Gesellschaft | Gestalttherapie

Die Selbstheilung des Körpers

Vom 30. November bis 1. Dezember organisiert die Genossenschaft GestaltAkademie Südtirol wieder die Bozner Gestalttage. Diesmal mit Dr. med. Bachl aus Wien.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
jon-flobrant-1362-unsplash.jpg
Foto: Photo by Jon Flobrant on Unsplash

Mit den Bozner Gestalttagen lädt die Genossenschaft GestaltAkademie Südtirol ein, sich theoretisch und praktisch mit dem Gestalt-Ansatz auseinanderzusetzen, und bietet Räume, sich zu begegnen, auszutauschen und zu diskutieren. Gestalttherapie ist eine weltweit anerkannte psychotherapeutische Methode, die Bewusstheit mit Körperlichkeit vereint.  Der Ansatz entwickelt neue Methoden, um erlebnisorientiert und experimentell zu Lebensfreude, Kompetenz und Identitätsgefühl zu finden.

Dr. med. Johann Christian Bachl arbeitet als Arzt an einem öffentlichen Krankenhaus in Wien. Er ist Psychotherapeut, Facharzt für Innere Medizin und Ausbilder in Gestalttherapie. Zu seinen therapeutischen Arbeitsschwerpunkten in seiner freien Praxis gehören Angst-Panikattacken, Depression, Ess-Störungen, Psychosomatik. Im Interview erzählt er mehr über die Selbstheilungskräfte des Menschen und wie Geist und Körper miteinander verbunden sind.

„Gestalttherapie in der Psychosomatik - vom Mythos zum Faktischen“ - Der Titel ihres Vortrags. Können Sie ihn genauer erläutern?
Ich beziehe mich hier auf die unterschiedlichen Begrifflichkeiten und Vorstellungen, die seit jeher mit dem Begriff – Psychosomatik – in Verbindung stehen; von den zahlreichen möglichen Zugängen zur Psychosomatik wähle ich den gestalttherapeutischen und medizinischen und werde versuchen, die damit gemeinten komplexen Abläufe im menschlichen Organismus verständlich und nachvollziehbar zu machen.

In ihrem Vortrag wird es unter anderem um das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele gehen. Worin liegt das? Gibt es wissenschaftliche Forschungen, die es belegen?
Eine junge Forschungsrichtung ist die Psychoneuroimmunologie (zB Prof C. Schubert, Innsbruck), die in ihren Arbeiten in den drei Teilbereichen deren Zusammenhänge und wechselseitigen Auswirkungen untersucht und belegt. Dies führt einerseits dazu, dass altes Wissen nun bestätigt, ja teilweise sichtbar gemacht werden kann, andererseits aber auch dazu, dass viele Vermutungen und Spekulationen ihren Boden verlieren. Ein großer Verdienst von Fritz Perls, dem Begründer der Gestalttherapie, ist die detaillierte Beschreibung organismischer Vorgänge (das Ich, der Hunger und die Aggression) womit er damals eine explizite Gegenposition zur weit verbreiteten Triebtheorie Sigmund Freuds einnahm. Aus genauer Beobachtung und analogen Schlussfolgerungen, z.B. des Prozesses der Nahrungsaufnahme am Beispiel des Stillvorganges, definierte Perls den Hungertrieb, der durch aktuelle Forschungen (zB selfish brain – Achim Petters, Lübbeck) bestätigt wird.

Wie oft haben körperliche Beschwerden oder Krankheiten einen seelischen Ursprung?
In einer ganzheitlichen, organismischen Sichtweise wird die willkürliche Trennung von körperlichen und seelischen Prozessen überwunden und die permanent ablaufenden Regulationsvorgänge im menschlichen Organismus neu verstanden. Aus dem entweder körperlich oder seelisch wird ein und, das die enge Verwobenheit von körperlichen und seelischen Prozessen als permanent ablaufende Funktionen unseres Nervensystems, Immunsystems und unserer Organe beschreibt und begreift.

Wie schneidet unsere heutige Gesellschaft in psychologischer Ausgeglichenheit aus? Wie hat sich das psychosomatische Krankheitsbild gewandelt?
Ihre Frage berührt einen wichtigen soziologischen Aspekt, den ich nicht beantworten kann ohne in wilde Spekulationen zu verfallen; den psychosomatischen Aspekt betreffend ist sicher diesbezüglich auch bei Medizinern und Medizinerinnen weitaus mehr Sensibilität, Ausbildung und Interesse vorhanden als noch vor 20 Jahren. In Österreich wurde kürzlich von der Ärztekammer die Zusatzbezeichnung - Spezialisierung in Psychosomatischer Medizin - neu geschaffen.

