Gesellschaft | Flüchtlinge

Vom Kampf gegen Windmühlen

Flüchtlingshelfer schlagen Alarm: Immer öfter stoßen sie bei ihrer Freiwilligenarbeit an Grenzen – und durch das “decreto insicurezza” verschärft sich die Lage erneut.
Renate Mumelter, Karin Cirimbelli
Foto: Salto.bz

Nennen wir ihn Tic Tac. “Das bedeutet wie geht es dir auf Urdu”, lächelt Karin Cirimbelli. Kennengelernt hat sie Tic Tac im Bahnhofspark in Bozen. Am 29. November 2016, also vor genau fast zwei Jahren, war Karin Cirimbelli zum ersten Mal dort, um sich der Menschen, die auf ihrer Flucht in Bozen gestrandet sind, anzunehmen. Es ist nicht ihre Aufgabe, doch die Immobilienmaklerin hat sich selbst den Auftrag erteilt. Inzwischen ist Cirimbelli als Präsidentin des Vereins SOS Bozen zum Gesicht der zahlreichen Freiwilligen geworden, die sich ehrenamtlich und aufopferungsvoll um Flüchtlinge kümmern. Doch viele können nicht mehr. Immer öfter stoßen sie an Grenzen, die nicht die ihren sind. Sondern jene, die ihnen Institutionen und Gesetze aufbürden. “Basta!”, sagen Karin Cirimbelli und Renate Mumelter.
Auch Mumelter hat vor zwei Jahren begonnen, sich für Flüchtlinge zu engagieren. Im “Gruppo Mamme” der Caritas begleitet die pensionierte Journalistin Frauen – alleinstehend, schwanger, mit Kindern – auf ihrem Weg. Von den Hürden, die dabei lauern, berichten Cirimbelli und Mumelter am Donnerstag im Bozner Filmclub: die Irrgänge durch den bürokratischen Dschungel, das Anklopfen bei Sozialdiensten, damit junge Menschen und Frauen mit Kindern nicht auf der Straße landen oder Zugang zum Gesundheitssystem erhalten. Und der Kreuzesweg endet etwa nicht, wenn nach Monaten der Bescheid aus Verona kommt, der den Flüchtlingen vorübergehenden Schutzstatus verleiht.

Von einer Mutter mit Kleinkind erzählt Renate Mumelter. Sie nennt die beiden “Hope und Destiny”, Hoffnung und Schicksal. Die Frau war, wie Tic Tac, auf ihrer Flucht mit Ziel Deutschland in Bozen gestrandet. Ihr wurde humanitärer Schutz zugesprochen, sie musste die Struktur, in der sie untergebracht war, verlassen. “In letzter Sekunde konnten wir eine Unterkunft finden”, berichtet Mumelter. Jetzt müsste sich die junge Mutter auf Arbeitssuche begeben, um sich diese leisten zu können und um bleiben zu können. Denn ihre Aufenthaltsgenehmigung läuft im August 2019 aus. “Wie aber soll sie das schaffen, mit einem zweijährigen Kind und ohne ein soziales Netz, das es betreuet während die Mutter arbeitet?”, fragt sich Mumelter. Dazu kommt die hässliche Erfahrung, die Asylwerber mit positivem Bescheid tagtäglich machen: Aufgrund ihrer Herkunft oder gar ihrer Hautfarbe tun sie sich bei der Suche nach Arbeit schwer – ganz zu schweigen bei der Suche nach einer Wohnung.

“Es muss in Sensibilisierung investiert werden”, fordern Cirimbelli und Mumelter – auf beiden Seiten. “Die einheimische Bevölkerung muss den Menschen auf ihrer Arbeits- und Wohnungssuche entgegenkommen und umgekehrt muss es diesen ermöglicht werden, ihr neues Zuhause so problemlos wie möglich zu bewohnen – etwa indem ein Bildungsgang zum Thema ‘Wie lebt man bei uns in Miete?’ angeboten wird.”
Das ist nur eine Forderung, die die beiden Freiwilligen am Donnerstag platzieren. Das Aufnahmesystem in Südtirol besser zu organisieren – “es braucht hier mehr Autonomie und eine bessere Vernetzung zwischen Institutionen, Strukturen, Sozialdiensten und Freiwilligen” – und mehr Geldmittel um zu verhindern, dass schutzsuchende Menschen auf der Straße landen, zwei weitere.
Von den 116 Südtiroler Gemeinden erhoffen sich Cirimbelli und Mumelter, dass sie ein Zeichen setzen und es anderen italienischen Kommunen gleich tun, die Nein zum “decreto sicurezza” sagen. Das umstrittene Dekret von Innenminister Matteo Salvini wurde am Mittwoch im Senat gutgeheißen – die SVP-Parlamentarier und der Landeshauptmann haben sich inzwischen deutlich davon distanziert, da “es im Bereich der Einwanderung bzw. der Asylwerber wesentliche Verschlechterungen für alle mit sich bringt”.

