Gesellschaft | Sprache

Von wegen „Krautwalsch“

In Südtirols Süden wird ein einzigartiger Dialekt gesprochen. Beim schnellen Hinhören könnte man meinen, hier wird einfach munter drauflosgemischt.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Viel Südtirolerisch, etwas Italienisch und eine Prise Trentiner Dialekt. Beim näheren Hinhören haben Sprachwissenschaftler der unibz ganz klare Strukturen und Regeln ausmachen können, die das „Krautwalsch“ zu einer eigenständigen Dialektform erheben.

von Sigrid Hechensteiner

Branzoll. Eine Bar im Ortszentrum. Dicht an dicht drängt sich eine Gruppe Jugendlicher um den Tresen. Darauf leere Macchiato-Tassen. Aus dem Radio tönt Negrita. „Wåasch wos du für an casino gmåcht håsch?“, ruft eine junge Frau in die Runde und alle brechen in Gelächter aus. „Häl glabi magaari!“ Und weiter geht’s im fröhlichen Sprachmix aus Südtirolerisch, Italienisch und Trentiner Dialekt. Experten horchen auf, sprechen von Code Mixing, Nicht-Experten hören weg und schimpfen übers „Krautwalsch“, und darüber, dass die „Unterlandler“ weder Deutsch noch Italienisch sprechen können.
Mit diesem Vorurteil räumte erstmals Katrin Tartarotti aus Branzoll auf. In ihrer Abschlussarbeit an der unibz (1) hat sie das „Krautwalsch“ systematisch erfasst und beschrieben und siehe da: Die Bevölkerung in Südtirols Süden spricht untereinander einen einzigartigen Dialekt, der klaren Regeln unterworfen ist.
Bewegt sich eine „Krautwalsche“ in einem italienischsprachigen Umfeld, kommuniziert sie problemlos auf Italienisch, in einem Südtiroler Umfeld problemlos auf Südtirolerisch. Vor allem das Italienische geht ihr meist leichter von den Lippen als deutschsprachigen Südtiroler aus dem Vinschgau oder Pustertal.

In einer Studie der unibz mit dem Titel „Kontatto“ haben Forscher unter der Leitung von Sprachwissenschaftlerin Silvia Dal Negro nun im Detail untersucht, was entlang der Sprachgrenze Trentino- Südtirol mit Sprache passiert?
Insgesamt 20 Stunden Gesprächsstoff haben Silvia Dal Negro und ihre Kolleginnen und Kollegen aufgezeichnet, transkribiert und analysiert. Darunter viele Barsituationen, Interviews und Aufgabenstellungen, so genannte Map Tasks, bei denen zwei  Sprecher jeweils eine Landkarte in die Hand gedrückt bekommen und aufgefordert werden, ihr Gegenüber durch die Stadt zu lotsen. Als Orientierungshilfen dienen Fotos von Tabaktrafiken und Polizisten. Dal Negro: „Die meisten Sprechenden werden die Tabaktrafik als „tabacchino“, „tabachin“ oder „tabakele“ und den Polizisten als „poliziotto“, bezeichnen, selbst wenn etwas über 80 Prozent des Gesprochenen Südtiroler Dialekt sein wird. Auch dies seien interessante Anhaltspunkte für die Dialektforschung. Was die beiden Gesprächspartner nicht wissen ist, dass die beiden Landkarten nicht übereinstimmen. Und ehe sie sich versehen, sind sie in ein Streitgespräch verwickelt und vergessen - ob so vieler Emotionen - das Aufnahmegerät. Und genau das sollen sie.
Für ihre Studien brauchen die Sprachwissenschaftler „spontane“ Gespräche. Und diese sind nicht so einfach herbeizuführen. Dal Negro: „Ich kann schlecht auf eine Gruppe Menschen, die in ein Gespräch verwickelt sind, zugehen, mich als Sprachwissenschaftlerin outen, und sie bitten, das Gespräch für Studienzwecke aufzuzeichnen. Dann ist es vorbei mit der Spontaneität.“ Aufgabenstellungen wie die Map Tasks sind eine Möglichkeit, natürliche Sprachsituationen herbeizuführen. Eine weitere ist es, Ansässige mit in das Projekt einzubinden, und sie zu bitten, beim nächsten Barbesuch mit Freunden, das Aufnahmegerät mitlaufen zu lassen. Die Freunde werden natürlich vorher informiert, vergessen aber meist nach wenigen Minuten, dass die Gespräche aufgezeichnet werden. Die Gesprächsbeteiligten bleiben natürlich anonym.

Für diesen Teil der Arbeit und für das manuelle Tagging der insgesamt 135.000 Worte – handelt es sich bei dem Wort um ein Verb, ein Adjektiv, ein Substantiv usw.?  –  standen Silvia Dal Negro unibz-Studentinnen aus dem Unterland zur Seite. Zwar spricht die aus der Lombardei stammende Sprachwissenschaftlerin sehr gut Deutsch sowie zahlreiche deutsche Dialekte, doch wenn es ganz speziell wird, dann zieht sie die jeweiligen Muttersprachler zur Hilfe heran. Das sei in der Dialektforschung so üblich, erklärt sie, sonst könnte ja jeder Dialektforscher immer nur seinen eigenen Dialekt studieren.
Silvia Dal Negro wird mit dem nötigen emotionalen Abstand schneller auf Feinheiten aufmerksam, arbeitet analytischer. An Leidenschaft fehlt es ihr dennoch nicht. Was sie am meisten an der Studie zum „Unterlandler-Dialekt“ fasziniert habe? Wie strukturiert er sei. Von willkürlichem Sprachmix kann keine Rede sein. Er folgt klaren Regeln und könne deshalb als eigenständiger Dialekt definiert werden. Ein Kollege von ihr, Simone Ciccolone habe es so schön auf den Punkt gebracht:

