Sport | Interview

Goldgriffe

Paraclimber David Kammerer über seinen Weltcuperfolg, den Einfluss des Kletterns auf sein Leben, Unterschiede zum „normalen“ Klettern und seine Lehrerin, die Prothese.
David Kammerer
Foto: IFSC
  • SALTO: Herr Kammerer, vor kurzem konnten Sie in Salt Lake City die Goldmedaille im Paraclimbing-Weltcup feiern. Wie war das Gefühl? 

    David Kammerer: Voll cool. Ich bin letztes Jahr mehr oder weniger in die Wettkämpfe hineingerutscht. Es hat mich aus dem Grund interessiert, weil ich mich gefragt habe, wie gut bin ich eigentlich und was kann ich erreichen? Ich war schon letztes Jahr oft spitze unterwegs, unter den ersten Plätzen. Im September habe ich angefangen, einen Trainingsplan zu erstellen und habe mich für heuer exzellent vorbereitet. Aber vor dem Weltcup war die Frage: Wie viel hat das letztendlich gebracht?

    Inwiefern?

    Laut Grade wurde ich immer besser, aber ein Wettkampf ist immer eine eigene Geschichte. Ich habe aber schon in der Quali gemerkt, dass ich vorn mit dabei bin. Die Möglichkeit, dass ich gewinnen kann, war spürbar.

    Wie war das Finale?

    Im Finale ist man isoliert, du bekommst nicht mit, wie weit die anderen gekommen sind. Du kletterst, gibst dein bestes, weißt aber am Ende nicht was du geleistet hast. Ich bin rauf und mein Coach zeigte mir an, dass ich Erster war. Nach mir kam nur noch einer, der kurz vor Schluss fiel. Ich kann es fast immer noch nicht glauben, dass ich es geschafft habe. Letztes Jahr war ich jedes Mal froh ins Finale zu kommen und heuer gewinne ich das Weltcup-Debüt. Das ist das beste, was passieren kann.

    „Es war so ein geiles Gefühl, die Kraft, die Technik, die Körperhaltungen.“

  • Zur Person:

    David Kammerer, geboren im November 1992, wohnt in Stefansdorf (St. Lorenzen) und ist als Achtsamkeitstrainer und Meditationslehrer selbstständig. Er klettert in der Kategorie AL2 (amputiert), hat PFFD (Proximaler Femurdefekt), in seinem Fall eine Oberschenkel- und Hüftdeformation, sein rechter Oberschenkel ist um etwa 35 Zentimeter kürzer als der linke. Er ist Vater von zwei Söhnen.

  • Der Moment des Triumphes: David Kammerer erhebt seine Fäuste gen Himmel nach seiner ersten Goldmedaille Foto: IFSC
  • Seit wann klettern Sie und wie sind Sie dazu gekommen?

    Ich war als Kind schon sehr bewegungsfreudig. Ich bin, trotz meiner Behinderung, mit elf Monaten schon gegangen. Klettern hat mich schon ein paar Mal angezogen, auch in der Mittelschule. Da war es noch ein bisschen mehr Nischensport, ich habe mich nicht selbstbewusst genug gefühlt, es zu probieren. Vor fünf Jahren wohnte ein Freund bei mir, der mich mal zum Bouldern mitnahm. Es war so ein geiles Gefühl, die Kraft, die Technik, die Körperhaltungen. Das hat mir so gut gefallen, dass ich ein paar Tage darauf zur Kletterhalle in Bruneck ging. Von da an kann ich die Wochen, in denen ich nicht klettern war, an einer Hand abzählen.

    Inwieweit hat Climbing Ihr Leben beeinflusst?

    Es füllt mein Leben. Ich trainiere fünf-sechsmal die Woche, klettere dreimal die Woche. Dies neben Familie und Arbeit zu leisten, bedeutet, dass ich um 05.00 Uhr aufstehen muss, um alles unterzubringen. Auch meine Gedanken schwirren ums Klettern herum. Klettern ist sehr präsent in meinem Leben. Es ist ja auch ein Spitzensport, auch wenn Paraclimbing finanziell uninteressant ist.

    „Parasport ist wie eine große Familie.“

    Was sind die größten Herausforderungen des Paraclimbings?

