Gesellschaft | Journalismus 2.0

User und Kommunikator in Personalunion

Beim Festival dello Sport diskutierte ein Expertenpanel über Journalismus um digitalen Zeitalter. Der Branche befindet sich in einem Prozess voller Herausforderungen.
Festival dello Sport 1
Foto: Salto.bz

Salto.bz versteht sich nicht nur als Informationsplattform. Ein Aspekt, der in der Redaktion großgeschrieben wird, ist die Community. Das Ziel ist, die Interaktion zwischen Information und Rezipient anzufeuern und den User dazu zu bringen, aktiv am Informationsaustausch und sogar an der Informationsbeschaffung zu beteiligen. Die Information ist heutzutage nämlich kein Privileg der zahlreichen Medienhäuser mehr. Das Monopol der Beschaffung und Verbreitung hat sich mit dem digitalen Zeitalter und besonders durch die Etablierung von Social Media nämlich schrittweise aufgelöst. Jeder kann mit gewisser Sichtbarkeit im Web mittlerweile Information und seine Meinung dazu weitergeben. Jedoch birgt gerade dieses Phänomen – neben den zahlreichen Vorteilen – einige Risiken, derer sich die Medien und ihre Mitarbeiter mit großer Sorgfalt annehmen müssen.

„Es gibt eine Verschiebung im Aufgabenfeld von Journalisten”, sagt Andrea Di Caro, stellvertretender Leiter der Gazzetta dello Sport, im Rahmen eines Panels mit anderen Granden der Branche  beim hauseigenen Festival dello Sport in Trient. „Für Aktualität sorgen mittlerweile die User auf den SM-Plattformen. Unsere Aufgabe und Pflicht ist es, die Glaubwürdigkeit der Informationen zu prüfen und zu analysieren sowie die Themen zu vertiefen.“ Meint er damit, dass es etwa bisher nicht die Aufgabe eines Journalisten war, seine Inhalte zu prüfen und mit Argumenten und Stimmen zu untermauern? Oder, dass es mittlerweile reicht, in der Redaktion zu sitzen und Twitter oder Facebook nach Schlagzeilen zu durchforsten? Nein, Di Caro will damit sagen, dass der gemeine Journalist zur reinen Informationsbeschaffung nur noch marginal gebraucht wird. Die Verschiebung findet dahingehend statt, als man als Redaktionsschreiberling mittlerweile in der Verantwortung ist, die partiell schon zu Verfügung stehenden Informationen zu filtern, korrekt zu analysieren, auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und schließlich so objektiv wie möglich zu vertiefen, bevor man sie weitergibt. Dabei spricht er vom „giornalismo commentato, non raccontato“.

Die Etablierung mehrerer Social-Media-Plattformen als Schlagzeilen-Generator, allen voran Twitter, war den Medienhäusern anfangs ein Dorn im Auge. Klar, niemand gibt gerne ein Monopol auf, außerdem begann man langsam an der Existenzberechtigung der Journalisten zu zweifeln. Noch mehr, als man es mit feinstem Zynismus durchsetzt in diesem Beruf eh schon zu hören kriegt. „Wir hatten wie aus dem Nichts neue Konkurrenz durch die eigene Kundschaft“, erklärt Emmanuel Alix, Leiter der Digitalausgabe der französischen Sportzeitung L’Equipe. „Das Paradoxe daran ist aber, dass es mittlerweile eine Chance darstellt. Noch nie hatten wir so viel potenziellen Content zur Verfügung.“ Was hier im Kontext zu social-mediawütigen, jungen Sportlern gestellt wird, lässt sich gut auf die Medienwelt im Generellen übertragen. Was auch immer gerade in der Weltgeschichte gerade so vorfällt, man kann sie sicher sein, dass Twitter es schon fünf Minuten davor wusste. Im TV, Radio oder auf Newsportalen können gut und gerne zehn Minuten verstreichen, bevor erste Infos eintrudeln.

Jedoch wirft diese Entwicklung schon oben genannte Risiken auf. „Fake News“  - mittlerweile ein schon inflationär gebrauchter Begriff, der nichtsdestotrotz nichts an Aktualität eingebüßt hat. Noch nie war es so leicht, Dinge in die Welt zu posaunen und als wahr darzustellen, obwohl es sich um teilweise gezielt falsch zusammengereimten Humbug handelt. Sowohl gewöhnliche User als auch politische Bewegungen und einige Regierungen verdrehen oder erfinden Fakten, um sie für die eigene Sache zu instrumentalisieren. Man möge nur an 2016 denken, als der Begriff im Zusammenhang mit Donald Trumps Präsidentschaftswahlkampf seinen Höhepunkt erreicht hat. Fake News sind mittlerweile ein integraler Bestandteil der Medienlandschaft. Kike Levy, Geschäftsführer von Facebook Südeuropa erläutert das so: „Fake News sind auf unserer und anderen Plattformen ein riesiges Problem, das sich kaum noch ausrotten lässt. Wir können es zwar eindämmen, jedoch ganz tilgen lässt es sich nicht.“ Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wie soll man dagegen ankämpfen? „Siamo arrivati al punto che non solo dobbiamo fornire fatti, ma dobbiamo persino smentire quelli degli altri“, erklärt Luca Gelmini, Redaktionsleiter von Corriere.it. Jedoch will er es auch den Lesern nicht zu leicht machen: “Anche gli utenti devono stare attenti. Devono assumersi la responsabilità di non divulgare informazioni evidentemente scorrette.”

Der User kann zwar nur bedingt zu Verantwortung gezogen werden, ganz falsch ist der Ansatz aber nicht. Denn, wie Levy feststellt, „folgen Fake News meistens ein und demselben Schema.“ Sie sind reißerisch aufgemacht, die Themen werden selten tiefgründig aufgearbeitet, die Sprache ist plakativ und übermäßig emotional. Bekommt man ein Auge für solche Inhalte, ist es nicht mehr schwierig, sie zu erkennen und auszusortieren.

Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass die Zunft der Journalisten gerade einen Paradigmenwechsel durchmacht, der insbesondere die starke Einbindung des Endverbrauchers miteinschließt. Journalismus 2.0 so zu sagen. Die Fusion aus Kommunikator und Rezipienten ist vollzogen – nun liegt es daran, diese auch konstruktiv von beiden Seiten zu nutzen anstatt sie zu missbrauchen.