“Decreto insicurezza” nennt Cirimbelli das Dekret, das nun in die Abgeordnetenkammer kommt. Unter anderem sieht es eine Neuregelung des kleinstrukturierten Aufnahmeprogramms für Asylwerber SPRAR. Diese sollen großen Aufnahmezentren weichen – “mit verheerenden Folgen”, warnt Cirimbelli. “Es wird Ängste schüren und soziale Spannungen erhöhen”, erwartet sich auch SVP-Senatorin Julia Unterberger. Denn nur wer im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung ist, hat Anrecht auf eine Unterkunft – Migranten, die theoretisch ausgewiesen werden sollen, werden in die Illegalität gedrängt. Wie es auch Hope und Destiny passieren wird, wenn die Mutter keine Arbeit und keine Wohnung findet. Renate Mumelter und Karin Cirimbelli werden nicht aufgeben, versprechen sie. Aber sie erneuern ihren Ruf nach Hilfe, nach einem “solidarischen Netzwerk”, “denn nur der Wille von allen Seiten – Institutionen, Sozialdiensten, Aufnahmestrukturen, Vereinen und Freiwilligen – erlaubt, echte Integration zu ermöglichen”.

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W. C. Karcher Do., 08.11.2018 - 19:55

Neusprech 1: "auf ihrer Flucht mit Ziel Deutschland"
-> Die korrekte Formulierung lautet "Flucht mit Ziel Sicherheit".

Neusprech 2: "Die einheimische Bevölkerung muss den Menschen auf ihrer Arbeits- und Wohnungssuche entgegenkommen und umgekehrt muss es diesen ermöglicht werden, ihr neues Zuhause so problemlos wie möglich zu bewohnen"
-> "umgekehrt"? Wie jetzt, umgekehrt? Beide Satzteile drücken doch aus, dass die "einheimische Bevölkerung" irgendwas "müssen".

Alle Leute in der Migrationsindustrie, von ganz oben Merkel bis zu den Wohl-Tätern ganz unten, scheinen sich durch eines auszuzeichnen: Perversen Sprachgebrauch.

Do., 08.11.2018 - 19:55 Permalink
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Benno Kusstatscher Do., 08.11.2018 - 21:04

Aber nein, Oliver. Es gibt ja gleich zwei sichere Länder auf dem Weg: Italien und Österreich. Nachdem Dir bei der Bewegungsfreiheit zwischen dort und Deutschland die Unterscheidung zwischen Flucht und Einwanderung so am Herzen liegt, wie könnte ich noch anzweifeln, dass Du, wie in Deiner Selbstdarstellung stets betont, " die Nationalstaaten abwickeln willst"?

Do., 08.11.2018 - 21:04 Permalink
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gorgias Do., 08.11.2018 - 21:24

Die Wahrheit ist, dass sich viele Einwanderer nicht integrieren lassen. Weil ihnen Bildung, Wille und das Festhalten an fremde Sitten und Mentalitäten im Weg stehen, sich oft auch moralisch überlegen fühlen und im Besitz der Wahrheit. Das gilt auch für Flüchtlinge, weil nur weil jemand Flüchtling ist, ist er noch lange nicht ein guter Mensch und wirklich dankbar für die Hilfe. Oft steckt dahinter oft auch versteckter Neid, Feindseligkeit und alle möglichen Ressentiments. Das wurde mir von einigen selbstreflektiven Helfern erzählt.

Es ist auch nicht das Ziel Flüchtlinge zu integrieren, sondern ihnen eine vorübergehende Möglichkeit geben sich aus einer Gefahr zu bringen. Wenn diese Gefahr vorüber ist, dann sollen diese auche wieder zurück und nicht fast forciert integriert werden. Wenn sich Flüchtlinge die rechtens den Flüchtlingsstatus erhalten haben und sich wirklich bei uns integriert haben, weil die Voraussetzungen stimmen, dann sollte auch die Möglichkeit bestehen einen unbefristeten Aufenthaltstitel ohne Flüchtlingsstatus offen sein.

