Politik | Interview

“Wäre froh über zweites Referendum”

Kommt der Exit vom Brexit? EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann will die Briten nach dem gescheiterten Brexit-Deal nicht verlieren. Aber: “Die Entscheidung liegt in London”
Herbert Dorfmann
Foto: Facebook/Herbert Dorfmann

salto.bz: Herr Dorfmann, ist das Chaos nach der Abstimmung am Dienstag Abend im britischen Unterhaus perfekt?

Herbert Dorfmann: Die Chancen, dass diese Abstimmung positiv ausgehen würde, waren minimal. Im Grunde haben wir alle erwartet, dass der Vorschlag des Austrittsabkommen abgelehnt wird. Was ein bisschen überrascht, ist das Ausmaß der Ablehnung.

Nur 202 Abgeordnete stimmten für den Brexit-Deal. 432 dagegen.

Die 432 Stimmen sind sicher mehr als sich die meisten erwartet haben.

War es ein Nein zum Brexit generell?

Aus dieser Abstimmung herauszulesen, dass es eine Mehrheit im Unterhaus gegen den Brexit gebe, ist aus meiner Sicht ein völliger Fehler. Denn es haben auch jene dagegen gestimmt, die einen harten Brexit wollen. Andererseits, wäre diese Abstimmung durchgegangen, wäre der Brexit endgültig besiegelt gewesen. So bleibt zumindest immer noch ein Funken Hoffnung, dass es letztendlich überhaupt nicht dazu kommt.

Es könnte einen Exit vom Brexit geben?

Die Möglichkeit besteht immer. Das einzige, was man aus dieser Abstimmung herauslesen kann, ist, dass es im Unterhaus im Grunde für nichts eine Mehrheit gibt. Weder für diesen Austrittsvertrag noch für den Austritt ohne Vertrag. Aber es gibt auch keine Mehrheit für ein neues Referendum. Es braucht jetzt eine Klärung in London.

Den Brexit verschieben oder abblasen ist aus meiner Sicht nur über ein zweites Referendum möglich.

Die britische Premierministerin Theresa May hat angekündigt, dem Unterhaus einen neuen Vorschlag vorlegen zu wollen. Inzwischen muss sie sich einem Misstrauensvotum stellen. Sprich, es könnte zu Neuwahlen kommen. Wie erwarten Sie sich, dass es auf der Insel weitergeht?

Mal schauen, was im Laufe des Tages passiert passiert. Im Plenum war es heute  (Mittwoch, Anm.d.Red.) ganz interessant: Der Delegationsleiter der britischen Konservativen hat in der Debatte gesagt, dass er davon ausgeht, dass der Misstrauensantrag durchgeht, dass er eine Mehrheit findet. Die britische Presse sieht das heute nicht so. Dort geht man eher davon aus, dass es keine Mehrheit für diesen Misstrauensantrag geben wird. Weil die Regierungsparteien eigentlich kein Interesse an einer Regierungskrise haben. Dann würde sich nämlich die Frage stellen: Whats’s next? Bei Neuwahlen könnte die Labour-Partei eine Mehrheit bekommen – dieses Risiko will man nicht eingehen.

Wobei, kommt die Abstimmung vom Dienstag nicht de facto einem Misstrauensvotum gegen die Premierministerin gleich? Theresa May hat den Brexit-Deal schließlich mit ausgehandelt.

Nein, überhaupt nicht. Die Nein-Stimmen sind aus ganz unterschiedlichen Gründen zusammengekommen. Auf der einen Seite kommen sie von den harten Brexit-Gegnern, den Remainern. Auf der anderen Seite von den harten Brexit-Befürwortern. Es ist ein Mix aus ganz unterschiedlichen Interessen.

Welche Position nimmt die EU ein?

Wir haben unseren Beitrag geleistet, wir haben einen Austrittsvertrag vorgeschlagen, den wir als fair und alternativlos empfinden. Insofern liegt es jetzt eher bei den Kollegen in London zu sagen, was sie wollen. Wir sind relativ relaxed. Ich hoffe nur, dass die Europäische Union hart bleibt, dass wir uns jetzt nicht weichklopfen lassen und Zugeständnisse machen. Das würde ich für einen grundsätzlichen Fehler halten. Die EU ist Schutzmacht für das Karfreitagsabkommen. Wir können unseren Mitgliedsstaat Irland nicht einfach über die Klinge springen lassen. Das funktioniert nicht. Die Sicherheitsklausel für Irland muss bleiben, die Grenze zwischen Nordirland und Irland muss offen bleiben. Ansonsten riskiert man die Rückkehr der Konflikte auf der irischen Insel. Und das sollten wir als Europäische Union nicht riskieren.