Sie sprechen auch von organismischer Selbstregulation. Was darf man darunter verstehen- kann der Mensch sich selbst heilen?
Selbstheilungskräfte sind ja seit Jahrtausenden fester Bestandteil unseres Wissens. Die Frage ist wie werden sie aktiviert, unterstützt oder verhindert. Der menschliche Organismus ist in seiner Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit ein Erfolgsmodell auf diesem Planeten. Dass dieser Erfolg mittlerweile auch zu einer Bedrohung für die Selbstregulation unserer Erde geworden ist, stellt sicher für diese und nachfolgende Generationen eine große Herausforderung dar. Aber jede Selbstregulation hat ihre Grenzen. Wo eine Herausforderung wie Infektion, Verletzung, Vergiftung, Belastung nicht mehr ausreichend kompensiert werden kann, kommt es zu Erkrankung. Sicher sind auch genetische Faktoren in der unterschiedlichen Reaktion auf krankmachende Faktoren von großer Bedeutung.

Wie erfolgreich schätzen sie diese Selbstheilung ein und wie kann die Gestalttherapie dabei helfen, diese zu fördern?
Über Jahrtausende brauchen wir menschliche Organismen Nahrung, Trinken, ausreichend Schlaf, Sicherheit, ein zu Hause, die Möglichkeit zu körperlichem, seelischem und geistigem Kontakt und Austausch - Gesundheit als Fundament und die Möglichkeit zu zufriedenstellender körperlicher und geistiger Aktivität. An wie vielen Orten weltweit ist dies dem Großteil der Menschen die dort leben möglich? Selbstheilungsregulation findet permanent und zumeist unbemerkt im menschlichen Organismus statt. Meine Ratschläge klingen einfach: ausreichend Schlaf, Gleichgewicht von Nahrungszufuhr, die schmeckt, und Energieverbrauch, geistige und körperliche Bewegung, die Spaß macht, lebendiger Kontakt mit der Welt um uns, liebevoller Umgang mit uns selbst und uns nahen Menschen. Eine Säule der Gestalttherapie ist die Förderung der Selbstwahrnehmung in körperlicher und seelischer Hinsicht, gerade im Kontakt mit unserer Umgebung, der auf unterschiedliche Weise beeinträchtigt sein kann. Gestalttherapie bietet die Möglichkeit, sich selbst in seinen Bedürfnissen, Empfindungen, seinem Sein als Organismus, der sich in einem ständigen Austausch mit seiner Umgebung befindet, zu begreifen und die vielen – ich sollte - , - ich müsste – , da und dort durch ein tief empfundenes – ich will – zu ersetzen.

Die jüngere Generation wendet sich immer stärker psychologischen und spirituellen Ansätzen zu, die zu einer positiven Körperlichkeit und Gesundheit führen (Yoga, Meditation, Schiatsu etc.). Haben die Ansätze etwas gemeinsam? Und wofür braucht es dann noch die Gestalttherapie?
Meine Hypothese dazu ist, dass eine Sehnsucht nach Selbstwahrnehmung, Bewusstwerdung von seelischen und körperlichen Prozessen besteht, die durch verschiedene Techniken möglich wird. Diese Erfahrungen können durchaus selbstregulierend und stabilisierend wirken und sind somit eher gesundheitsfördernd. Eine therapeutische Vertiefung im Sinne der Gestalttherapie bietet die Möglichkeit über den phänomenologischen Zugang im Heute, Hier und Jetzt in die eigene Geschichte einzutauchen. Sie hilft dabei, Wertvolles, Nährendes, Liebevolles bewusst zu machen und zu würdigen; Schwieriges, Belastendes, Verletzendes, offen Gebliebenes bewusst, benennbar, auseinandersetzbar und in seinen heutigen Auswirkungen veränderbar zu machen.

Wie fanden sie ihren Weg als Arzt für innere Medizin zur Psychotherapie und Gestalttherapie?
Durch einen Freund während des Studiums, der eine Gestalttherapie machte und sehr begeistert seine Erlebnisse mit mir teilte, erwachte mein Interesse. Schon Jahre davor hatte ich als Berufsziel Psychotherapeut angeführt und verschlang in den späten 70igern einiges was ich an Literatur in die Hände bekam. Die Zeit und meine damalige Umgebung ermöglichte Vieles neu zu denken, nächtelang zu diskutieren und war von einer großen Offenheit und Aufbruchsstimmung geprägt. So begann ich gegen Ende meines Medizinstudiums eine Gestalttherapieausbildung und habe in den Jahrzehnten meiner ärztlichen Tätigkeit in vielerlei Hinsicht davon profitiert.