Kultur | Salto Afternoon

Kafkaeske Straßenlampen

Adriano Sofri spielt in seinem jüngsten Buch mit der Verwandlung von Straßenlampen in eine Straßenbahn. Er bringt damit Licht in ein dunkles Kapitel eines Bestsellers.
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Foto: Foto: Salto.bz

„Aus einem bestimmten Blickwinkel würde man im sechsten Stock des Gefängnisses die Lichter der vorbeifahrenden Autos sehen…“ erinnerte sich Adriano Sofri am Mittwochabend im Kulturzentrum Trevi in Bozen an seinen Gefängnisaufenthalt. Es waren erhellende Ausblicke am Ende einer spannenden literaturwissenschaftlichen Spurensuche zum Literaturklassiker Die Verwandlung von Franz Kafka (1883-1924).

Adriano Sofri, Lotta Continua-Vordenker und linker Intellektueller, wurde 1997 in einem umstrittenen Prozess zum Mord an einen Polizisten zu 22 Jahren Haft verurteilt. 2012 kam er frei. Immer wieder hat er sich mit politischen,  kulturellen und gesellschaftlichen Fragen beschäftigt. Und nun - aus gutem Grund - mit Straßenlampen und Straßenbahnen. 

Mit Una variazione di Kafka hat Sofri einen schlauen Übersetzer-Krimi geschrieben, indem er die kafkaeske Verwandlung eines Wortes innerhalb der Textzeile: „Der Schein der elektrischen Straßenlampen lag bleich hier und da auf der Zimmerdecke…“ genauer beleuchtet.  Franz Kafka hatte diesen Satz 1912 für seine Erzählung geschaffen, ohne freilich zu wissen, welche Vermutungen, Abwandelungen und sogar Beweisführungen zu dieser Sentenz einmal ans Tageslicht kommen würden. Verschiedene Übersetzungen und Auflagen führen nämlich die leicht abgewandelte Form: „Der Schein der elektrischen Straßenbahn lag bleich hier und da auf der Zimmerdecke…“

Ob „Straßenbahn“-Übersetzerin Anita Rho (1906 – 1980) oder alle weiteren von Sofri untersuchten Straßenbahn-anstelle-von-Straßenlampe-Übersetzungen: Wie konnte diese Verwandlung passieren? In seinem Buch löst der Autor den kniffligen Fall und webt abenteuerliche Lebensgeschichten von bekannten und vergessenen Übersetzerinnen und Übersetzern hinzu. 

Ausführlich erzählte Sofri von der Deutsch-Spanierin Margarita Nelken (1894-1968), einer spanischen Feministin und Autorin, die 1925 die erste Übersetzerin der Kafka-Erzählung ins Spanische war. Ihr hat er nachgespürt und in den Archiven genügend Beweise gefunden, um am Ende sogar den bekannten Übersetzer und Schriftsteller Jorge Louis Borges (1899-1986) einer literarischen Straftat zu überführen. Dieser hatte nämlich jahrelang mit einem Plagiat der Kafka-Übersetzung Ruhm und Anerkennung genossen, während sich der Straßenbahn-Fehler weiter und weiter Richtung Gegenwart aufmachte.

Der Autor sympathisiert auf seiner Spurensuche mit der Fehlerquelle, der Trambahn, der vorbeiziehenden Lichtspur, und nicht so sehr mit dem fixen Licht, welches bei Kafka „bleich hier und da auf der Zimmerdecke“ liegt. Sofris Buch ist eine Einladung, ihn auf seiner erhellenden Literaturreise in die Vergangenheit zu begleiten. Diese führt mitunter zurück zum schriftstellerischen Glanzlicht aus Prag – direkt in jene Straßenbahn, die auch am Ende von Kafkas Verwandlung steht.