Politik | Demokratie

Die unerbittliche Macht der Verbände

Immer wieder wird über den Populismus geschimpft, doch was hierzulande die Demokratie diskreter, aber weit stärker beeinträchtigt, ist die Macht der Wirtschaftsverbände.
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Die Verschränkung zwischen Verband und Volkspartei könnte nicht enger sein als bei den Bauern. Bei der Vorstellung des bäuerlichen Wahlprogramms der SVP-Landtagskandidaten des Bauernbunds am 1.8.2018 in Bozen fand der SBB nichts dabei, selbst mit seiner Spitze aufzutreten. Das Wahlprogramm stellen nicht so sehr die SVP-Bauernvertreter vor, sondern der SBB. Ein Verband hält sich sozusagen eine Partei, die Südtiroler Volks- und Bauernpartei SVBP. Anfang 2018 waren 42.000 SBB-Mitglieder aufgerufen worden, vier Kandidaten zu bestimmen, und wählten erwartungsgemäß nur SVP-Leute. Dabei ist der SBB laut Statut eigentlich keine SVP-Unterorganisation, und umgekehrt schon gar nicht. Es wäre so, als würde eine imaginäre Südtiroler Einheitsgewerkschaft intern 10 Kandidaten küren, sie auf der Liste einer einzigen, ebenso imaginären Linkspartei platzieren und alle Arbeitnehmer aufrufen: jetzt bestätigt mal an der Urne brav die Vertreter, die wir für euch ausgesucht haben.

Seine Verbandsmacht wider jede demokratische Überparteilichkeit so geballt auszunutzen und seine Vertreter direkt ins Landesparlament zu hieven, zahlt sich natürlich aus. In dieser Legislatur konnte man oft genug erleben, wie Bauerninteressen durchgesetzt wurden, zuletzt in recht krasser Form beim Landesraumordnungsgesetz. Bei den ab 2020 anstehenden Durchführungsbestimmungen zur Raumordnung wird sich die von den SVP-Bauernvertretern immer selbst gelobte Hartnäckigkeit und Geschlossenheit als nützlich erweisen. Das ist zwar gekonnter Lobbyismus, mit demokratischem Pluralismus und Autonomie der Volksvertreter hat es nichts zu tun.

Etwas pluralistischer gibt sich der Handwerkerverband LVH, der neben den beiden Hauptkandidaten Lanz und Zublasing drei weitere Anwärter für den Einzug in den Landtag unterstützt: Zwerger von der Bürgerunion, Wiedmer von der SVP und Lang von den Freiheitlichen. Danach präsentiert der LVH dann aber groß die Themenschwerpunkte von Lanz und Zublasing, um klar zu stellen, wohin ein Handwerker und LVH-Mitglied sein Kreuzchen zu machen hat. Lanz scheint während der Wahlkampagne auch gar nicht von seinem Amt beurlaubt zu sein, denn die LVH-Website bietet seinen Stellungnahmen breiten Raum. Wo bleiben die Proteste der Nicht-SVP-Handwerker?

Wie Verbändemacht zu Wahlzeiten diskret und gekonnt ausgespielt wird, zeigt auch der HGV. Natürlich steht der SVP-Landtagskandidat Helmut Tauber in den HGV-Tätigkeiten im Vordergrund, vertritt er doch sozusagen den Verband im nächsten Landtag. Der HGV-Wipptal lädt z.B. zu seiner „Info-Veranstaltung“ den LH Kompatscher, den SVP-Kandidaten und BM Kompatscher und Tauber selbst: ein SVP-Heimspiel unter Ausschluss jeglicher anderer Positionen.

Demokratisch korrekter und bedeckter dagegen die Gewerkschaften und die beiden Dachverbände für Gesundheit und Soziales sowie für Natur- und Umweltschutz. Obwohl der Chef des DGS Martin Telser für die SVP kandidiert, verliert der DGS kein Wort darüber. Auch der DfNUS empfiehlt keine Kandidaten irgendeiner Partei. Die Südtiroler Gewerkschaften haben, wenn’s hoch kommt, 116.000 Mitglieder (Stand Juni 2016), die sechs Mitgliedsverbände des SWREA maximal 42.500. Doch die Verteilung von Macht und Einfluss ist ganz anders gelagert. Lobbyismus gehört auch zur modernen Demokratie, wie er im System Südtirol zum Tragen kommt, ist mehr als bedenklich.

