Europawahlen: Brüssels unbequeme Gäste

Der Wahlkampf um die Neubesetzung des EU-Parlaments wurde sehr heterogen geführt. Während es in Südtirol meiner Meinung nach sehr ruhig zuging (mein Eindruck kann auch täuschen, aus Graz bekommt man nicht alles mit), ging es in Italien und Europa ordentlich zur Sache.
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Die Wahl des europäischen Parlaments steht kurz bevor. Das europäische Parlament ist das einzige Organ der EU, das direkt vom Bürger gewählt werden kann. Wir stehen vor einer neuen Situation: Erstmals wird eine große antieuropäische "Fraktion" im Parlament sitzen. Doch diese Fraktion ist heterogen aufgebaut. Es wird wohl unbequem im Europaparlament.
Die britischen EU-Skeptiker von der UKIP (United Kingdom Indipendence Party) geben sich liberal-konservativ und fallen kaum durch rassistische oder gar antisemitische Äußerungen auf. Die Partei um den charismatischen Nigel Farage, ein begnadeter Redner, hat reelle Chancen darauf, stärkste britische Kraft im Europaparlament zu werden. Nigel Farage sitzt seit 1999 im Europaparlament und kann durchaus als Fremdkörper im Parlament bezeichnet werden. Mit seiner provokanten, teils beleidigenden Art eckte er er bereits mehrmals an:

https://www.youtube.com/watch?v=bypLwI5AQvY

 

Auch in Frankreich gibt es Umfragen, die Marie Le Pens Front National in Schlagdistanz um Platz Eins sehen. Das Front National kann als klar EU-kritisch eingestuft werden. Sie fordern eine Abstimmung über den Verbleib in der EU. Ähnlich wie die FPÖ um HC Strache, die PVV um Geert Wilders und die italienische Lega Nord dominieren nationalistische, zumindest zuwanderungskritische bis ausländerfeindliche Programme.

Separat anführen möchte ich das M5S sowie die AfD in Deutschland. Die AfD gibt sich gemäßigt und bleibt eine Unbekannte. Die junge Partei ist noch heterogen aufgebaut. Ob liberale oder doch konservative Kräfte die Führungsrolle übernehmen, bleibt abzuwarten. Bezeichnend ist die Tatsache, dass die AfD sich nun wohl erstmals klar vor der FDP positionieren kann. Psychologisch ist dies ein wichtiges Signal.

Beppe Grillo vom M5S nahm sich im Wahlkampf kein Blatt vor den Mund. Martin Schulz verglich Grillo mit Stalin, woraufhin Grillo in gewohnter Manier konterte. Anscheinend mit Erfolg. Prognosen sehen das M5S auf Platz zwei in Italien. Wahlkampfrhetorik und politisches Tagesgeschäft sind zwei Paar Schuhe. Paul Köllensperger hat mit seinem vorbildlichen Verhalten als Landtagsabgeordneter so manchen Südtiroler von sich und seiner Partei überzeugt. Ich denke das M5S wird trotz des Makels keinen Südtiroler auf die Liste gebracht zu haben, ein gutes Ergebnis erzielen.

Wir sehen, der EU-skeptische Block ist sehr heterogen aufgebaut. Ob sie es schaffen an einem Strang zu ziehen, ist mehr als fraglich. Interessanter finde ich jedoch einen anderen Gedanken.
Wie werden sich der sozialistische und der christlich-konservative Block im Europaparlament in Anbetracht der neuen Machtverhältnisse verhalten? Werden sie auf die Forderungen der EU-Skeptiker eingehen, um ihnen Stimmen abzujagen? Ich denke, die Etablierung eines EU-kritischen Blockes im europäischen Parlament wird zu einer besseren Zusammenarbeit des konservativen und des sozialistischen Blockes führen, da man dem gemeinsamen „Feind“ keine Chance geben wollen wird. Man wird sich auf die gemeinsame Vision besinnen und über belanglose Differenzen hinwegsehen.

Wenn die EU scheitert, dann auf nationalstaatlicher Ebene. Rund 50% der Briten liebäugeln mit einem EU-Austritt. Sollte England tatsächlich aus der EU austreten, könnte dies im übertragenen Sinne das sein, was das Baltikum für die UdSSR war.

Das neugewählte Europaparlament muss sich bemühen, den Fliehkräften entgegenzuwirken. Wir stehen an einem Scheidepunkt. Die EU kann sich in mehrere Richtungen entwickeln. Wählen wir Mechanismen der Konformitätspolitik, wie etwa die Gründung einer europäischen Zivilreligion(Benedikter) oder gehen wir den Weg zu einem Europa der Subsidiarität? Die künftigen Europaparlamentarier haben diese Entscheidung zu treffen.

 

 

 

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Benno Kusstatscher Do., 22.05.2014 - 14:23

"den Fliehkräften entgegen wirken": Warum Oliver? Wer gehen will, ist frei zu gehen. Natürlich soll sich die EU attraktiver machen, um die zentripetalen (nicht zentralistischen!) Bestrebungen durch positive Signal zu versüßen. Wenn sich die EU aber gegen Fliehkräfte stemmen sollte, wird sie in der Tat implodieren.
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Es gilt meines Erachtens aber auch der Umkehrschluss: die EU würde Reife zeigen, wenn sie einen Austritt Englands (Britaniens?) selbstlos bedienen würde. Die Beliebtheit würde schlagartig steigen, wenn sich die drückende Vorstellung von Zwangszugehörigkeit in Nichtigkeit auslösen würde.

Do., 22.05.2014 - 14:23 Permalink
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gorgias Do., 22.05.2014 - 15:02

der EU beitreten zu lassen. Aufgrund der eigenen Mentalität passen diese am wenigsten zur EU. als Churchill von vereinigten Staaten von Europa sprach hatte er selbstverständlich England nicht mitgemeint. Großbritannien ist seit je her der Bremsklotz der EU. ich habe eine Debatte mit Farage mitverfolgt dieser sagte dass die EU vor großen Herausforderungen steht. ich gebe ihn gerne recht und so Land wie seines das so halbherzig und zwiespältig zum Projekt Europa steht können wir am wenigsten gebrauchen.

Do., 22.05.2014 - 15:02 Permalink