„Es ist erstaunlich wie einsprachig ein Dialekt sein kann, der sich aus zwei Sprachen zusammenfügt!“

Im Südtiroler Unterland sind die Forscher auf bi-dialektale Einwohner gestoßen, die sich kulturell als deutsch verstehen, in ihrer Sprachkompetenz aber im Italienischen oft besser sind. In der Region zwischen Mezzocorona und Leifers gibt es keine oder kaum Ressentiments der jeweils anderen Sprachgruppe gegenüber. Weil es de facto keine andere Sprachgruppe gibt. Man ist selbst beides und doch ganz eigenständig. Für Dialektforscher eine vielleicht sogar europaweit einmalige Situation.
Die Erforschung von mündlicher Sprache sei außerdem Grundlage für die Entwicklung moderner Sprachtechnologien, die mit Korpora arbeiten. „Wie sonst sollen beispielsweise Spracherkennungsprogramme entwickelt werden für zweisprachige und diglossische Regionen wie Südtirol, wo Dialekt im Alltag vorherrscht.“

Darum also ist Dialektforschung wichtig? „Ja, und weil der Dialekt für den Großteil der deutschsprachigen Südtiroler die eigentliche Muttersprache ist,“ hakt die Expertin nach, „und weil er als solcher auch ernst genommen werden muss.“ Im Unterland ist die Zweitsprache für die meisten Italienisch oder Italienischer Dialekt und erst die Drittsprache Deutsch als Hochsprache.
Dies sei auch mit der Grund, warum in einer mehrsprachigen Gruppe das Italienisch als gemeinsame Sprache bevorzugt werde, erzählt Katrin Tartarotti: „Hochdeutsch wäre für alle Beteiligten eine aufgesetzte Fremdsprache.“
 
Franz Lanthaler, Experte für Sprache in Südtirol, hat dieses Phänomen schon vor langer Zeit thematisiert. In einem Interview mit der Südtiroler Wochenzeitschrift ff meinte er 2013, dass Südtirol im Zusammenleben akzeptieren müsse, dass die Mündlichkeit in der deutschen Sprachgruppe im Dialekt abläuft. Im Alpha Beta Verlag hat Lanthaler Unterrichtsmaterial mit dem Titel „Schian isch’s gwesn“ veröffentlicht. Es handelt sich um Audiolektionen auf CD für Italienisch-Muttersprachler zum Lernen von Südtiroler Deutsch.

Franz Lanthaler ist außerdem überzeugt, dass die Südtiroler Dialekte nicht aussterben werden. „Die Tiefen werden flacher“, erklärt er, „weiten sich aber aus und entwickeln sich zur weiteren Umgangssprache“. Dem kann Silvia Dal Negro nur zustimmen. Sprachproben in Bozen zeigen, dass ein „Unterlandlerisch light“ schon bis in den Süden der Hauptstadt vorgedrungen ist.

Quelle: EURAC/Bortolotti

Foto: 20 Stunden Aufzeichnungen in Bars. Dal Negro: „Sprach-Feldforschung geht immer mit hohen Dosen Koffein einher!“


Zum Reinhören
http://kontatto.unibz.it/kontatto-1.0/

 

Für Neugierige

1)Krautwalsch: Una lingua fra due lingue
Un'analisi linguistica della varietà di contatto a Laives

2)Franz Lanthaler, Texte zu Sprache und Schule in Südtirol (1974 – 2012), herausgegeben von Hans Drumbl und Horst Sitta, Alpha Beta Verlag

Franz Lanthaler, Aldo Mazza,Toni Colleselli, „Schian isch’s gwesn“, Reihe von Audiolektionen (auf CD), Alpha Beta Verlag

 

Die ganze Ausgabe kann hier online nachgelesen werden:

Academia #70 – Endlich raus | Tutti in campo | Hit the Hills

Magazin der / Rivista di / Magazine of EURAC & unibz

 

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gorgias Di., 14.07.2015 - 17:08

Ob das mit den so leichten Übergang von dieser Dialektform ins Deutsche möglich ist ist, was ich persönlich beobachten konnte nicht so ohne weiteres gegeben. Solche Dialektformen haben Änderungen in Syntax, die in der Tiefenstruktur der Sprache liegen. Ich kenne persönlich mehrere Personen die nicht Sprechen können ohne auf das italienische Vokabular zurückzugreifen. Auch wurde mir das von Personen bestätigt die aus dieser Gegend kommen.

Ich bin verhalten in der Zelebrierung eines solchen Kreolisch.

Di., 14.07.2015 - 17:08 Permalink
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Martin B. Mi., 15.07.2015 - 00:09

Antwort auf von gorgias

Die Vorteile der Sprach-Immersion bringen eben auch Nachteile. Ich vermute Unterlandler sind unsicherer im Verwenden deutscher Hochsprache als Pusterer und Vinschger z.B. bzw. streuen manchmal die angewöhnten italienischen Synonyme ein.
Und "schon bis in den Süden der Hauptstadt vorgedrungen ist.": was ist der Süden Bozens? Die Industriezone? :-/

Mi., 15.07.2015 - 00:09 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Mi., 15.07.2015 - 10:41

Über die Bestandsaufnahme der momentanen Situation hinaus, wäre ein vergleich zu anderen Regionen interessant wo es weder Proporz noch eine öffentliche Zweisprachigkeitspflicht gibt. In meinen Augen spielen diese Faktoren langfristig eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Mi., 15.07.2015 - 10:41 Permalink