Gesellschaft | Alpinklettern

Riss & Reis

Das AVS-Projekt Alpinist beim Rissklettern an den roten Sandsteinwänden von Li Ming, im Südwesten Chinas.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Simon Kehrer

Text: Johanna Ratschiller

Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Alpenverein Südtirol
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Li Ming im Südwesten Chinas war letzten Oktober für sechs junge Südtiroler das Ziel im Rahmen des AVS-Projektes ALPINIST. Gemeinsam mit Simon Kehrer haben sie zwei Wochen beim Klettern in diesem Paradies für Risskletterei verbracht und erzählen von ihren Eindrücken.

Unser Ziel liegt drei Autostunden vom Flughafen Lijang entfernt. Erschöpft von der langen Flugreise mussten wir aber wach bleiben und schauen, ob wir auf dem richtigen Weg waren – als ob jemand von uns die chinesischen Schilder hätte lesen können! Schließlich erreichten wir unser Dörfchen, umgeben von hohen Sandsteinwänden: Li Ming. Unsere Unterkunft im Hostel war rustikal aber stilvoll eingerichtet, jedoch fehlten die Türen! Später haben wir erkannt, dass es in Li Ming trotz winterlicher Temperaturen generell keine Türen gibt.
 

Erste Klettermeter

Gleich am nächsten Tag begann unser Risskletter-Abenteuer. Wir packten unsere Friends und gingen los. Eine bequeme Treppe führte hoch hinauf bis hin zum Wandfuß. Beeindruckt von den gewaltigen Risssystemen und gepackt vom Enthusiasmus legten wir sofort los. Risshandschuhe bzw. Tapegloves anziehen und schnell Material umhängen. Nach einigen Metern in der Wand fiel uns auf, dass wir beim Materialumhängen zu sparsam gewesen waren. Es waren noch einige Meter zum Stand, aber kein bzw. die falschen Friends am Gurt. Erste Lektion gelernt: Richtiges Material umhängen und besser zu viel als zu wenig. Bohrhaken gibt es hier nur am Stand, ansonsten werden alle Längen selbst abgesichert. Rissklettern verlangt Ganzkörpereinsatz. Was anfangs noch sehr schmerzte, wurde bald einfach hingenommen, denn spätestens nach der klassischen Kamin-Verschneidung wusste jeder, dass man hier nur durch drücken, schieben und stemmen ans Ziel kommt. Am ersten Abend waren wir dementsprechend fix und fertig.

Der Ultraklassiker

In den nächsten Tagen versuchten wir uns auch an manchen Mehrseillängenrouten. Entweder ganz leicht, extrem schwer oder brutal brüchig bzw. sandig! Unsere Empfehlung, sollte es mal jemanden in dieses Gebiet verschlagen: Klettert besser die genialen Einseillängen, den Ultraklassiker Soul’s Awakening (5.10, 175 m) dürft ihr aber nicht auslassen! Hier ein kleiner Vorgeschmack, dieses Klassikers:

1. Seillänge: Fäuste und Füße in den Riss stecken und nach oben schieben. Möglichkeiten außerhalb des Risses zu steigen, gibt es nicht!

2. Seillänge: Um die Kante klettern und hoffen, dass die eingeklemmten Blöcke gleich über dem Stand auch dort bleiben, wo sie sind.

3. Seillänge: Über eine ultraglatte Platte hin zu einem Riss in Verschneidung tänzeln.

4. Seillänge: Wunderschöner Verschneidungs-Hand-Faustriss. Technik ist gefragt.

5. Seillänge: Ganzkörpereinsatz in einem Offwidth, wo es schon mal passieren kann, dass man im Riss steckt und Hände und Füße die Wand nicht mehr berühren. Ohne einen Friend Camalot Nr. 6 hat man hier einen erheblichen Runout, d.h. einen ungewöhnlich weiten Abstand zwischen den mobilen Sicherungen.

Benötigtes Material: C4 (vierachsiger Friend Camalot) #0,3–6 / dreifach #1 und #2 / doppelt #3-#6

Die Bewertungen haben wir allerdings bis zum letzten Tag nicht ganz verstanden. Ob hoher oder niedriger Grad nach dem Yosemite-System, hart war es immer! Von kleinsten Fingerrissen über den Faustklemmer bis zum extremen Offwidth haben wir alles ausprobiert und definitiv sehr viel gelernt über die Risskletterei und über die chinesische Kultur. Ein Dank geht an den AVS für die tolle Unterstützung, an Massimo Falletti für die Vorführung der Rissklettertechnik beim Vorbereitungswochenende im Val del Orco, an Massimos Chinesisch sprechende Freundin und natürlich an Simon Kehrer, der uns begleitet hat.

Infos Rissklettern in China

Li Ming liegt im Südwesten Chinas, in der Provinz Yunnan. Außer einer Handvoll Kletterer verirren sich kaum Westler in dieses Tal. In der Region Yunnan herrscht von Juli bis September Monsun. Klettern ist in der Zeit von Oktober bis Juni möglich, wobei die Monate Dezember und Januar eher kühl sind, es aber an den südseitigen Wänden angenehm zum Klettern ist.
Die Geschichte des Kletterns in Li Ming begann wahrscheinlich bereits vor Jahrhunderten. Einheimische aus dem Volk der Lisu haben Bienenstöcke und Vogelnester aus den Felswänden geholt. Noch heute sind davon Zeugnisse an manchen Wänden zu sehen: wacklige Astleitern, die bis 60 Meter den senkrechten Fels hoch führen.
Alle Kletterrouten sind „Tradrouten“ ohne Bohrhaken, zum großen Teil Einseillängen. Die Vielfalt an Rissen ist groß: feine Fingerrisse, die sich überhängend durch mächtige Felspfeiler ziehen, perfekte Handrisse, unvergessliche Offwidths. Für die Absicherung braucht es Friends Camalots in allen Größen, am besten in mehrfacher Ausführung. Auch große Camalots bis Größe 5 oder 6 finden Verwendung.
Das Gebiet ist noch relativ unbekannt und wurde erst vor ca. zehn Jahren entdeckt. Potenzial an Neuerschließungen gibt es noch jede Menge, ein entsprechender Führer liegt in der AVS-Bibliothek auf.

AVS-PROJEKT ALPINIST 2018 & 2019

Das alpine Bergsteigen ist einer der Schwerpunkte des AVS. Aus diesem Grund werden junge Bergsteiger gefördert und in ihrem selbstständigen Handeln unterstützt. Ziel ist es, jungen Alpinisten die Vielfalt der Berge näher zu bringen, sie mit Know-how vertraut zu machen und das Kennenlernen neuer Gebiete und deren Kletterethik zu ermöglichen. Für die nächsten zwei Jahre sind wieder tolle Aktionen für junge, bergbegeisterte Südtiroler geplant. Diesen Sommer liegt der Schwerpunkt auf dem alpinen Klettern: Drei Wochenenden in drei unterschiedlichen Gebieten, vom Dolomitenklettern bis hin zum Rissklettern werden organisiert. Die beste Vorbereitung für die Kletterfahrt 2019!

Das AVS-Projekt ALPINIST wird unterstützt von VAUDE, MEINDL, EDELRID und UNIPOL