Culture | Rezension

Der moderne Prometheus?

Guillermo del Toro nimmt sich eines Horror-Klassikers an und liefert seine eigene Version von Frankenstein. Doch ist sie wirklich so eigen?
Ein Mann spricht
Foto: Netflix
  • Es war nur eine Frage der Zeit, bis der mexikanische Filmemacher Guillermo del Toro seine Verfilmung von Mary Shelleys „Frankenstein“ ins Kino bringt. Wobei „Kino“ hier nur bedingt stimmt, denn in erster Linie ist sein neues Werk ein Produkt des Streaming-Giganten Netflix. Wer das Glück hat, in einer größeren Stadt ein Kino zu finden, das den Film nun doch für einige Tage auf der großen Leinwand zeigt, dem sei geraten, den Streifen bei vorhandenem Interesse dort zu sehen. Del Toros Werke sind nämlich nicht zurückhaltend, teils schmachten sie die Größe der Leinwand an und verlangen nach ihr. Schließlich ist der Regisseur für stilvolle Bilder, überbordende Sets und Kostüme, kurz, visuelle Pracht, bekannt. Das ist auch in Frankenstein nicht anders, der nach seinem Kinostart ab dem 7. November regulär bei Netflix zu sehen ist. Doch zunächst zum Inhaltlichen, das schnell abgearbeitet ist, denn die Prämisse dieser Geschichte, die 1818 erstmal anonym veröffentlicht wurde, kennt beinahe jede und jeder. Viktor Frankenstein ist ein aufstrebender Wissenschaftler, der den Plan verfolgt, ein künstliches Wesen zu erschaffen. 

     

    Daraus entsteht ein Dilemma, das nach wie vor seinen Reiz hat.

     

    Diese Kreatur fügt er aus verschiedenen Leichenteilen zusammen und erweckt sie zum Leben. Während so ein neues, eigenständiges Individuum erschaffen wird, will Frankenstein das nicht wahrhaben, unterdrückt die Kreatur und will sie kontrollieren. Das Wesen möchte aber nicht fremdbestimmt sein, ebenso wenig möchte es ewig leben, was es tun muss, so scheint es, denn jegliche Wunden und Verletzungen heilen sofort. Daraus entsteht ein Dilemma, das nach wie vor seinen Reiz hat, nun aber gekleidet in del Toros Bilder seltsam neu wirkt, gleichzeitig aber auch den Charakter des bereits Bekannten an sich trägt.

  • Foto: Netflix
  • Del Toro beginnt, so wie das Buch, in der Arktis. Hier wird Viktor Frankenstein gefunden und darf nun rückblickend seine Lebensgeschichte erzählen. Dafür nimmt sich der Film die erste Hälfte der rund zweieinhalb Stunden Zeit. Wir erfahren, wie Frankenstein aufwuchs, wie er seine Faszination für den menschlichen Körper entwickelte, und schließlich seine Kreatur erschuf. In der zweiten Hälfte wechselt die Perspektive und die Erzählung folgt dem sogenannten „Monster“, nachdem es die Ketten der Gefangenschaft abgeworfen hat und geflohen ist.Hier bremst sich der Film sehr ein. Während die erste Hälfte redselig und manchmal etwas zu ausformuliert daherkommt, wird der Dialog im zweiten Teil stark reduziert. Die Kreatur mit ihren Regungen, ihrer Mimik, ihrem langsamen Verstehen unserer Welt, steht im Mittelpunkt. Das ist zwar in mancher Hinsicht interessanter als die ausschweifenden, um sicher selbst tänzelnden Gespräche, die man zuvor zu Gesicht bekam, wirkt aber genau aufgrund des starken Kontrasts etwas holprig. Immerhin ist die Kreatur einer der Höhepunkte des Films. 

     

    Die Frage, die sich bei Frankenstein immer aufdrängt – wer ist nun das eigentliche Monster ?

     

    Gespielt von Jacob Elordi wirkt sie, anders als andere Iterationen der Figur, sehr menschlich. Del Toro erspart sich ein abstoßende Bild – davon gibt es dank eines hohen Gewaltgrades in diesem Film genügend – und arbeitet die berührende Seite der Kreatur stark hervor. Die Frage, die sich bei Frankenstein immer aufdrängt – wer ist nun das eigentliche Monster – hätte im Film gar nicht ausgesprochen werden müssen. Die Darstellung der Kreatur, aber auch die von Viktor Frankenstein durch den Schauspieler Oscar Isaac, reichen aus, um auf solche Gedanken zu kommen. Das Ensemble rund um Mia Goth, Christoph Waltz und Felix Kammerer füllen diese mal prunkvolle, mal karge Welt, die immerzu von der Tragik der zugrundliegenden Geschichte eingenommen wird. Wie eingangs erwähnt schwelgt die Kamera in diesen Bildern, die der Romantik entstammen könnten, die keine Angst vor Kitsch haben, sondern im Gegenteil den Kitsch zum Prinzip erheben. Das gilt auch für das Ende, das vom Buch abweicht und leider etwas beliebig wirkt. 

  • Foto: Netflix
  • Guillermo del Toro hat seine Adaption abgeliefert, pflichtbewusst, so wirkt es in manchen Momenten, überaus leidenschaftlich, in anderen. Er fügt der Geschichte nichts Neues hinzu, aber nun sind sie endlich draußen in der Welt, diese Bilder, die der Regisseur schon so lange mit sich trug. Schließlich ist die düstere Geschichte mit ihrer düsteren Kreatur und dem ambivalenten Protagonisten wie gemacht für den Mexikaner. Ob seine Version ebenso Kultstatus wie der Klassiker mit Boris Karloff erlangen wird, darf aber zumindest bezweifelt werden.