Kultur | Salto Weekend

Komisch und melancholisch

Der neue Meyerhoff: „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ ist der vierte Teil von Joachim Meyerhoffs Romanzyklus. Ein Lobgesang.
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Foto: Bildquelle: Burgtheater Wien

Seit Joachim Meyerhoff 2011 für sein Debüt Alle Toten fliegen hoch den Franz-Tumler-Literaturpreis in Laas gewann, hat es der Burgtheaterschauspieler auch als Autor weit über Südtirol hinaus zu Erfolg gebracht. Nach seiner Kindheit auf einem Psychiatriegelände, einem Austauschjahr in Amerika und der Zeit auf der Schauspielschule bei seinen Großeltern trifft der Erzähler im vierten Band  – man hat es fast schon erwartet – auf die Liebe. Kitschig? Zugegeben, der wenig originelle Titel deutet fast in diese Richtung, doch Meyerhoff umschifft mit seinem Gespür für präzise Pointen und seinen teils bizarren Figurenzeichnungen wie immer jegliche Sentimentalität.
Anstrengend sind seine Figuren, angefangen bei Frau Nr. 1, Hanna, alles andere als eine Klischeetraumfrau: „Zu große Zähne, zu große Augen, zu platte Nase, verdammt kurze Haare. Sie gefiel mir sofort.“ Hanna ist übermäßig intellektuell, fordernd, angriffslustig und wahnsinnig kompliziert („Unkompliziert ist unter meiner Würde.“) – und dennoch verliebt sich der Jungschauspieler über alle Maßen in sie. Doch sie bleibt nicht die Einzige: Als er vom Theater in Bielefeld ans Dortmunder Schauspielerhaus wechselt, verfällt er der unfassbar schönen Tänzerin Franka mit ihrer überbordenden Körperlichkeit, einem Hang zu Exzessen und billig-geschmackloser Kleidung. Ihrer Maßlosigkeit und ihrem pulsierenden Rhythmus kann er nur durch einen schnell aus dem Ruder geratenden Konsum von Wachmachern standhalten. Zur Erholung von diesen Exzessen flüchtet er sich jeden Morgen zur mütterlich bodenständigen und etwas ordinären Bäckersfrau Ilse. Fleischig und schwitzend und zutiefst sinnlich hantiert sie in ihrer Backstube herum und bringt Joachim Meyerhoffs Fantasie auf Hochtouren:

Sie sah so appetitlich aus wie eine ihrer Puddingbrezeln. Ich hätte sie gerne gewalkt und ausgerollt, ihr einen Hefezopf geflochten und ihre dicken Kuchenteigarme und Strudelbeine zwischen meinen Fingern hindurchquellen gespürt.

Meyerhoffs Sprache hat etwas derart Plastisches, dass man Personen, Situationen, gar Gefühle glaubt, mit den Händen anfassen zu können. Auch in diesem vierten Buch glänzt der Autor durch eine solche sprachliche Originalität, dass ich es beim Lesen fast als Frechheit empfunden habe, wie beneidenswert leicht ihm bestimmte Bilder von der Feder gehen. Charmant stellt er umgangssprachlichen Kinderwortschatz wie „herumknibbeln“ neben sein ansonsten hohes Register – als „aufgeblasene Deklamierhölle“ bezeichnet er etwa das Bielefelder Theater.

Denn parallel zum Balanceakt seiner drei Frauenbeziehungen scheitert der frischgebackene Jungschauspieler auch bei seinen ersten Berufserfahrungen am Theater grandios und ist dabei urkomisch und schmerzhaft tragisch zugleich, etwa als gesanglicher Katastrophenfall in einem Musical oder beim Zerlachen von Paul Celans Todesfuge (zum Brüllen!).

Will man an dem Buch etwas kritisieren, dann vielleicht, dass es nicht ganz an die Genialität des Vorgängers „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ heranreicht, aber das ist Meckern auf sehr, sehr hohem Niveau.

Meyerhoffs detaillierte Beschreibungen sind in ihrer Plastizität und Maßlosigkeit im Schönen wie im Schrecklichen so mitreißend, dass man in eine Art Sog gerät und in höchstem Tempo und ebenso maßlos durch das Buch galoppiert, in der Meinung, geradewegs auf eine riesengroße Katastrophe (wir erinnern uns: drei Frauen, eine leidliche Theaterkarriere, ein besorgniserregender Tablettenkonsum) zuzusteuern. Eine Katastrophe, die dann gar nicht kommt, denn genau im richtigen Moment nimmt der Autor sich zurück, weicht dem Pathos aus und schlägt stattdessen leisere, melancholische Töne an. Und lässt auch alle seine Toten nochmal auftreten.

Meyerhoffs autobiografischer Romanzyklus ist damit beendet, denn nach diesen leidlichen Erfahrungen kam in seinem Leben endlich der Erfolg, und wie er selbst kürzlich in einem Interview bemerkte: Über das Schöne gibt es nichts zu schreiben. Da ertappe ich mich fast dabei, ihm etwas Schlechtes zu wünschen, denn wie kann er uns sonst mit einem nächsten so hinreißenden Buch beglücken?