Gesellschaft | Bildung

Auf dem Rücken der Kinder?

Sondergruppen, eine Obergrenze und “nicht-deutschsprachige Kinder besser aufteilen”, fordert die STF. Cornelia Brugger sieht die Probleme im Kindergarten ganz woanders.
Asilo
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Besorgt sind sie beide – auch wenn Myriam Atz Tammerle und Cornelia die Situation völlig unterschiedlich sehen.
“Schockierend” waren die Zahlen aus dem Kindergarten letztes Mal für die Süd-Tiroler Freiheit (STF). Heuer sind sie es immer noch.
Wie aus der jüngsten ASTAT-Erhebung hervorgeht, sind 14,2 Prozent der Kindergartenkinder im laufenden Schuljahr keine italienischen Staatsbürger. Der Anteil der Kinder ohne italienische Staatsbürgerschaft ist im Vergleich zum vorigen Schuljahr angestiegen und liegt in den italienischen Kindergärten bei 24,1 Prozent, in den ladinischen bei 7,8 Prozent und in den deutschen Kindergärten bei 11,7 Prozent. Grund genug, für Atz Tammerle & Co. Alarm zu schlagen: An 17 der 268 deutschsprachigen Kindergärten haben sie einen Anteil an Kindern aus Nicht-EU-Ländern von über 30 Prozent – und damit über einer von der STF geforderten “Obergrenze” an nicht deutschsprachigen Südtiroler Kindern – ausgemacht. “Die Realität dürfte noch viel schlimmer sein – da in den zur Verfügung gestellten Daten nicht zwischen Deutschen und Italienern unterschieden wird, ist davon auszugehen, dass der Anteil deutschsprachiger Südtiroler an den Kindergärten noch wesentlich niedriger ist, zumal auch immer mehr Italiener ihre Kinder in den deutschen Bildungseinrichtungen einschreiben.” Myriam Atz Tammerle und Sven Knoll malen ein düsteres Bild: “Angesichts dieser schockierenden Zahlen offenbart sich der dringende Handlungsbedarf.”

Die beiden STF-Landtagsabgeordneten befürchten nämlich, dass die Anwesenheit von Kindern mit ausländischer Staatsbürgerschaft oder Italienisch als (erster) Muttersprache die Qualität der Bildung deutschsprachiger Kinder beeinträchtigen könnte. Und obwohl der zuständige Landesrat Philipp Achammer daran erinnert, dass “reine Prozentsätze nicht über die Sprachkompetenz aussagen”, fordert Atz Tammerle, “die nicht-deutschsprachigen Kinder besser aufzuteilen” und “gesonderte Gruppen mit Sprachintensivprogrammen” für Kinder, die bei der Einschreibung in den Kindergarten “über gar keine Deutschkenntnisse verfügen”. Wie bereits die Freiheitlichen zuvor, zieht die STF Österreich als Vorbild heran. Dort gibt es seit dem heurigen Schuljahr “Deutschförderklassen” an den Schulen. Förderklassen seien in Südtirol rechtlich nicht möglich, entgegnet Landesrat Achammer. “Wir haben ein inklusives System, das keinerlei Sonderklassen zulässt.”

Es gehe ihr nicht darum, einem Kind den Zugang zum Kindergarten zu verwehren, betont Atz Tammerle, sondern durch “rechtzeitig ergriffene Maßnahmen die Entstehung von Konfliktsituationen zu verringern und zu einem guten und friedlichen Zusammenleben aller Beteiligten –  beizutragen”. Ankündigungen der Landesregierung seien bisher wirkungslos geblieben oder nicht umgesetzt worden, bemängelt Atz Tammerle.

Dies dürfte wohl der einzige Punkt sein, in dem ihr Cornelia Brugger recht gibt. Die Kindergärtnerin in Bozen, Gewerkschafterin und (parteilose) Brunecker Gemeinderätin sieht das wahre Problem im Kindergartenalltag nicht in der Anzahl an Kindern ohne italienische Staatsbürgerschaft oder nicht deutscher Muttersprache – sondern ganz woanders.
“Die Südtiroler Freiheit kommt wieder einmal ihren mantraartigen Forderungen nach und schreit nach getrennten Kindergärten und Schulen”, kritisiert Brugger in einer Aussendung. “Ist Frau Atz Tammerle bekannt, dass die Kinder vor der Einschreibung oft noch nicht einmal das 2. Lebensjahr erreicht haben und somit Sprachkenntnisse auch in der Muttersprache schwierig festzustellen sind? Gesellschaftliche Inklusion passiert sicher nicht über Förderklassen und Abschiebung, sondern in den bereits existierenden Bildungseinrichtungen, die unter anderem mit genügend Fachkräften und kleinen Klassen/ Gruppen ausgestattet sind.” Genau hier liegt laut Brugger der Haken: “Der aktuelle Personalmangel ist bezeichnend für die herrschende Situation in den Kindergärten.”

Die Kindergärtnerin und Gewerkschafterin zieht Landesrat Achammer zur Verantwortung. Sie wirft ihm vor, Wahlversprechen nicht eingehalten zu haben: “Herr Landesrat, voriges Jahr wurde uns hoch und heilig versprochen, dass in den Städten Bozen, Meran und Leifers die Kinderzahl pro Gruppe von 25 auf 22 gekürzt wird und wir durften diese neue Richtlinie genau ein Schuljahr lang ‘genießen’. Bereits heuer wird von diesen Versprechungen wieder zurückgerudert und nächstes Jahr werden es wieder 23. Wie sollen wir pädagogischen Fachkräfte aber auch die Eltern diese Nichteinhaltung eines Wahlversprechens werten? Kleinere Gruppen bedeutet mehr Zeit für den Einzelnen und Bildungsarbeit in Kleingruppen, Mehrwert für alle Betroffenen.” Für Brugger steht fest: “Ohne deutlich mehr Personal, kleineren Kindergruppen und einer fachlichen Ausbildung, die der multikulturellen und multilingualen Kindergartenrealität Rechnung trägt, sind wir auf verlorenem Posten und Kinder und Fachkräfte bleiben auf der Strecke – aufgrund politischer Entscheidungen.”

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Karl Trojer Fr., 25.01.2019 - 11:59

Neulich hörte ich im OR1 eine Sendung zu diesem Thema. Die Schlussfolgerung war : Kinder mit geringeren Sprachkenntnissen kommen meist aus ärmeren Schichten, bringen aber persönliche Erfahrungen zur Überlebensbewältigung mit, eine Erfahrung die den wohlhabenderen Kindern meist fehlt. Durch das gemeinsame Erleben der Kindergarten-und der ersten Schuljahre lernen beide voneinander. Die Statistik zeigt, dass Einheitsschulen letztlich für alle vorteilhafter sind als Schulen bei denen die Schwächeren in Sonderschulen lernen sollen. Meines Erachtens kann ein guter Ausgleich damit gefunden werden, dass in den Normalklassen die schwachen Schüler von kompetentem Lehrpersonal begleitet und unterstützt werden. Auch wurde festgestellt, dass Kinder aus Sonderschulen beim Eintritt ins Berufsleben, einer ungeschützen Umwelt ausgeliefert, stark unter Verlust an Selbstwert verlieren und leicht "absacken".

Fr., 25.01.2019 - 11:59 Permalink