Gesellschaft | Sanität

Rezepte gegen den Ärztemangel?

Die letzte Woche war von der Polemik um einen offenen Brief von Medizinstudenten und Jungärzten geprägt. Ich habe mir einige Gedanken zur ganzen Thematik gemacht:
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Arzttasche
Foto: web

Südtirol leidet unter einem Ärztemangel. Der Sanitätsbetrieb und die Landesregierung müssen Ärzte ins Land holen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, dem Sanitätsbetrieb Ärzte zuzuführen:

1) Fachärzte anwerben
2) selbst Assistenzärzte anstellen und zu Fachärzten ausbilden

Fachärzte anzuwerben funktioniert nur bedingt, da diese bereits mitten im Leben stehen. Damit man die Kinder aus ihrem Umfeld reißt und nach Südtirol zurückkehrt, muss einiges geboten werden. Deshalb kommen viele Ärzte nur dann nach Südtirol zurück, wenn sie eine Führungsposition angeboten bekommen: z.B. ein Primariat. Selbst die Beauftragung einer Berliner Agentur mit der Anwerbung deutscher Ärzte brachte bisher kaum Erfolg.

Seit Freitag ist die Absolvierung von Teilen der Facharztausbildung in Südtirol wieder möglich. Das ist eine ausgezeichnete Nachricht, denn dadurch wird es wieder möglich, „selbst“ Fachärzte auszubilden. Doch von alleine werden diese Stellen sich nicht besetzen, man muss in Zeiten des Ärztemangels als Arbeitgeber auch etwas bieten. Im Folgenden werden einige mögliche Anreize mit Erläuterungen aufgezählt:

a) klares Ausbildungskonzept:
Wer eine Ausbildung beginnt, braucht Planungssicherheit was Zeitplan und Anrechnung der Ausbildung angeht. Hier muss der Sanitätsbetrieb deutlich zulegen, denn in der Vergangenheit
wurde den Mitarbeitern wenig Planungssicherheit geboten. Man konnte oder wollte nicht mal klar kommunizieren ob bzw. wann eine Geburtenabteilung geschlossen wird. Wer die Wahl hat, sucht sich einen transparenteren Arbeitgeber mit langfristigem Konzept.

b) Weiterbildungsmöglichkeiten
In der Ausbildung will man neue Fertigkeiten erlernen. Medizinstudenten haben im Rahmen von Famulaturen Einblick in die Arbeit von verschiedenen Kliniken und Abteilungen. Tendenziell hat man bei Famulaturen in Österreich mehr Praxis als in Südtirol, wobei es von Abteilung zu Abteilung große Unterschiede gibt. Um dem Vorurteil vorzubeugen, eine Ausbildung in Südtirol sei zu theorielastig, sollte klar definiert werden, welche Tätigkeiten im Rahmen der Ausbildung vorgesehen sind.

c) Gehalt
Das Finanzierungsmodell der Allgemeinmedizinausbildung in Südtirol ist meiner Meinung nach ein Skandal. In Österreich bekommt man während der Allgemeinmedizinausbildung ein reguläres Gehalt. In Südtirol hingegen erhält man ein Stipendium, das man bei Ausbildungsabbruch zurückzahlen muss. Das ist für einen Absolventen des Medizinstudiums kein attraktives Angebot, denn in Deutschland, Österreich oder der Schweiz kann man eine Ausbildung jederzeit abbrechen ohne dass man das Gehalt zurückzahlen müsste. Neben dieser Regelung gibt es noch weitere Kriterien, deren Nichterfüllung eine Rückzahlung erforderlich machen. Diese Regelung ist nicht zeitgemäß. Ich habe gehört, dass sie inzwischen gerichtlich gekippt worden sei. Andererseits wird in der neuen Ausschreibung explizit Bezug auf Art. 9 des D.L.H. vom 20. Oktober 2003 genommen, daher gehe ich davon aus, dass die Regelung nach wie vor gültig ist. Das zeigt auch wie schwammig die Informationslage ist. Siehe dazu Punkt g).

Der Landesregierung und dem Sanitätsbetrieb muss klar werden, dass die jungen Ärzte am längeren Hebel sitzen.

Österreichische Krankenanstalten nutzen noch weitere Möglichkeiten, um bereits Studenten von den Vorzügen einer Ausbildung im jeweiligen Bundesland/Haus aufzuzeigen:

d) SummerSchools
In SummerSchools können Studenten ihr bereits erlerntes Wissen vertiefen und die praktische Umsetzung einüben – z.B. bei Ultraschall- oder Nahtkursen. Diese SummerSchools sind meistens mit einer Hausführung kombiniert, um den Studenten die Ausbildungsmöglichkeiten des Hauses aufzuzeigen und schmackhaft zu machen. Österreichische Kleinkrankenhäuser bieten solche Veranstaltungen regelmäßig an und können so Studenten von der Ausbildungsqualität vor Ort überzeugen.

e) gezielte Informationskampagne via Studentenzeitungen der medizinischen Universitäten
Diese Studentenzeitungen erreichen genau die richtige Zielgruppe und Werbeschaltungen sind dort relativ günstig. Vorarlberg hat massiv in Studentenzeizungen inseriert und so den Ärztmangel mit der Kampagne „go west!“ effektiv bekämpft. Geboten wurde den Studenten/Jungärzten u.A. ein Gehalt von ca. 70.000€ brutto. Der ORF berichtete darüber und die Kampagne wurde in November 2016 verlängert. Siehe dazu folgendes PDF-Dokument.

