Gesellschaft | Verhaltensökonomie

„Wir werden andauernd manipuliert“

Organspenden, Speisekarten und Apps - wie man Menschen zu ihren Gunsten beeinflusst, erklärt Verhaltensökonom Martin Kocher.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Martin Kocher
Foto: IHS

Martin Kocher ist Verhaltensökonom und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für höhere Studien in Wien, einem Forschungsinstitut für Ökonomie und Politikgestaltung. Am 13. November wird er bei einer öffentlichen Veranstaltung der Uni Bozen über dieses Thema sprechen.

 

salto.bz: Herr Professor Kocher, meine ersten Fragen ergeben sich aus dem Titel der Veranstaltung, zu der Sie nach Bozen kommen werden, ist „Verhaltensökonomie – worum geht es und wie verändert sie die Politik der öffentlichen Hand und Unternehmensstrategien?“

Es geht darum, dass in der Ökonomie ein realistischeres Menschenbild unterstellt wird als der immer rationale Mensch, der seinen Nutzen maximiert. Auch Emotionen sind Motive fürs Handeln und manchmal machen wir Fehler. Und zwar nicht zufällig: Diese Fehler und anderen Einflüsse folgen Mustern. Die können wir nutzen, um das Entscheidungsumfeld optimal für Betroffene zu gestalten. Das ist der große Beitrag der Verhaltensökonomie in ihrer Anwendung.

 

Sie sprechen von Fehlern im rationalen Verhalten – aber handelt der Mensch nicht grundsätzlich nach Impulsen und Routinen und trifft eher selten eine Entscheidung nach rationalen Prinzipien?

Im Moment verwenden wir den Begriff „begrenzt rational“. Denn der Mensch handelt tatsächlich oft nach Mustern, Heuristiken und Entscheidungshilfen, die ihm die Entscheidung erleichtern.
Es hängt vom Kontext ab, wie rational entschieden wird. Zum Beispiel, ob jemand unter Stress steht oder Zeit zum Abwägen hat. Manche Menschen handeln rationaler als andere.
Klar ist, dass die Kriterien für optimales Entscheiden, die wir in der Ökonomie anwenden, meist nicht befolgt werden.

 

In welchen Feldern entscheiden wir eher rational, und wo besonders irrational?

Allgemein kann man sagen: Wenn wir in einem Feld sehr viel Erfahrung haben, lernen wir, was in der Situation optimal ist, und folgen dem dann auch: Wer beispielsweise stundenlang Fußball spielt, weiß, wie er oder sie den Ball zu kicken hat.
Schwieriger wird es in Situationen, die wir weniger häufig erleben und die langfristige Konsequenzen haben – Entscheidungen über Bildung, gesund Leben, ob man raucht oder nicht. Da liegen die potentiell negativen Folgen weit in der Zukunft und für diese Fälle ist erwiesen, dass Menschen sich schwer tun, die für sich optimale Entscheidung zu treffen.
 
Wer bewertet, was „optimal“ ist?

Das ist eine wichtige Frage. Was optimal ist, ergibt sich in der Theorie aus den Präferenzen der Betroffenen. Die kann man zum Beispiel an Plänen und Vorsätzen ablesen.
In der empirischen Forschung können wir die Entscheidungen nur beobachten und müssen davon auf die Präferenzen schließen, und da kann man dann diskutieren, wie die aussehen.
Meistens ist den Leuten bewusst, dass sie sich nicht optimal verhalten, dass sie Dinge tun, die langfristig nicht gut für sie sind.

 

Wie kann man diese Ansätze in der Gestaltung von Policies, also Maßnahmen der Öffentlichkeit und von Unternehmen verwenden?

Erstens kann man die richtigen Anreize setzen – und das sind nicht immer die, welche die ökonomische Theorie unterstellen würde. Wir sehen, dass zu ausgeklügelte Anreizsysteme, zum Beispiel für Mitarbeiter, zu schlechteren Ergebnissen führen.
Zweitens geht es um Faktoren, die Entscheidung beeinflussen. Ganz wichtig ist da die „Voreinstellung“. Ein Anwendungsbeispiel: Bin ich per Geburt Organspender oder nicht? In Deutschland muss man sich in Spenderlisten eintragen lassen, in Österreich austragen. Das dürfte rein rational keinen Unterschied in der Entscheidung machen. Aber im zweiten Fall stehen sehr viel mehr Spenderorgane zur Verfügung.

 

Das klingt aber schon etwas manipulativ: Im Kämmerchen wird beschlossen, was die gute Entscheidung ist. Kann sowas noch demokratisch sein?