Nun wären die Unternehmerverbände per Statut an und für sich überparteilich, nicht Vorfeldorganisationen der SVP. Wenn ihre Spitzenvertreter in die Politik wechseln, sehen diese anscheinend nur in der SVP eine Chance für politische Karriere. Alle wichtigen Entscheidungen im Land fallen über diese Partei. Dieser Logik müssen sich dann tausende Verbandsmitglieder beugen, die mit der SVP gar nichts zu schaffen haben. Ein Regionalgesetz verbietet den Verbänden zwar Wahlwerbung, aber nicht die diskrete Bevorteilung „ihrer“ Kandidaten. Wohlweislich sind auch im Landtags-Wahlgesetz keine Sanktionen gegen Verstöße bei Verbandswerbung vorgesehen. Und auch die Verbandsmitglieder scheinen diese Art von Lobbyismus klaglos hinzunehmen. Wie sich der Filz zwischen Wirtschaftsverbänden und Partei auf das Spendenaufkommen auswirkt, ist unbekannt. Kein Zweifel jedenfalls, dass das „System Südtirol“ in dieser Verschränkung von Verbändemacht und „Sammelpartei“ ein tragendes Element hat.

Wie lässt sich Lobbymacht begrenzen? In nationalen Parlamenten gibt es Lobbyregister, in welches sich die Lobbyisten und Verbände eintragen müssen, bevor sie zu ihrer Tätigkeit zugelassen werden. Dies würde in Südtirol nicht viel bringen, denn die Verfilzung läuft eher auf persönlicher und parteilicher Ebene, das Gespräch in der Landtagslobby ist eher Nebensache. Man könnte, wie von der EU praktiziert, etwas gegen den Drehtüreffekt tun, nämlich den laufenden Wechsel zwischen Chefsessel in der Landespolitik und im Wirtschaftsverband unterbinden, etwa durch eine Karenzzeit zwischen Verbandsspitzenamt und politischem Amt. Dies ist in Südtirol kaum durchzusetzen. Demokratische Korrektheit und Unabhängigkeit würde es einem Verband eine Art „par condicio“ abverlangen: in Südtirol unbekannt. Wie wär's, wenn die Verbandsmitglieder selbst mehr Überparteilichkeit einforderten und gegen die völlig einseitige Bevorteilung der SVP-Kandidaten durch ihren Verband  protestierten?

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Martin Daniel Mi., 19.09.2018 - 21:04

Was schon länger auffällt ist diese Asymetrie, die den Vorteil zugunsten der Unverschämten noch weiter verstärkt. Jene, die eh schon schwächer repräsentiert sind im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil, den sie vertreten wollen, verschaffen durch ihre Korrektheit ihren regelverachtenden Konkurrenten zusätzliche Meter. Eigentlich tragisch. Kennt man auch aus den Gemeinden sowie von lokalen Medien, von denen manche oppositionsnahe Mitarbeiter während deren Mandatszeit ruhen machen, während Gewählte der SVP in den Blättern weiter wirken dürfen.

Mi., 19.09.2018 - 21:04 Permalink
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Thomas Benedikter Do., 20.09.2018 - 10:43

Die Asymmetrie trifft absolut zu, lieber Martin, die vier Gewerkschaften vertreten heute - wenn's gut geht - knapp 120.000 Mitglieder, wovon allerdings rund 40.000 Rentner sind. Die 6 Mitgliedsverbände des Wirtschaftsrings haben rund 42.500 Mitglieder (Zahlen der SWZ vom Juni 2016). Das Gewicht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Medien, im Wahlkampf und dann in der konkreten Politik ist völlig asymmetrisch.
Nicht nur die Übermacht der Unternehmerverbände in der Landespolitik stört mich, es ist auch die Art, wie im SVP-gesteuerten System Südtirol politisches Personal platziert wird. Verbandsmenschen, die bisher allenfalls in ihrem Verband für ihre Verbandsinteressen eingetreten sind, werden zu Spitzenkandidaten einer Partei, weil eben von diesem Verband unterstützt. Verbandsmitglieder, die nicht unbedingt von der SVP begeistert sind, wählen sie, weil sie annehmen, diese Leute verschafften ihnen als Handwerker, Bauern, Unternehmer, Hoteliere Vorteile. Zu den hunderten Themen und Problemen, die der Landtag zu bearbeiten hat, haben sich diese Kandidaten noch nie geäußert oder irgendein politisches Profil. Sie sind eben Vertreterinnen eines Verbands, eines Standes. Von ihren Wählern erhalten sie auch den Auftrag, im Landtag möglichst effizient Verbandsinteressen zu vertreten. Dies tun z.B. höchst effizient die SBB-Vertreter.
Doch in der Landespolitik geht es um 100 andere Themen als Hotellerie, Beiträge fürs Handwerk und Bauernprivilegien in der Verbauung der Landschaft. Welche Argumente bringen solche "Ständevertreter" zu solchen Fragen? Dies wird zu einer Katz-im-Sack-Entscheidung. Dies müsste nicht nur mich, sondern jeden Demokraten stören, sofern man Politik nicht bloß als ein Austragen und Zusammenführen von Verbandsinteressen begreift. Denn dann wären wir wieder beim alten Ständestaat wie im Tirol früherer Jahrhunderte.

