Tunnel
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Politik | Das Tunnel-Theater

"La crisi è già aperta"

Ein bizarrer Tunnelstreit entzweit die Regierungsparteien.
Seit der Vereidigung des Kabinetts vor neun Monaten sind sie das Markenzeichen einer Regierung, die nicht als Koalition bezeichnet werden will, sondern als Zweckgemeinschaft zur Abwicklung eines gemeinsamen Programms: die politischen Verrenkungen und unnatürlichen Kompromisse zweier Regierungspartner, deren Programme meilenweit voneinander entfernt sind, prägen seither  das Bild. So musste die Fünf-Sterne-Bewegung gegen ihre Überzeugung die richterliche Verfolgung Salvinis stoppen, die Lega die Kröte des Grundeinkommens schlucken. Fast täglich prallten im Parlament entgegengesetzte Anschauungen aufeinander – etwa Visionen einer Autonomie, die Norden und Süden der Halbinsel tief spalten und gegeneinander aufbringen..
 
Ein permanentes Flickwerk versucht, die wachsenden Gegensätze so gut als möglich zu übertünchen. Was man nicht lösen kann, wird hinausgeschoben. Man musste kein Prophet sein, um das Ende dieses Seiltanzes vorherzusehen. Dass die politischen Visionen der ultrarechten Lega und der alternativen Fünf-Sterne-Bewegung in vielen Bereichen unvereinbar sind, liegt auf der Hand. Zum Bruch kam es nun bei einem seit Jahren umstrittenen Grossprojekt: der Hochgeschwindigkeitsstrecke durch die Cottischen Alpen von Turin nach Lyon. Ein Projekt, an dem sich seit Jahren die Geister scheiden und das bisher sowohl von Italien als auch von Frankreich eher halbherzig vorangetrieben wurde. Nach tagelangem Tauziehen hat Regierungschef Giuseppe Conte am Donnerstag ein Machtwort gesprochen und die gut 50 Kilometer lange Tunnelröhren aufs Eis gelegt, weil es  "berechtigte Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Grossprojekt" gebe. Für die Bewegung nach den schweren Wahlniederlagen der letzten Monate Anlass zum Aufatmen, für die Lega eine absolut unverdauliche Entscheidung.
 
Denn für die Unternehmer des Nordens ist das Projekt unverzichtbar, seine Absetzung ein neuer Beweis für Italiens angeschlagene Glaubwürdigkeit in Europa. Hinter der Tunnelröhre steht der wohlhabende Norden Italiens, nicht aber der Süden, in dem die Fünf-Sterne-Bewegung ihr Wählerreservoir hat. Klarer als Veneto-Präsident Luca Zaia konnte man es nicht ausdrücken: "Per la gente del nord un No alla TAV è inaccettabile." Eine Glaubensfrage in einem Religionskrieg – unabhängig von der seit Jahren dauernden Diskussion um die Sinnhaftigkeit des Tunnelprojekts. 
 
Die Hochgeschwindigkeitsstrecke lässt nun die politische Rhetorik blühen. Salvini: "Vado fino in fondo. La pazienza é finita. Siamo stanchi dei troppi No." Luigi Di Maio: "Sono sbalordito dalla minaccia di crisi di governo." Salvini: "Sono per fare e non per disfare." Di Maio: "Non si può mettere a rischio un governo per un tunnel."
 
Das politische Hickhack und die gekünstelte Entrüstung sind freilich nur für die TV-Kameras bestimmt. Denn sowohl Di Maio als auch Salvini wissen, dass bereits am Montag der Vorstand der italienisch-französischen Tunnelgesellschaft Telt zusammentritt, um die Arbeiten für die Fortsetzung des Basistunnels auszuschreiben. Veranschlagte Summe: 2,3 Milliarden Euro.
Dagegen wird die Fünf-Sterne-Bewegung nicht offiziell protestieren: "E´solo un atto burocratico." Doch sie benötigte mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen in der Basilicata einen Scheinerfolg. Dass der freilich nach den jüngsten Schlappen in Sardinien und den Abruzzen für ein positives Wahlergebnis reicht, glaubt kaum jemand. Deshalb muss das politische Klima ordentlich aufgeheizt werden. Dafür sorgt der M5S-Staatssekretär im Regionenministerium, Stefano Buffagni: "La crisi? E`già aperta."