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"Gezwungen, die Einsätze zu stoppen."

Anita Rossi hat vor einigen Jahren an einer Kamerun-Reise mit Orthopäden aus Südtirol teilgenommen. Jetzt haben sie die Ärzte gebeten, über die Lage vor Ort zu berichten.
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Foto: Ärzte für die Welt

Ein Gastbeitrag von Anita Rossi

Autonomiebestrebungen enden in Bürgerkrieg
Seit zehn Jahren arbeiten Südtiroler Ärzte für die Welt am Aufbau einer medizinischen Versorgung im Nordwesten Kameruns.​ Blutige Auseinandersetzungen nach jahrelangen Autonomieforderungen vereiteln derzeit jede Bemühung.

Dass die lautstarke Forderung nach Selbstbestimmung in einen Bürgerkrieg münden kann, das zeigt das Beispiel Kameruns an der Grenze zu Nigeria auf erschütternde Weise: Verwüstung mit ausgebrannten Dörfern, Tote, Tausende Menschen auf der Flucht – die Bestandsaufnahme in der Region um die Stadt Bamenda. Trotz Migrationsdebatte nur eine Randnotiz in Europa.

Die Orthopäden organisieren mehrmals im Jahr OP-Einsätze in der ehemaligen deutschen, später französisch-britischen Kolonie. 

Zu Unrecht. Die Verbindungen zwischen Südtirol und Kamerun, dem 23 Millionen Einwohner Sub-Sahara-Staat in Zentralafrika sind engmaschig, zuerst durch die katholische Mission der Tertiarschwestern des hl. Franziskus, heute durch den Einsatz des Vereins „Südtiroler Ärzte für die Welt“. Seit vielen Jahren engagieren sich Südtiroler Sanitäter, aber auch Laien und letzthin vor allem Orthopäden im anglophonen Nordwesten Kameruns, wo es vier große Krankenhäuser der Tertiarschwestern gibt. Die Orthopäden organisieren mehrmals im Jahr OP-Einsätze in der ehemaligen deutschen, später französisch-britischen Kolonie. Dafür nutzen sie die Strukturen der ursprünglich Südtiroler Ordenskrankenhäuser.

Ein Blick in die Geschichte des Landes erklärt, wie es zum plötzlichen Gewaltausbruch kam: 1960 entließ Frankreich Französisch-Kamerun in die Unabhängigkeit. Der von Großbritannien verwaltete Teil wurde ebenso unabhängig. Unter der Ägide der UN kam es zuerst zu einer „federation of two equal states“, dann entschied sich der nördliche Teil in einer Volksabstimmung für Nigeria, der südliche für den Verbleib im großteils francophonen Kamerun. Die zugesprochenen Autonomierechte für die kleinere, vorwiegend englischsprachige Nordwest-Region wurden durch die zentralistische Verfassung des Französisch sprechenden Gesamtstaates zunehmend abgebaut. Von einer Federal Republic of Cameroon kam man zu einer United Republic of Cameroon. Die Vereinheitlichung des Bildungssystems und des Justizwesens in französischer Sprache wurde im Nordwesten zum Konfliktherd – die Region um die Hauptstadt Bamenda politisch isoliert, ökonomisch ausgebeutet und kulturell assimiliert. Unmut, Straßenproteste, Massenstreiks, Ausgangssperren, Entführungen und seit 2016 eine Exilregierung, welche die Republik „Ambazonia“ ausrief, haben die Regierung in Yaounde auf den Plan gerufen und die Lage eskalieren lassen. Die Separatisten wurden zu Staatsfeinden erklärt, die Rebellen den Terroristen von Boko Haram gleichgestellt und erbarmungslos verfolgt und getötet.

Die Fronten verhärten sich zusehends.

Im Oktober vergangenen Jahres fanden Wahlen statt, der 85-jährige Paul Biya wurde nach 36 Jahren Regierung an der Macht bestätigt, obwohl die Wahlbeteiligung im Nordwesten aufgrund der Unruhen nur 10% betrug. Die Opposition schrie „Wahlbetrug“, Demonstrationen folgten, der ungeliebte Langzeitpräsident verordnete Ruhe, erntete aber nur Unsicherheit und bürgerkriegsartige Zustände. Die Fronten verhärten sich zusehends. Und das hat enorme Folgen auf den Alltag und die medizinische Versorgung, selbst den Einsatz von SüdtirolerInnen in Kamerun: Der Umstand, dass in den Ordenskrankenhäusern Verletzte, Rebellen genauso wie Regierungssoldaten, aufgenommen und behandelt werden, bringt die Tertiarschwestern in Konflikt mit beiden Parteien. Die Regierungssoldaten brechen in die Krankenhäuser ein und entführen verletzte Rebellen und umgekehrt. Die Ordensschwestern versuchen die Krankenhäuser weiterzuführen, in der Hoffnung, dass sich die Situation verbessern wird. Das Krankenhaus von Njinikom, in dem Orthopäden aus Bozen, Bruneck, Brixen in den vergangenen zehn Jahren die entsprechende Abteilung mit Geräten und Instrumenten beliefert, das Personal weitergebildet und schwierige OPs durchgeführt haben, hat die Hälfte seiner Mitarbeiter entlassen, und die restliche Hälfte arbeitet um den halben Lohn. Seit April 2018 sind aufgrund der Gefahren keine Einsätze mehr erfolgt.

Südtiroler Ärzte für die Welt 
Der Verein übernahm einen Teil die Reisekosten und hat viel Geld für die Anschaffung von Instrumenten und Maschinen lockergemacht. Zusammen mit dem Land Südtirol wurde beispielsweise ein teurer, für Afrika tauglicher, Sterilisator angeschafft, der die hygienischen Verhältnisse im Operationssaal deutlich verbessern konnte. Für den Arzt im Krankenhaus wurden Ausbildungskurse in Bozen und in der Schweiz finanziert und für die Krankenhaustechniker mehrere Kurse in Afrika. Im Herbst hätte ein Team aus Bruneck nach Njinikom reisen sollen.