Wir sollten uns jetzt nicht mit irgendwelchen Zugeständnissen hinauslehnen.

Wen würde ein “hard Brexit”, also ein Brexit ohne Abkommen härter treffen?

Selbstverständlich ist ein harter Brexit für die EU nicht vorteilhaft. Aber noch viel schwieriger ist er für Großbritannien. Wenn es auch viele anders sehen – meine Meinung ist, dass es zu keinem harten Brexit kommen wird. Auch Großbritannien wird das nicht riskieren. Zuvor werden sie um einen Aufschub des Austritts ansuchen.

Stichtag für den Brexit ist der 29. März. Sollte ein Aufschub gewährt werden, könnten die Verhandlungen mit den Europawahlen am 26. Mai kollidieren. Müssten die Briten also im letzten Moment EU-Wahlen organisieren und ihre Vertreter wählen – während parallel dazu Austrittsverhandlungen weiterlaufen? Kann vor einem solchen Szenario ein Aufschub überhaupt gewährt werden?

Die Einschätzungen, die manche jetzt dazu machen, erachte ich persönlich als nicht ganz richtig. Für uns in der Europäischen Union wäre es kein Problem, wenn ein paar Monate länger verhandelt würde. Eine Verschiebung bis zum 26. Mai wäre vorerst auch überhaupt kein Problem. Sollte es eine Verschiebung über die Europawahlen hinaus brauchen, müssen eben beide Parlamente – das Europäische und das britische – eine Übergangsregelung beschließen. Man könnte sagen, die britischen EU-Abgeordneten werden nicht mehr gewählt, doch offiziell bleibt Großbritannien bis Herbst oder bis Jahresende Mitglied der Union. Was ich aber vollkommen ausschließe, ist, dass am 26. Mai die britischen Abgeordneten für das EU-Parlament gewählt werden. Das ginge auch nicht, weil wir inzwischen die Sitze neu aufgeteilt haben.

Im britischen Unterhaus gibt es keine Mehrheit für irgendetwas.

Nach den Europawahlen im Mai wird das Parlament von 751 auf 705 Abgeordnete verkleinert: 46 der 73 britischen Sitze werden für mögliche EU-Erweiterungen in die Reserve gestellt, die verbleibenden 27 Sitze auf 14 leicht unterrepräsentierte EU-Länder verteilt.

Diese Entscheidungen über die neue Sitzverteilung sind alle bereits gefallen. Man könnte sie nur rückgängig machen, wenn die Briten innerhalb 29. März sagen würden, sie wollen den Brexit tatsächlich abblasen – was uns in ein großes Problem schlittern lassen würde. Es würde sich die Frage stellen, wie viele Abgeordnete in den einzelnen Mitgliedsstaaten zu wählen sind. Das wäre eine wirklich kritische Situation. Aber wenn die Briten sagen, wir brauchen noch einige Monate mehr, dann wird man eine Lösung finden müssen. Daran soll es nicht scheitern.

Würden Sie ein zweites Referendum über den Brexit befürworten? Oder sollen die britischen Parlamentarier die Verantwortung für den weiteren Weg übernehmen?

Aus meiner Sicht und der Sicht einer übergroßen Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen hier – und übrigens auch einer großen Mehrheit der britischen Kollegen bei uns im Europäischen Parlament –, wäre ein Abblasen des gesamten Brexit die beste Alternative. Derzeit sehe ich das sehr schwierig, weil ich keine Mehrheit dafür sehe. Aber wie gesagt, so, wie sich die Dinge in London entwickeln, weiß man ja nie, was passiert. Sollte der Brexit aber verschoben oder abgeblasen werden, gibt es im Grunde keine andere Möglichkeit als ein zweites Referendum abzuhalten. Insofern wäre ich natürlich sehr froh, wenn es zu einem zweiten Referendum kommen würde. Aber das zu entscheiden, ist Zuständigkeit der Briten und der britischen Demokratie, nicht unsere.

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kurt duschek Mi., 16.01.2019 - 22:29

.....so lange abstimmen lassen bis das Ergebnis passt? Der Wünsch ist verständlich, aber in den demokratischen Systemen muß man halt auch demokratische Entscheidungen akzeptieren.

Mi., 16.01.2019 - 22:29 Permalink