Wirtschaft | Neue Ideen

Urlaub im Leerstand

Gewerblichen Leerstand touristisch nutzen: Die Wiener Grätzlhotels geben Impulse für eine neue Art von Tourismus. Auch für Südtirol?
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Foto: Urbanauts

Wie kann man den Tourismus in den Alpen neu denken? Eine Frage, die am Donnerstag und Freitag dieser Woche aus verschiedensten Perspektiven beim Fachkongress „Ferienhotellerie der Zukunft“ im Bozner Four Points by Sheraton beleuchtet wird. Wichtige Impulse kommen dabei von Erfahrungen und innovativen Konzepten, die -  auch außerhalb der Alpen – bereits gemacht wurden und werden.  Wie zum Beispiel jene der Wiener Grätzlhotels, die am Freitag Morgen von Theresia Kohlmayr, Geschäftsführerin der URBANAUTS Hospitality vorgestellt wurde. Eine der ersten Fragen, die von der Architektin bei solchen Gelegenheiten für alle Nicht-Wiener beantwortet werden muss: Wofür steht der Wiener Ausdruck Grätzl? „Für eine Nachbarschaft, die kleiner als ein Bezirk, aber größer als ein Häuserblock ist, und in der es eine eigene Nahversorgung mit Einkaufsmöglichkeiten, einem Markt, Cafés und Bars gibt“, erklärt Kohlmayr. Zumindest in drei Wiener Grätzln gibt es dort nun auch eine besondere Art von Hotel – mit loftartigen und trendig eingerichteten Hotelsuiten, die originelle Namen wie Zuckerbäckerin, Schuster, Knopfmacherin oder Laternenanzünder tragen. 

Namen, die eine Spur zur früheren Nutzung der ebenerdig gelegenen Räume als Geschäftslokale von Handwerkern wie einer Lampenmanufaktur, einem Schuster oder einem Schneideratelier geben. „Vieler dieser Handwerksberufe sind von der Industrialisierung geschluckt worden oder mittlerweile an der Peripherie angesiedelt“, sagt Theresia Kohlmayr. Was aber macht man mit den zurückbleibenden leeren Räumen mitten in der Stadt, war die Herausforderung, der sich die Gruppe aus Architekten und Stadtplanern rund um sie ursprünglich stellte. Eine Umwandlung in Wohnraum sei gesetzlich nicht möglich, da solche Lokale weiterhin gewerberechtlich genutzt werden müssen. Mangels anderer gewerblicher Bewerber kam der Hotelierstochter die Idee einer Nutzung als Beherbergungsstätte, die mit einer Umwidmung möglich war.

Stadt als Hotellobby

2015 begann die Gruppe ihr Abenteuer. Heute verwaltet und bespielt die URBANAUTS HospitalityGmbh 21 Zimmer an drei Standorten im zweiten, vierten und zwölften Bezirk. Eine Mischung aus Airbnb und ausstattungsmäßig und preismäßig 3- bis 4-Sterne-Hotelerie. Sprich: Obwohl alle Suiten – auch in Anlehnung an ihre frühere Nutzung – sehr individuell gestaltet sind, können sich die Gäste auf qualitativ einheitliche und hohe Standards verlassen, erklärt Kohlmayr. Frühstück oder sonstige Verpflegung gibt es aber keine. Dafür haben die Gäste der Grätzlhotels alle einen der traditionellen Wiener Märkte oder interessante Lokale trendiger Wiener Stadtviertel direkt vor ihrem Hotelzimmer. „Wir kokettieren damit, dass wir mit der Stadt vor der Zimmertür die größte Hotellobby überhaupt haben“, sagt die URBANAUTS-Geschäftsführerin. Bei ihren Gästen kommen die innovativen Gastwirte damit an, zeigt auch eine Jahresauslastung von 74 Prozent. Ihr Publikum setze sich dabei nicht nur aus Individualtouristen zusammen, die das echte Wien suchen und die Unabhängigkeit einer solchen Unterkunft genießen, sagt Theresia Kohlmayr.  Das Konzept „Live like a local“ würde auch viele Geschäftsreisende anziehen, die das klassische Businesshotels satt haben und es genießen würden, nach ihren Terminen in eine Ruheoase mitten in der Stadt zurückzukehren, 

Ein Erfolg, der sie nicht nur in Wien, sondern auch im restlichen Österreich nach neuen Standorten suchen lässt. Vor allem für die Vermarktung der Grätzlhotels gäbe es in dieser Größenordnung noch zu wenig Spielraum, sagt die Geschäftsführerin von URBANAUTS. Mit mehreren Standorten, die laut ihrer Einschätzung auch in Ortskernen im ländlichen Raum funktionieren können, gäbe es für diese neue Hotelform dagegen noch weit mehr Potential. Nicht nur für neue unternehmerische Chancen, sondern auch zur kreativen Bewältigung der Leerstands-Problematik. Auch in Südtirol? „Wenn es eine entsprechende Infrastruktur gibt und es jemand vor Ort betreut, könnten wir das in Wien mit  Marketing, Vertrieb und Sales mittragen“, sagt die URBANAUTS-Geschäftsführerin. Ob sie damit in Bozen jemanden begeistern kann, wird sich zeigen. Gesetzlich kommt sie diese Woche in jedem Fall gerade recht – nachdem die Landesregierung am Dienstag grünes Licht für den sogenannten Albergo diffuso gegeben hat.