Wenn man die internen Wege geht und Landesräte oder Verwaltung direkt anschreibt, wird man vertröstet. Die mediale Brechstange hingegen wirkt.

Südtirolspezifisch gibt es noch zwei Punkte, die ich anführen muss:

f) Zweisprachigkeit
Die Zweisprachigkeit ist Fluch und Segen zugleich. Die Aufweichung der Zweisprachigkeitsregel erweitert die Möglichkeiten im Personalrecruiting ungemein. Die Notwendigkeit eine Fremdsprache zu erlernen muss kein Hindernis sein, sondern kann auch als Anreiz gelten. Regelmäßig erkundigen sich österreichische und deutsche Medizinstudenten bei ihren Südtiroler
Kommilitonen nach Arbeitsmöglichkeiten in Südtirol. Hier könnten wir ein Modell anbieten, wie es in Schweden praktiziert wird. Dort bekommt man sechs Monate lang einen  Intensivsprachkurs und arbeitet nur reduziert, um sich mit den lokalen Gegebenheiten vertraut machen zu können. Ein berufsbegleitender Sprachkurs mit dem Ziel der  Zweisprachigkeitsprüfung A ist attraktiv für Ärzte aus dem deutschsprachigen Raum.

g) Vernetzung aller Südtiroler Medizinstudenten und Schaffung eines Informationskanals
Die Schaffung eines einheitlichen Informationskanals (z.B. Newsletter) für Südtiroler Medizinstudenten und Jungärzte sowie die Schaffung einer Ansprechstelle für die Anliegen von
Jungärzten und Medizinstudenten kann das aktuell herrschende Informationsdefizit beheben und sicherstellen, dass die vom Sanitätsbetrieb und Resort gestellten Angebote auch von der richtigen Zielgruppe wahrgenommen werden können.

h) Ökonomische Überlegungen
Ein Assistenzarzt kostet weniger als ein Facharzt, kann aber viele alltägliche Aufgaben wie Stations- oder Ambulanztätigkeit sowie ausgewählte Operationen übernehmen. Dadurch können entweder fachärztliche Dienste zum Teil ausgebaut oder Wartezeiten verkürzt werden, ohne das Budget durch die Kosten eines Facharztes zu belasten. Assistenzen können auch die Einhaltung der Arbeitszeitregelung erleichtern, da sie mehr Spielraum in der Dienstplanerstellung schaffen.

Fazit:
Mir geht die Debatte auf die Nerven. Es ist bezeichnend, dass auf diplomatischer Ebene erst etwas weiter geht, wenn medialer Druck aufgebaut wird. Wenn man die internen Wege geht und Landesräte oder Verwaltung direkt anschreibt, wird man vertröstet. Die mediale Brechstange hingegen wirkt. Der Landesregierung und dem Sanitätsbetrieb muss klar sein, dass die jungen Ärzte am längeren Hebel sitzen: Wir werden gebraucht und aktuell können wir uns den Arbeitsplatz frei auswählen. Das passt so manchem Manager nicht, denn lieber investiert man in die IT oder in teure Geräte. Die passen nämlich besser in die Bilanzen, doch letztlich werden die Patienten nicht von Maschinen behandelt, sondern von Pflegern und Ärzten.
Eine von Südtirols großen Stärken ist, dass unsere Ärzte an den verschiedensten Universitäten und Kliniken ausgebildet wurden und das wird auch nach wie vor so bleiben, denn es gibt zahlreiche Südtiroler Medizinstudenten, die ihre Ausbildung gerne komplett im Ausland machen möchten – so wie auch ich selbst. Es braucht eine gesunde Mischung und deshalb wünsche ich mir, dass die Facharztausbildung in Südtirol aufgewertet wird - soweit es qualitativ möglich ist. Doch dazu muss die Politik den ausbildenden Ärzten bürokratische Steine aus dem Weg räumen. Am Freitag wurde der erste Schritt gemacht und das ist gut so.

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Markus Gufler Mo., 23.01.2017 - 19:21

Wow, das nenne ich mal einen korrekten "Brief" !
Nur der letzte Satz sollte nicht den Eindruck erwecken, dass einzig wegen dem medialen Südtiroler TamTam letzte Woche plötzlich jemand in Rom bemerkt hat, dass man ja eigentlich doch anerkennen könnte wer in Österreich... Gut ist, dass es nach langen Verhandlungen endlich so gekommen ist. Noch besser ist, wenn es - zumindest in dem Beitrag hier - auch mal einer anerkennt. Bravo!

Mo., 23.01.2017 - 19:21 Permalink
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Martin B. Di., 24.01.2017 - 10:59

Auch mein Kompliment: eine der besten Wortmeldungen zum Thema seit dem "Wutbrief" den es anscheinend gebraucht hat um das die Betroffenen (Studierende und Jungärzte) von Politkern und Sanitätsverwaltern auch mal "dort wo sie derzeit sind" wahrgenommen werden. Ich würde mir wirklich wünschen Oliver H. wäre ein offzieller Vertreter der Jungmediziner und somit delegiert und von Land/Sanitätsdirektion eingeladen um die Probleme Punkt für Punkt durchzudiskutieren und Lösungen zu suchen. Wie könnte man diesen Artikel bzw. Oliver H. zu mehr Gewicht verhelfen?

Di., 24.01.2017 - 10:59 Permalink