Doch weil viele Flüchtlinge sich nicht gut integrieren lassen und man auch nicht genau weiss wenn sie wieder in ihre Heimat zurück können, ist es wichtig dass man diese Plätze auch nur für jene bestimmt und aufpasst dass man für Wohlstands- und Wirtschaftsmigranten keine Anreize schafft hier her zu kommen und das Asylrecht zu mißbrauchen.

Pathologische Helfer sollen am Besten gleich dorthin fahren, wo die ganzen Asylbetrüger herkommen, dann können sie dort "helfen" ohne dass unsere Gesellschaft hier mit Schaden nehmen muss.

Do., 08.11.2018 - 21:24 Permalink
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W. C. Karcher Do., 08.11.2018 - 21:57

Antwort auf von gorgias

Es ist noch viel krasser. Diese Integrationsideologen hängen einem vollkommen verfehlten Menschenbild an. Die Idee ist, man könne einen Menschen einfach so an einen anderen Ort verpflanzen, das Wertesystem zum Teil austauschen, noch ein wenig umprogrammieren, Sprachkurs, und schon haben wir einen integrierten, zivilisierten Europäer. Man glaubt, die "Probleme" seien durch das Vermitteln von Information zu beheben ("Hier, mach einen Sprachkurs", "Merk dir, bei uns gibts Religionsfreiheit", "Merk dir, bei uns werden keine Frauen vergewaltigt, zerstückelt und aufgefresssen" usw.)
Haben Sie sich mal den durchschnittlichen IQ der Herkunftsländer angeschaut? Haben Sie eine Vorstellung davon, was dahinter steht, was das bedeutet, was das für die psychische Struktur, Charakter, Selbstkompetenz usw. der betreffenden Individuen bedeutet? Es ist noch viel krasser – aber wollen Sie in diese Abgründe blicken?

Man kann immer nur darauf hoffen, dass es dann bei der hier geborenen Folgegeneration (oder der danach) einigermaßen klappt, aber sicher nicht wenn es um Millionen und Millionen geht...

Do., 08.11.2018 - 21:57 Permalink
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gorgias Fr., 09.11.2018 - 14:04

Antwort auf von Oskar Egger

Dann könnte man endlich eine sachliche Diskussion führen ohne diese aufgeladene Stimmung und langfristige und machbare Konzepte überlegen, die nicht dazu führen dass uns in einer Generation alles um die Ohren fliegt. Und auch lernen unsere Grenzen anzuerkennen, denn pathologische Helfer tendieren zur Selbstausbeutung und Selbstschädigung und so eine Mentalität ist das Letze was irgend jemandem nützt.

Fr., 09.11.2018 - 14:04 Permalink
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Michael Bockhorni Sa., 10.11.2018 - 14:56

Antwort auf von gorgias

@Georgias: eine sachliche Diskussion ohne aufgeladene Stimmung wünsche ich mir schon lange. Aber sind dann Ausdrücke wie "alles um die Ohren fliegt", pathologische Helfer" usw. dafür dienlich? Wie sachlich oder pathologisch sind denn Behauptungen, dass ein Land mit mehreren hundert Millionen Einwohnern von etwas mehr als 1000 Menschen überrannt bzw. bedroht wird? Der erste Schritt zur Sachlichkeit ist eine Abrüstung der Worte

Sa., 10.11.2018 - 14:56 Permalink
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gorgias Sa., 10.11.2018 - 15:38

Antwort auf von Michael Bockhorni

Der Diskurs wird von Menschen dominiert, die eben eine Helfersyndrommentalität zu Tage legen. Das Kind beim Namen nennen ist nicht falsch. Wenn der Diskurs auf Sachebene weitergeführt werden soll, bin ich der Letzte der sich dagegen stemmt.

Was um die Ohren fliegen geht, so habe ich genug von diesem sozialen Experiment mit offenen Ausgang bei dem schon die Grünen in Deutschland sogar Bedenken äußern.

https://www.welt.de/politik/ausland/article178154228/Robert-Habeck-zu-D…

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/winfried-kretschmann-will-mae…

Sa., 10.11.2018 - 15:38 Permalink
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gorgias Do., 08.11.2018 - 21:57

Gerade wegen des stets wachsenden Anteils der Zuwanderungsbevölkerung ist es von entscheidender Bedeutung, die Menschen auszuwählen, die dauerhaft ins Land kommen und mittelfristig zu Staatsbürgern werden. In den vergangenen Jahren wurde dies stärker vernachlässigt denn je. Die irreguläre Migration nach Deutschland überwog die gesteuerte über Arbeitsvisa bei Weitem.

