Gesellschaft | Familienpolitik

Aufstand rund ums Kind

Heiße Zeiten für die Familien- und Bildungspolitik. Nach den Kindergärtnerinnen gehen nun auch die Familien mit ihrer Überlastung an die Öffentlichkeit.

„Oft sind wir still gewesen und haben ja und amen zu allem gesagt. Doch irgendwann ist Schluss“, sagt Sudabeh Kalantari Lun von der Initiative Kindergarten Aktuell Südtirol (KAS). Sichtbar wurde dies auch am späten Mittwoch Nachmittag ,.Das war der schönste Flashmob aller Zeiten heut am Magnago-Platz! Bravissime die Kindergärtnerinnen!“, postete die Grüne Brigitte Foppa gestern Abend auf Facebook. „Es reicht uns jetzt, es reicht uns jetzt“, sangen mehrere hundert Kindergärtnerinnen aus ganz Südtirol vor dem Landtag zur Melodie der Vogelhochzeit – und machten damit auf ihre ständig steigende Arbeitsbelastung aufmerksam, der seit gut 15 Jahren weder beim Personal noch bei der Entlohnung Rechnung getragen wird.


Auch der Schnauzer greift das Thema der Kindergärtnerinnen auf.

Doch es sind nicht nur die Kindergärtnerinnen, die beschlossen haben, ihren jahrelangen Frust über fehlende politische Unterstützung  in konkrete Forderungen umzumünzen.  „Wir haben lang genug im Privaten gejammert und geklagt – nun ist es Zeit, dass die Bedürfnisse der Eltern endlich auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden“, sagt auch Elisabeth Vallazza. Die zweifache Mutter aus Vahrn ist Mitbegründerin der Initiative für Vereinbarkeit von Beruf & Familie in Südtirol.  Ein loser Zusammenschluss von Eltern in ganz Südtirol, die genug davon haben, dass Kindergarten und Schule großteils noch immer so organisiert sind wie in den Zeiten, als Mütter vor allem Hausfrauen waren.  Heute dagegen sind es vor allem die Großeltern, die einspringen müssen, um die Anforderungen von Familien und Arbeitswelt irgendwie unter einen Hut kriegen zu können, sagt Valazza. „Ohne Großeltern haben Familien heute keine Chance“, meint sie. Dies treffe nun aber nicht nur auf viele Familien in den Städten, sondern auch auf immer mehr junge Eltern in den Dörfern zu. „Während die 80er-Geburtengänge dort vielfach noch auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen können, stehen die Eltern der 90er-Generation meist noch im Arbeitsleben“, so Elisabeth Vallazza. Doch selbst wenn Großeltern in Rente sind, kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass sie Lücken im öffentlichen Betreuungsangebot stopfen müssen, wird  in Statements einzelner Eltern auf der Homepage klar.

„Eigentlich finde ich es unfair, dass meine Mutter jetzt auch noch ihre Enkelkinder betreuen muss. Sie sollte jetzt eigentlich ihre Pension genießen. Aber meine Arbeit erfordert es, dass ich an drei Tagen in der Woche ganztags arbeite und deshalb sind wir auf sie angewiesen und sehr dankbar, dass sie es macht.“

Umso dringlicher sind die Forderungen, für die auf der Homepage der Initiative Unterschriften gesammelt werden: vom Ganzjahreskindergarten, für den laut Vallazza auch beim Gemeindenverband schon lange Konzepte in der Schublade liegen, bis zu längeren Öffnungszeiten und flexibleren Bring- und Abholzeiten in Kindergärten; von mehr Nachmittag- und Hausaufgabenbetreuung für Schüler bis hin zu garantierten Standards in der Sommerbetreuung von Kindern. „Schulen und Kindergärten sind an über 80 Werktagen im Jahr geschlossen, arbeitnehemende Eltern haben aber nur etwa 30 Urlaubstage zur Verfügung“, macht die Initiative auf ein altbekanntes Problem aufmerksam. Das nun aber nicht mehr länger hingenommen zu werden scheint.

Die Initialzündung für die Gründung der Initiative haben laut Elisabeth Vallazza übrigens die Kindergärtnerinnen gegeben. Oder konkreter: die Ankündigung, die Öffnungszeiten der Kindergärten zwecks Entlastung des Personals zu verringern. „Wir waren so naiv zu glauben, dass  politisch an Verbesserungen der Vereinbarkeit gearbeitet wird“, sagt die Mutter von zwei Kleinkindern.  „Als wir dann vor zwei Monaten erkannten, dass statt dessen auch noch abgebaut wird, wurde uns klar, dass wir nicht mehr länger still bleiben können.“ Vor allem. weil Eltern immer noch ein wirkliches Sprachrohr fehle, findet Vallzza. „Alle haben ihre Gewerkschaften oder sonstigen Vertreter, doch die Position der Eltern droht in der öffentlichen Diskussion unterzugehen.“

"Ich knicke sicher nicht ein.  Und ich hoffe, dass uns diese Aufbruchsstimmung erhalten bleibt und uns noch so lange trägt, bis wir eine zufriedenstellende Lösung für alle Seiten, aber vor allem für die Kinder finden.“

Zumindest moralische Unterstützung bekommt die Initiative durch den Landesbeirat für Chancengleichheit, dem sie ihre Anliegen bereits vorgestellt hat. Auch dort hat man sich trotz Verständnis für die Position der  Kindergärtnerinnen klar gegen die Kürzung der Betreuungszeiten am Freitag ausgesprochen. „Wir brauchen mehr Flexibilität und einen Ausbau der Kinderbetreuung“, sagt Präsidentin Ulrike Oberhammer.

Nun wird sich zeigen, ob Südtirols Eltern eine ähnliche Entschlossenheit entwickeln wie die Kindergärtnerinnen unter ihrer charismatischen Sprecherin Sudabeh Kalantari Lun. „Ich knicke sicher nicht ein“, versprach sie am Donnerstag im Morgentelefon von RAI Südtirol. „Und ich hoffe, dass uns diese Aufbruchsstimmung erhalten bleibt und uns noch so lange trägt, bis wir eine zufriedenstellende Lösung für alle Seiten und vor allem für die Kinder finden.“

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Stereo Typ Do., 12.05.2016 - 13:21

Die Sache ist die, dass ein Drittel des Jahres die Pforten von Kindergärten und Schulen geschlossen sind. Berufstätige Eltern haben da keine Chance, und nicht jeder kann auf die Großeltern zurückgreifen. Also zurück zum 1960er-Jahre- Prinzip: Einer von beiden verdient übermäßig gut, der andere kann zu Hause bleiben? Und wieder Kinder mit nur einem Wochenend-Papa, einer Wochenend-Mama?

Do., 12.05.2016 - 13:21 Permalink