Salvini in Sardinien
Foto: Facebook/Matteo Salvini
Politik | Tauziehen Lega-M5S

Die tägliche Kraftprobe der Vizepremiers

Die Wahl in Sardinien wird Salvini weiter stärken.
Zwei der wichtigsten Anliegen der beiden Regierungsparteien sind urplötzlich von der politischen Tagesordnung verschwunden: die Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon und die Autonomie für Venetien, Lombardei und Emilien. Wer dahinter eine Absprache zwischen Lega und Fünf-Sterne-Bewegung vermutet, dürfte richtig liegen. In einem seltsamen Votum in der Kammer stimmten die Regierungsparteien einem Beschlussantrag zu, mit dem das TAV-Projekt vorerst zurückgezogen wird. Lakonische Kernaussage: "Il progetto va ridiscusso."  Während der Abstimmung hielten Abgeordnete des Partito Democratico Schilder mit der Aufschrift Salva Salvini – Boccia la TAV hoch. Offenbar war das der Preis, den die Grillini im Immunitätsausschuss des Senats als Gegenleistunh für ihre Stimme zugunsten Salvinis gefordert hatten. Ähnliches gilt für die Autonomieregelung, die vorerst aufs Eis gelegt wird – bis die Aufregung im Süden abgeflaut ist. "Ci vorranno giorni, settimane, mesi", gab sich Premier Conte sibyllinisch. 
 
Beim Tunnelprojekt wird nun eine Verzögerungsstrategie angepeilt, um hohe Geldstrafen an die EU zu vermeiden. Lega und Fünf Sterne zeigen nun Interesse für den Vorschlag einer Volksabstimmung, den der piemontesische Präsident Chiamparino bereits am Montag im Regionalrat einbringen will. Sollte Italien aus dem Tunnelprojekt aussteigen, sind Strafzahlungen von  fast vier Milliarden Euro fällig. Die Verantwortung dafür will weder die Lega noch M5S übernehmen. Wesentlich komplizierter stellt sich  die Autonomiefrage dar. Im venezianischen Regionalblatt Il Gazzettino ahmte der kampanische Präsident Vincenzo De Luca das Schreiben seines Kollegen Luca Zaia an die "cari concittadini del sud" nach:  "Cari cittadini del nord, vi spiego le criticità che non mi convincono". Das Schreiben endet mit einem "grande abbraccio fraterno ai nostri concittadini del Veneto, della Lombardia e dell`Emilia." Und Gesundheitsministerin Giulia Grillo legt gleichzeitig noch ein Scheit nach: "Non permetterò divari Nord-Sud sulla sanità" – so, als wären diese Unterschiede nicht längst Realität.
 
Die ernüchternde Wahrheit ist, dass Autonomie im Süden der Halbinsel längst nicht mehr als Errungenschaft, sondern als Reizwort empfunden wird.
 
Es gibt vieles, was man an der römischen Regierung kritisieren kann: die Unerfahrenheit etlicher Minister, ihre Trotzreaktionen, ihre Ankündigungswut, ihre Inkompetenz. Doch was am meisten beeindruckt, ist die Widersprüchlichkeit ihrer Politik und ihrer Entscheidungen. Europaminister Paolo Savona hat dem Kabinett als erster den Rückengekehrt, weil er – obwohl EU-kritisch – mit diesem wirren Stil nicht klarkommt. 
 
Derweil bekommt Italien die Auswirkungen der Rezession immer drastischer zu spüren. Die Wirtschaftsdaten verschlechtern sich von Woche zu Woche. Der Umsatz der Unternehmen ist um 7,3 Prozent gesunken, die Aufträge der Industrie um 5,3 %, der Produktionsrückgang beträgt 11 %. Allein im Jänner ist der Verkauf von Autos um 7,6 Prozent zurückgegangen. Der spread nähert sich der kritischen 300-Marke. Und während in Italien täglich 50 Handwerksbetriebe schließen, findet Arbeitsminister Luigi Di Maio die Zeit, sich mit finnischen, griechischen und polnische EU-Gegnern zu treffen, um gemeinsame Listen für Brüssel zu erörtern. Und beide Vizepremiers finden jede Menge Zeit, um im Wahlkampf kreuz und quer durch Sardinien zu tingeln und Populismus zu predigen. Für Salvini wird sich das am Sonntag zweifellos lohnen, für Di Maio wohl kaum.