Do., 08.11.2018 - 21:57 Permalink
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Benno Kusstatscher Do., 08.11.2018 - 22:08

Charmant, wie Du Deine Nebensätze zum zentralen Diskussionsthema unter diesem Beitrag erklärst. Ich ließ übrigens auch chauvinistisch links liegen, dass nach den auf üblichen Routen durchquerten, ach so friedlichen und prosperierenden Ländern Afrikas der eigentliche Fluchtgrund womöglich die angesprochenen, sklavenähnlichen Verhältnisse in Süditalien sind. Dass uns da keiner durcheinander bringt, bei welchem zurückgelegten Kilometer Flucht endet und Einwanderung beginnt. Bevor jetzt aber böse Zungen behaupten, in der hilf- und haltlos angedeuteten Rassismuspointe einen bekannten, identitären Reflex zu erkennen, wollen wir das lieber beenden. Bei so viel gebotener Angriffsfläche braucht es meine Kommentare auch gar nicht weiter. Von der sachlichen auf die persönliche Ebene bist genau Du erst gestern abgerutscht, da wirkt der heutige Niveau-Vorschlag etwas weniger edel, als Du glauben machen möchtest.

Do., 08.11.2018 - 22:08 Permalink
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Profil für Benutzer W. C. Karcher
W. C. Karcher Do., 08.11.2018 - 22:18

Als guter Linker sind Sie natürlich blind dafür, dass Industrien auch ohne zentrale planende und steuernde Instanz entstehen und organisiert sein können.

Do., 08.11.2018 - 22:18 Permalink
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W. C. Karcher Fr., 09.11.2018 - 10:44

"die Rechtspopulisten" sind wohl in der Regel auch nicht gegen "Wirtschaftsmigranten", sondern gegen Sozialstaatsmigranten.
Der Differenzierungsbedarf ist enorm. Was die Linken "Wirtschaftsflüchtling" nennen, ist nicht der "Wirtschaftsmigrant", obwohl "Flüchtling" fast immer nur "Migrant" meint. Und so weiter.

"in Afrika eine gute Ausbildung gemacht"
Hehehe, guter Witz.

Fr., 09.11.2018 - 10:44 Permalink
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Paul Stubenruss Fr., 09.11.2018 - 11:31

Gestern im Bundestag zum Migrationspakt. Gegenüber den Altparteien in Deutschland können wir auch auf unsere dümmsten südtiroler Politiker noch stolz sein

Fr., 09.11.2018 - 11:31 Permalink
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Christian Mair So., 11.11.2018 - 14:35

Was treibt die Windmühle an?
Ist die Migrationskrise nicht nur ein Symptom, dessen Ursachen woanders liegen und die in der Öffentlichkeit kaum diskutiert werden?
Der Vortrag von Ernst Wolf analysiert politische und wirtschaftliche Zusammenhänge der letzten 10 JAhre
https://www.youtube.com/watch?v=NKhbD-WKA6k&t=2153s

Mich würde Eure Meinung interessieren?
@O.Hopfgartenr? @ChristophMoar? @HaraldKnoflach? @RedaktionSalto? @BennoKusstatscher? @ChristophFrancheschini? @Gorgias @ServusLeute @MenschärgereDichnicht @BrigitteFoppa....?

So., 11.11.2018 - 14:35 Permalink
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Profil für Benutzer Christian Mair
Christian Mair So., 11.11.2018 - 17:42

Was treibt die Windmühle an?
Ist die Migrationskrise nicht nur ein Symptom, dessen Ursachen woanders liegen und die in der Öffentlichkeit kaum diskutiert werden?
Der Vortrag von Ernst Wolf analysiert politische und wirtschaftliche Zusammenhänge der letzten 10 JAhre
https://www.youtube.com/watch?v=NKhbD-WKA6k&t=2153s

Mich würde Eure Meinung interessieren?
@O.Hopfgartenr? @ChristophMoar? @HaraldKnoflach? @RedaktionSalto? @BennoKusstatscher? @ChristophFrancheschini? @Gorgias @ServusLeute @MenschärgereDichnicht @BrigitteFoppa....?

So., 11.11.2018 - 17:42 Permalink