Umwelt | DOLOMITEN PÄSSE

Wo bleibt die große Idee?

Planungen in Sachen Verkehr müssen langfristig durchdacht werden: Löcher in unseren Bergen zu bohren, ist keine langfristige Lösung und schon gar nicht eine Lösung.
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Sellajoch Fahrräder
Foto: ilnordestquotidiano.it

Das Haus in Flammen setzen, nur um sich eine Zigarette anzuzünden. Damit lässt sich die Idee eines Tunnels unter dem Grödner Joch vergleichen. Eine irrwitzige Idee, die vor dreißig Jahren noch eine gewisse Berechtigung hatte, weil der Verkehr damals sehr viel weniger war. Die Idee kam damals von Heinz Kostner, dem Bürgermeister von Corvara. Damit war eine Grundsatzidee geboren, die dann allerdings aus einer ganzen Reihe von Gründen aufgegeben wurde. Planungen in Sachen Verkehr müssen immer richtig durchdacht werden; in unserem Falle müssen auch Nachbargemeinden und Täler, die nicht direkt betroffen sind, miteinbezogen werden. Es ist klar, dass ein Tunnel das Verkehrsaufkommen in Gröden und im Gadertal erheblich erhöhen würde, und es ist auch klar, dass die röhrenden Motorräder, die Busse voller Touristen und alle die, die beim Genuss der Dolomitenpanoramen nicht auf ihr eigenes Auto verzichten wollen, sich nicht in einen unterirdischen Tunnel begeben werden. Seit einiger Jahren scheinen wir völlig die Orientierung verloren zu haben und bewegen uns in eine Richtung, die den Menschen in Zukunft einfach nicht guttun kann.

Vor einiger Zeit wurde die erste Magna Charta unterzeichnet. Es war ein Vertrag über die Bürgerrechte, die schließlich zur „Charter of Forests“ führte. Diese Charta rief zum Schutz der Almende, des Gemeinguts, vor jeder äußeren Macht auf. Die Almende stellte die Überlebensbasis der Bevölkerung dar, war ihr „Benzin“, ernährte sie. Der Wald wurde in Gemeinschaft bewirtschaftet, die Reichtümer standen allen zur Verfügung und wurden für künftige Generationen aufbewahrt. In unserer Breiten kennen wir die sogenannten „Regole di Cortina d’Ampezzo“, und noch heute werden in der Umgebung Landstücke des allgemeinen Besitzes bewirtschaftet. Doch es ist wirklich viel Wasser den Fluss hinuntergeflossen, seit der König von England diese erste Charter unterzeichnete – es war im Jahr 1215. Heute schrumpft das Gemeingut unter unseren Augen immer weiter zusammen, und da es nicht mehr für eine gemeinschaftliche Nutzung geschützt ist, erleben wir eine Liberalisierung, von der nur wenige, aber mächtige Kategorien profitieren.  Meiner Meinung nach sollten nicht nur die einzelnen Highlights des UNESCO-Welterbes, sondern auch die Gebiete drumherum stärker unter Umweltschutz gestellt werden. Es tut einfach weh zu sehen, wie unserer Mutter Erde täglich Gewalt angetan wird, wie wir die Folgen unserer zerstörerischen Aktionen nicht sehen wollen, wie die Dolomitenpässe von Touristenhorden überrannt werden, weil sich im Sommer eine nicht enden wollende Autokarawane hoch- und runterwälzt. Und manchmal frage ich mich, ob es uns nicht vor ein paar Jahrzehnten besser ging als heute – in jenen Jahren zwischen dem Anfang des Tourismus bei uns und dem Boom in den Siebziger Jahren.

Die Menschen sind immer noch blind angetrieben von jenem Spirit, den die amerikanischen Arbeiter zu Beginn der industriellen Revolution „den neuen Geist der Zeit“ nannten, in dem es darum ging, „reich zu werden und alles außer sich selbst zu vergessen“. Diese „Hinleitung zu Bedürfnissen“ – so bezeichnete der große Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler Thorstein Veblen die Hinführung der Menschen zu den oberflächlichen Dingen des Lebens – bringt die Menschen dazu, nur noch ihren persönlichen Vorteil zu suchen. Doch wir müssen raus aus dieser Philosophie des „erst wir, dann alle anderen“. Wir müssen alle zusammen einer höheren Idee zustreben, jener platonischen Idee des Guten und Schönen, und diese Idee zu unserer unverrückbaren, ewig gültigen Maxime machen.

In den ladinischen Tälern, in der Region, in ganz Italien fehlt mir eine starke Umweltschutzbewegung. Doch dafür bin ich relativ zuversichtlich, was eine Trendwende auf globaler Ebene betrifft. Sie wird kommen, und früher oder später wird auch ein spürbarer Schub kommen, der die Menschen bewusster macht und uns begreifen lässt, dass mehr als 30 Millionen Übernachtungen in Alto Adige Südtirol wirklich genug sind. Dass wir verstehen müssen, wie wichtig es ist, uns selbst Grenzen zu setzen. Dass Freiheit Verantwortung bedeutet. Und dass wir deshalb die universelle Erklärung der Rechte von Mutter Erde unterzeichnen müssen.

Wenn wir nicht sehr schnell handeln, wird es zu spät sein. Und deshalb bin ich der Meinung, dass ein Loch unter unseren Bergen mit Sicherheit nicht die Antwort auf die gewaltige Aufgabe ist, die vor uns liegt. Dass es nicht die Lösung für die ist, die das Leben aus vollem Herzen und in all seinen Aspekten lieben. Wir müssen auch für die Jugend ein Zeichen setzen, die wesentlich sensibler ist als wir es sind. Unsere Generation hat die freie Marktwirtschaft zum Dogma erhoben, ist aber grandios gescheitert – wir müssen uns nur umsehen! Wenn wir uns nicht bald wie verantwortungsvolle und sensible Menschen verhalten, die sich für mehr Umweltschutz einsetzen, werden die Jungen von Heute, die dann auch fünfzig Jahre alt sein werden, zuletzt lachen. Aber es wird ein bitteres Lachen sein.

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Sepp.Bacher Di., 19.03.2019 - 09:05

Michil, dein Beitrag gefällt mir sehr! Danke!
"In den ladinischen Tälern, in der Region, in ganz Italien fehlt mir eine starke Umweltschutzbewegung. Doch dafür bin ich relativ zuversichtlich, was eine Trendwende auf globaler Ebene betrifft." Ich weiß nicht, wie du das meinst: Es gibt in Südtirol doch verschiedene Umweltgruppen, den Dachverband und die Grünen. Ist dir das zu wenig? Mag sein, dass im Badia und in Gröden solche Umweltgruppen fehlen - du wirst es wissen! Hast du diesbezüglich schon Initiativen gestartet? Vielleicht könntest du den ersten Schritt machen - oder sind alle nur auf Wachstum und Profit aus und ordnen die Natur dem Profitdenken unter?

Di., 19.03.2019 - 09:05 Permalink
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Peter Gasser Do., 21.03.2019 - 20:06

„Wir müssen alle zusammen einer höheren Idee zustreben, jener platonischen Idee des Guten und Schönen, und diese Idee zu unserer unverrückbaren, ewig gültigen Maxime machen“:
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Dazu Marc Aurel (121 - 180), römischer Kaiser und Philosoph:
„Bei allem, was du tust, gehe besonnen zu Werke und verwirre dich nicht durch Gedankenmenge; aber siehe, daß du stets die größten Grundsätze im Auge behältst“.

Do., 21.03.2019 - 20:06 Permalink