Sehr häufig sind Dinge sowohl im Interesse der Öffentlichkeit als auch des Einzelnen. Genau beim Organspenden ist das vielleicht unklar. In diesen Fällen sollte dann auch öffentlich und demokratisch diskutiert werden, und das passiert ja.
Aber wichtig ist: Wann immer ich das Entscheidungsumfeld gestalte, beeinflusse ich die Entscheidung von Menschen. Das muss uns bewusst sein – eine völlig neutrale Gestaltung gibt es nicht. Umso wichtiger ist es, transparent damit umzugehen.
Und außerdem: Wir werden andauernd manipuliert – die  Werbung macht das jeden Tag verdeckt, da kann die Diskussion über solche Beeinflussung nur gut tun, vielleicht macht sie die Menschen gewappneter dagegen.

 

In aktuellen Wahlkämpfen durchaus auch mit brutaleren Mitteln.

Natürlich, da werden Emotionen ausgelöst – diesen Mechanismen kann man sich auch nicht ganz entziehen, selbst wenn man sie erkennt. Aber es hilft dabei, einen Schritt zurück zu gehen und sich zu überlegen, was solche Mechanismen bewirken sollen. Die politisch verwendeten Nudges (so nennt man die verhaltensökonomischen Kniffe, Anm.d.R.) funktionieren oft auch bei voller Transparenz darüber, welches Ziel damit verfolgt wird.

 

Sie haben Organspende genannt – was sind andere vielversprechende Bereiche für Verhaltensökonomie?

Besonders vielversprechend sind Bereiche, wo wir uns schwertun, langfristige Entscheidungen zu treffen und einzuhalten. Zum Beispiel das gesunde Leben, Bildung, effiziente Energie- und Ressourcennutzung.

 

Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Nehmen wir den Bereich Ressourcennutzung. Wenn man den Leuten sagt, dass ein vergleichbarer Haushalt weniger verbraucht als sie, dann reduzieren sie ihren eigenen Verbrauch. Aus ökonomischer Sicht hätte man ja schon vorher den Anreiz gehabt, weniger zu verbrauchen, trotzdem macht es einen Unterschied.
Ein anderes Beispiel sind Schilder, auf denen Informationen stehen wie „95% der Menschen nehmen ihren Müll wieder mit“. Wenn so ein Schild im Park steht, bringt das mehr als eine Verbotstafel.
Beim gesunden Leben geht’s beispielsweise um Erinnerungen an getroffene Vorsätze, zum Beispiel durch eine App. Oder – und hier wird es leicht manipulativ – ich kann Listen so gestalten, dass Menschen eher gesunde Optionen wählen, zum Beispiel Speisekarten. Das machen Restaurants, und Suchmaschinen wie Google machen sich diesen Effekt auch zunutze, für die Platzierung der Werbung.

 

Wo sehen Sie die Grenzen für diese Art der Politikgestaltung?

Es gibt keine Grenzen, die sich aus der Natur der Sache ergeben. Die Potentiale sind groß: Denn man erreicht mit kleinen, kostengünstigen Maßnahmen messbare Fortschritte. Manches funktioniert natürlich nur, wenn ein entsprechendes Bewusstsein da ist, zum Beispiel Vorsätze für ein gesünderes Leben.
Und wie gesagt ist es wichtig, eine öffentliche, transparente Diskussion darüber zu führen, und natürlich muss das alles im Rahmen von Gesetzen passieren. Aber unter diesen Bedingungen sind verhaltensökonomische Maßnahmen eine tolle Sache, denn im Grunde bleibt den Bürgen die freie Entscheidung – im Unterschied zu Verboten.

 

Wie kann man sich Transparenz vorstellen? Muss man irgendwo nachschauen, oder steht ein Hinweis im Kleingedruckten am Ende der Liste?

Nachschauen sollte man auf jeden Fall können. Manches funktioniert auch nicht mehr, wenn man es gleich dazuschreibt. Es gibt zum Beispiel die Erkenntnis: Wenn man in einem Formular irgendwo unterschreiben muss, richtige Angaben gemacht zu haben, dann geben Leute tatsächlich ehrlichere Antworten, wenn diese Unterschrift am Anfang des Formulars erfolgen muss und nicht am Ende, wo man mit dem Formular eigentlich schon durch ist.
Wenn in so einem Fall darauf hingewiesen würde, dass dieser Satz zu dem Zweck am Anfang steht, dass Leute ehrlicher sind, dann wäre der Effekt wohl nicht mehr so groß, denke ich.

 


Der Runde Tisch findet im Rahmen der Reihe „Economic Talks“ am 13. November 2018 von 17.30 bis 19 Uhr auf dem Campus Bozen, Universitätsplatz 1 im Hörsaal D 1.02 statt und wird auf Deutsch mit italienischer Simultanübersetzung abgehalten.