Gesellschaft | Social Media

Sartre & Facebook

Jean Paul Sartre beschreibt in seinem Stück „Geschlossene Gesellschaft“ drei Menschen in der Hölle. Warum Sartres Hölle heute die sozialen Medien sind.
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Foto: upi
Im Kindergarten war meine Welt noch in Ordnung. Die Hölle, davon waren wir fest überzeugt, befindet sich im Inneren der Erde. In der Hölle befindet sich dann auch der Teufel. Meine Sandkastenfreunde und ich waren davon so fest überzeugt, dass wir eines Tages sogar nach ihm gegraben haben. 
Die Welt dreht sich aber weiter und seit damals hat sich einiges verändert. Bei Sartre sind die Hölle die Anderen. In Sartres Stück brauchen die Anderen aber immer noch einen physischen Ort. In diesem Fall ein Hotelzimmer „style Second Empire”. Ein heutiger Sartre hätte das Stück wahrscheinlich anders inszeniert. 
Die sartresche Hölle braucht heute keinen Ort mehr. Die Hölle ist überall dort präsent, wo Menschen Zugriff aufs Internet haben. Denn die Hölle ist Facebook. Facebook soll dabei stellvertretend für soziale Medien stehen. 
Die sartresche Hölle braucht heute keinen Ort mehr. Denn die Hölle ist Facebook. 
Die Parallelen zwischen Facebook und dem Stück „Huis clos“ beginnen da bereits mit dem Titel. Auch Facebook ist eine geschlossene Gesellschaft, ein sogenannter „walled garden“. Dieser Ausdruck wird in der Informatik für Plattformen verwendet, die eine Restriktion für die Benutzung vorsehen. Bei Facebook ist dies die Registrierung. 
Das Stück ist eine literarische Verarbeitung der sartreschen Philosophie. Der Mensch braucht den Anderen um vollends zu sein. Der Andere ist für seine Existenz unentbehrlich. Anfangs versuchen die Figuren in dem Stück ,zwecks Einflussnahme auf die Anderen, ihren Hintergrund zu verschleiern. 
Auch auf Facebook erscheint jeder nur im Besten Licht. Es scheint jedem gerade besser zu gehen als einem Selbst. Ein Bekannter hat mir kürzlich gesagt, er hat Facebook jetzt deaktiviert. Der Grund: Er erträgt die ganzen Urlaubsfotos nicht, während er für die Klausuren lernt. 
 
 
Die toxische Mischung dabei: Facebook gaukelt Realität vor. Mit der Registrierung bei Facebook erklärt sich jeder Nutzer einverstanden, „nur ein einziges persönliches Konto [zu] erstellen“ und dafür zu sorgen „dass, die Kontoinformationen stets korrekt sind und sich auf dem neuesten Stand befinden“. 
Diese Nutzerbestimmungen und unsere Erwartungshaltung an Facebook könnten den Eindruck erwecken, dass das „Facebook-Leben“ und das „wirkliche Leben“ deckungsgleich sind. Womit wir wieder bei Sartre wären: Das Profil auf Facebook – und in dem Sinne unsere Existenz auf Facebook – lebt von Posts, von Fakten also. Es ist wie in dem Stück, wo Garcin von seinem guten Willen spricht und Inès ihn anherrscht: „Du bist nichts anderes als dein Leben“. Guter Wille zählt auch auf Facebook nicht. Man ist, was man postet. 
Guter Wille zählt auch auf Facebook nicht. Man ist, was man postet. 
Zumeist sind diese Posts selbst dann noch sehr faktisch. Das Mitteilen von Gefühlen und Reflexion, geraten dabei zunehmend ins Hintertreffen. Erfordern diese doch oft mehr als 150 Zeichen. Aber dafür ist Twitter & Co. auch nicht gedacht. Wer wird schon mit seiner kleinen Smartphone-Tastatur einen ellenlangen Text schreiben. Und was noch entscheidender ist: längere Texte bekommen auch weniger Likes. 
In dem Hotelzimmer im Stück gibt es keine Spiegel, darum bittet Estelle Inès, ihr als Spiegel zu dienen. Auch wenn sich im Alltag genügend Spiegel finden, wird das Selfie oft vorgezogen. Gekoppelt an das Selfie ist meist der Post auf soziale Medien. Es braucht wieder den Anderen, um sich selbst zu sehen. 
Dieses Bedürfnis ist ein zweischneidiges Schwert, dass weiß auch Estelle, wenn Sie sagt: „Mein Lächeln dringt bis in die Tiefe Ihrer Pupillen, und Gott weiß, was dann aus ihm wird“. So läuft es auch auf Facebook. Wird mein Selfie geliket werden? Gar kommentiert? 
Viele Likes können einen rauschhaften Zustand herbeiführen, fanden Forscher*innen der Universität in Kalifornien heraus. Die Abwesenheit von Likes hingegen hat negative Auswirkung auf den Gemütszustand des Benutzers/Benutzerin. Die Jagd nach Likes kennt dabei keine Pause. D
as Internet, und damit die sozialen Medien, sind meistens ja nur einen Handgriff entfernt. Im Durchschnitt checken die Benutzer von Snapchat die App 18mal pro Tag. Es fällt vielen zunehmend schwierig, sich Auszeiten von sozialen Medien zu gönnen. Wir sind gezwungen, teilzunehmen und zu liken. Es regiert die Fear of Missing Out (FOMO). Was hat meine Freundin heute gemacht? Hat jemand schon meinen neuen Post geliket? Auch Inès, Garcin und Estelle sind zu ewigem Hinsehen verdammt. Ihnen fehlen die Augenlider. Besonders prämiert der Dienst Snapchat tägliche Nutzung: Es gibt dort Flammen-Emojis, die anzeigen wie viele Tage in Serie sich die Nutzer gegenseitig „Snaps“ zugeschickt haben. Wird ein Tag ausgelassen, verliert man die Flammen. 
Die Jagd nach Likes kennt dabei keine Pause.
Die Darsteller im Stück erkennen dabei relativ früh, dass sie sich in der Hölle befinden. Das Fehlen des Teufels? Eine Personaleinsparung. Trotzdem fehlt ihnen der Mut, die Hölle zu verlassen, als sich die Tür gegen Ende des Stücks öffnet. Sie brauchen einander, um zu sein. Facebook verlassen auch die Wenigsten. Mein Bekannter z.B. will es wieder aktivieren, sobald die Klausuren vorbei sind. Er wie viele andere sind sich bewusst über den Druck des Vergleiches. Trotzdem gelingt es ihnen nicht, aufzuhören. Aber was ist die Alternative? Wir leben mittlerweile in einer Gesellschaft, in der die Abstinenz von Facebook als „ein erstes Zeichen einer psychischen Auffälligkeit“ interpretiert werden kann, wie Andreas Bernard in seinem Buch „Komplizen des Erkennungsdienstes“ schreibt. Also machen wir weiter!