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Stan Lee - Marvels Superheld

Der Godfather der Marvel-Comics ist tot. Ein Blick auf Stan Lees Leben, sein Schaffen und sein Vermächtnis.
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Foto: BT.com

Manche Menschen wirken unsterblich, zeitlos. Sie sind immer da, wann immer man sich nach ihnen umblickt. Dann aber kommt der Tag, an dem der Abschied Wirklichkeit wird. So geschehen beim legendären amerikanischen Comicautor Stan Lee. Geboren im Dezember 1922 begann der junge Zeichner bei Timely Publications, jener Firma, die später als Marvel bekannt werden sollte. Nachdem er während des zweiten Weltkriegs als Künstler für die Armee tätig war und propagandistische Cartoons und Bilder fertigte, fand er sich in den comic-skeptischen 50er Jahren wieder. Was heute die Videospiele sind, waren damals die bunten Bildchen. Sie würden die Jugendlichen ruinieren, schlecht für die Bildung sein und im Allgemeinen eine Lesegeneration der Dummen heranziehen. Die Branche war nicht zuletzt dank einer breitgefächerten Selbstzensur am Boden. Nur mehr wenige Superhelden, vornehmlich von der Konkurrenz DC (Detective Comics) spukten durch die Hefte. Lee spielte mit dem Gedanken, den Stift zur Seite zu legen und sich anderweitig zu betätigen. Am Ende des Jahrzehnts wehte dann jedoch ein frischer Wind durch die Comicwelt. Der große Konkurrent DC warf neue Helden auf den Markt und sorgte so für ein erneutes Aufblühen der Kunstform. Marvel wollte seinem Gegner das Feld nicht überlassen, und so engagierte man zwei Autoren, um der DC-eigenen Justice League ein würdiges Ebenbild entgegenzusetzen. Einer von ihnen war Stan Lee. Zusammen mit Jack Kirby schuf er die Fantastic Four, eine ganze Familie bestehend aus Superhelden. Wer A sagt, muss auch B sagen, und so dauerte es nicht lange, bis die Marvelriege starken Nachwuchs erhielt. Thor, Iron Man, Hulk, und nicht zuletzt Spiderman. Alle stammen in Zusammenarbeit mit Co-Autoren aus der Feder von Stan Lee. Doch er beließ es nicht einfach dabei, stereotypische Helden zu kreieren, sondern gab ihnen Persönlichkeit, Charakteristika, die sie menschlicher scheinen ließ als die Superhelden der Vergangenheit. Superman von DC ist bis heute ein Held ohne Ecken und Kanten, er ist praktisch ein unbesiegbares Wesen, auch wenn man immer wieder versucht hat, diesen Eindruck zu schmälern. Hulk von Stan Lee etwa ist in dieser Hinsicht vollkommen anders. Er heißt eigentlich Bruce Banner und wird nur durch extreme Wutausbrüche zu jenem übernatürlichen Wesen, das durch seine Größe, Stärke und die ikonische grüne Haut hervorsticht. Spiderman ist weder ein Alien, noch ein Superreicher, sondern ein einfacher Schüler, der seine Kräfte nur durch den zufälligen Biss einer Spinne erhält. In ihren breit erzählten Leben müssen Lees Helden mit menschlichen Problemen kämpfen, und eben nicht nur gegen das ultimative, und zugegeben klischeebelastete Böse kämpfen. Dies war damals ein Novum, und sollte schon bald von der Konkurrenz übernommen werden. Die Leser wollten sich fortan mit ihren Helden identifizieren, sie wollten Figuren, deren Gedanken sie nachvollziehen konnten. Irgendwann trat Stan Lee als Zeichner in den Hintergrund und wurde in erster Linie zu einer Marke. Marvel ging mit ihm hausieren, er war das Gesicht der Firma und wurde langsam aber sicher selbst zu einer Figur der Popkultur. Seit dem ersten X-Men Film aus dem Jahr 2000 tauchte Lee in beinahe jedem Marvevl-Film in Form eines sogenannten Cameos, also Gastauftritts auf. Die Fans behandelten ihn wie einen Gott, er war spätestens jetzt eine Ikone. Nebenbei arbeitete er mit Leuten von außerhalb der Branche zusammen, teils in skurril anmutenden Kombinationen. Im Jahr 2004 fand sich Lee etwa mit dem Playboy-Erfinder Hugh Hefner zusammen, um ein Comic mit Playmates zu kreieren. Auch mit Beatles-Legende Ringo Starr kollaborierte er. Marvel begleitete er weiterhin, jedoch zuletzt meist als Berater und das bereits erwähnte Aushängeschild.

Spannend ist die Frage, was von seinem Schaffen bleibt. Die Superhelden sind heute, im Jahr 2018 endgültig im Mainstream angekommen. Was vor Jahrzehnten noch das Hobby und die Leidenschaft einiger Nerds war, lockt heute Millionen in die Kinosäle. Die Absätze der tatsächlichen Comics mögen bei weitem nicht so hoch sein, aber deren Einfluss ist überall zu spüren. Von 2000 bis heute hat Marvel rund 60 Filme oder Serien veröffentlicht, von denen zwar nicht alle auf Lees Figuren basieren, aber dennoch von ihm beeinflusst wurden. Seit die Walt Disney Company Marvel im Jahr 2009 aufgekauft hat, wird das Konzept eines zusammenhängenden Superheldenuniversums noch stärker verfolgt. Im sogenannten „Marvel Cinematic Universe“ tummeln sich in erster Linie Kreationen von Stan Lee. Die Filme erscheinen im Abstand von wenigen Monaten und gehören zu den großen Kassenschlagern des Blockbusterkinos. Doch was blieb vom revolutionären Ton der originalen Comics? Verglichen mit dem ursprünglichen Ansatz der Andersartigkeit und des Fortschritts in der Charakterisierung der Figuren wirken die heutigen Marvel Filme wie Stangenware, wie Produkte eines nie stehenden Fließbands. Das ist schade und verkennt den Anspruch, den Lee mit seinen Geschichten verfolgt hat. Die Superhelden verlieren immer mehr von ihrer Persönlichkeit und stellen sich, ebenso wie die austauschbaren Handlungen, in den Schatten des Bombast. Stan Lee stand bis zuletzt hinter der Marke Marvel. Ob er auch mit dem immer kommerzieller werdenden Ausverkauf seiner Figuren einverstanden war, bleibt offen. Am 12. November 2018 verstarb Stan Lee in Los Angeles. Er war 95. Ein stolzes Alter. Seinem Erbe sollte man respektvoll begegnen. Und es deshalb nicht überstrapazieren. Die Übersättigung wird sich früher oder später einstellen. Wenn Marvel seinem Veteranen wirklich ein Denkmal setzen möchte, sollte man dies konsequent tun. Mit Stan Lee sollten auch seine Helden sterben. Erinnern wird man sich auf jeden Fall an sie.