Do., 20.09.2018 - 10:43 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 21.09.2018 - 09:52

Thomas du schreibst, dass ein Drittel der Gewerkschaftsmitglieder Rentner sind. In der Gesellschaft sind es ca. ein Viertel. Wie ist es zu verstehen, dass die Gewerkschaften in ihrer Pressekonferenz vor einigen Tagen beim Thema hohe Lebenshaltungskosten, Kaufkraftverlust, Inflationsausgleich, dieses Drittel der Mitglieder gar nicht erwähnen, nicht für sie eintreten? Kannst du mir das erklären? Die Arbeitnehmer in der SVP, die in Landtag angeblich genannte Gruppe vertreten wollen, lassen verlauten, dass ihnen in dieser Frage die Hände gebunden sind und beschwichtigen ihre Klientel mit Phrasen wie Uns geht´s ja eh allen gut!
Die SVP, das Team Köllensperger und die Freiheitlichen haben je einen Kandidaten präsentiert, die sich für die Themen Kaufkraftverlust, Renten, Sanität, Mittelstand einsetzen wollen. Jetzt einen Monat vor den Wahlen hört man von keinem etwas in den Medien, dabei gäbe es dauernd Möglichkeiten, zum Thema Stellung zu nehmen! Verstehe ich nicht mehr, wie moderner Wahlkampf funktioniert?

Fr., 21.09.2018 - 09:52 Permalink
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Thomas Benedikter Fr., 21.09.2018 - 17:20

Wahlkämpfe in Südtirol haben ihre eigenen Gesetze, lieber Sepp, mit Medienmitteilungen und Stellungnahmen kommt man als politische Kraft gar nicht mehr wirklich an die Öffentlichkeit. Als Wähler könnte man sich auch über die Webseiten der Parteien und wahllokal.it ein Bild machen. Wahllokal.it ist eine recht hilfreiche Übung, allerdings in der Fragenauswahl unzureichend und unvollständig. Leider bieten zu wenige unabhängige Vereine, Verbände und Medien themenspezifische Podiumsdiskussionen oder Polit-Abende, über welche die Wähler sich aus dem Vergleich von Kandidaten undd Programmen eine kritische Meinung bilden können.
Das Team Köllensperger bringt in seinem Programm ein ganzes Kapitel zur Sozialpolitik mit Aussagen zu den Rentnern.
So reichen etwa die Mietenzuschüsse an Rentnern mit sehr geringer Rente und die Aufstockung auf 507 Euro Mindestrente (unter der Voraussetzung, dass das Familieneinkommen maximal 13.000 Euro beträgt) nicht aus. Es müssen geeignete Wege gefunden werden, eine „Landes-Mindestrente“ als Grundrente für alle einzuführen, um allen alten Menschen im Land einen angemessenen Lebensstandard zu sichern. Zu den von dir genannten Themen könnten eine ganze Reihe kompetenter Kandidaten und -innen Rede und Antwort stehen.

Fr., 21.09.2018 - 17:20 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 21.09.2018 - 18:59

Antwort auf von Thomas Benedikter

Meinem Hauptthema und meinen zwei ersten Fragen (die ersten fünf Zeilen) bist du elegant ausgewichen, Thomas.
Warum sind die Wirtschaftsverbände so mächtig und die Gewerkschaften so ohnmächtig? Die ersten sind meist ethnisch geschlossen organisiert und vertreten ihre Interessen über den SWR. Die Gewerkschaften unterscheiden sich erstens in nationale (interetnisch und meist ideologisch) und in deutsche lokale (eher SVP orientiert). Es gibt keinen Dachverband oder einen Arbeits-, Renten- und Sozial-Ring, obwohl es so etwas bräuchte. Nun bleibt die Frage, wo und wie vertreten die Gewerkschaften bzw. die verschiedenen Senioren- und Sozialverbände ihre Interessen? Man hat hier keinen Weg gefunden. Das Ergebnis ist, dass unsere Interessen (Arbeitnehmer und Rentner) in der Politik wenig bis nicht vertreten werden!

Fr., 21.09.2018 - 18:59 Permalink
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Karl Trojer Di., 25.09.2018 - 12:36

"Warum sind die Wirtschaftsverbände so mächtig und die Gewerkschaften so ohnmächtig?"
Ich denke, weil in unserer verdrehten Wirtschafts-Philosophie die ersteren als die gelten die "geben" und als solche auch medial vermittelt werden, die zweiteren aber, die Vielen, vorrangig nur "nehmen" (und als solche auch medial vermittelt werden,... z.B. kommen Pensionisten, die kosten, nur in dieser Kategorie vor)

Di., 25.09.2018 - 12:36 Permalink