlfahrtsstaat neu zu gestalten.

Doch die Zweifel beim AFI sind beträchtlich. Zunächst stellt das Bürgereinkommen einen großen Eingriff in die Architektur der Wohlfahrtsleistungen dar und kollidiert mit bestehenden Sozialleistungen, allen voran mit dem Arbeitslosengeld NASPI ("Nuovo Assegno Sociale per l’Impiego") und dem Inklusionseinkommen REI ("reddito di inclusione").

Man muss achtsam überlegen, ob man zulassen will, dass das gesamtstaatliche System auf Südtirol übergestülpt wird oder ob man an der Südtiroler Mindestsicherung nach österreichischem Vorbild festhalten will.

Damit das Bürgereinkommen funktionieren kann, benötigt es entsprechende strukturelle Voraussetzungen (Stärkung Arbeitsvermittlungszentren, Schaffung einer genügenden Anzahl von Arbeitsangeboten, flankierende Berufsbildung, Vernetzung der Informationstechnik), die realistisch gesehen eine Vorlaufzeit von fünf Jahren benötigen.

Dazu gesellen sich Zweifel inhaltlicher Natur und über den verwaltungstechnischen Ablauf. Nicht ausreichend durchdacht ist insbesondere die Koexistenz des Bürgereinkommens mit bestehenden Wohlfahrtsleistungen, insbesondere wenn sie unterschiedliche Zuständigkeitsebenen (Staat, Region, Autonome Provinzen, Bezirke) betreffen.

Die Zweifel beim AFI sind beträchtlich.

In einer speziellen Situation befindet sich Südtirol, das in Sachen Sozialhilfe kraft Autonomiestatut primäre Zuständigkeit genießt. Man muss achtsam überlegen, ob man zulassen will, dass das gesamtstaatliche System auf Südtirol übergestülpt wird oder ob man an der Südtiroler Mindestsicherung nach österreichischem Vorbild festhalten will.

Zu bedenken ist, dass die Situation von Arbeitsmarkt und Gesellschaft in Südtirol nicht mit jener Gesamtitaliens gleichzusetzen ist, und dass deshalb die Effektivität des verabschiedeten Bürgereinkommens unter jener der bewährten Südtiroler Mindestsicherung liegen kann. Nicht zuletzt ist der Aufwand zu berücksichtigen, den die mutmaßliche Umstrukturierung bzw. Aufwertung der Arbeitsvermittlungszentren ("centri per l’impiego") mit sich bringen wird, wogegen die Sozialsprengel abgewertet werden.

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Benno Kusstatscher Mo., 07.01.2019 - 19:39

Wenn das Verhältnis so stimmt, 2.5 Mio italienweit und 5000 in Südtirol, dann handelt es sich effektiv um eine solidarische Transferleistung. Wie geht das jetzt mit dem, vom Kompatscher ausgehandelten, planbaren Steuersatz zusammen, den das Land abführt? Wird aufgestockt, oder die Solidarität versagt?

Mo., 07.01.2019 - 19:39 Permalink