    Paraclimbing ist komplex, es gibt zehn verschiedene Kategorien. Alle mit anderen Fähigkeiten, anderen Behinderungen. Das zu organisieren ist schwer. Der Routenbau ist sehr schwierig. Für einen „normalen“ Menschen, wenn der eine Route für mich baut, muss er sich in mich hineinversetzen können. „Leichte“ Routen können für mich unmöglich sein. Die Route fair zu gestalten, also beispielsweise, dass man keine Vorteile davon hat, ob man die Prothese nun links oder rechts hat, ist eine große Herausforderung. Es fehlt die Anerkennung, dass man wirklich einen Sport treibt und gleichviel leistet wie ein normaler Sportler. Die Finalroute ist vergleichbar mit einer 8A-8A+. Die Hürde beim normalen Klettern ist, dass oft Bewegungen erfordert sind, die für mich teils unmöglich sind, das Wort will ich aber nicht verwenden.

    Nun, abgesehen von der jüngsten Goldmedaille, was sind die schönsten Erinnerungen Ihrer Paraclimbing-Karriere?

    Die Gemeinschaft beim Paraclimbing ist wundervoll. Du kommst hin, tauscht dich aus: „Wie tust du bei der Route, welche Prothese hast du, was kann man da machen?“. Du wirst eingeladen, gefragt gemeinsam klettern zu gehen. Die Verbindung ist enorm, beim Klettern generell. Wenn man einem Ort ist, an dem alle Kletterer eine Behinderung haben, ist sie noch viel größer. In Südtirol kenne ich niemanden, der mit Prothese klettert, da bin ich in der Stellung ein wenig allein. Es ist großartig, Menschen zu haben mit denen man sich da austauschen kann. Parasport ist wie eine große Familie, man leiht sich Sachen, hilft sich gegenseitig aus. Es ist so ein starker Zusammenhalt, man ist natürlich auch Konkurrent, aber hauptsächlich geht es um Austausch und Zusammenkunft, darum sich gegenseitig zu unterstützen, um das Beste zu erreichen.

    „Es fehlt die Anerkennung, dass man wirklich einen Sport treibt und gleichviel leistet wie ein normaler Sportler.“

  • Die „Azzurri“ in Salt Lake City: Neben dem „goldenen“ Kammerer konnte auch Lucia Capovilla eine Medaille mit nach Hause nehmen. Sie holte Silber in der Gruppe AU2. Foto: ISFC
  • Haben Sie Vorbilder?

    Für mich sind all die, die viel mit mir klettern gehen, Vorbilder. Die Freunde, mit denen ich klettern gehe, was wir gemeinsam leisten, das inspiriert mich. Natürlich wenn du bei Wettkämpfen Menschen im Rollstuhl siehst, die eine 7B-Route klettern ohne die Füße zu benutzen, das ist extrem „bärig“. Einer meiner größten „Meister“ ist Dan Millman, den ich persönlich kenne, Autor von „Der Pfad des friedvollen Kriegers“. Er hatte einen Unfall und kam wieder zurück, er hat mich geprägt in Achtsamkeit und mentaler Stärke.

    Was steht als nächstes an?

    Am 15. Juni ist Italienmeisterschaft und am 24-25. Juni ist Weltcup in Innsbruck. Ende August gibt es die erste Paraclimbing-Europameisterschaft und am 27-28. September ist der letzte diesjährige Weltcup in Arco. Ich freue mich aber jetzt im Sommer wieder in den Bergen auf Fels zu klettern.

    Welche Ziele würden Sie gern noch erreichen?

    Wettkampfmäßig läuft es gut, mehr als Gold kann man sich nicht wünschen. Ich würde es natürlich begrüßen, wenn Klettern paralympisch würde und daran teilzunehmen. Das ist frühestens 2028 möglich, aber ist bereits im Gespräch. Logisch will ich stetig ein besserer Kletterer werden. Ich habe in Bruneck eine inklusive Klettergruppe gestartet nach dem Vorbild der Klettergruppe Meran, in Zusammenarbeit mit dem „Ich will da rauf“-Verband in Deutschland. Diese Gruppe ist „bärig“, inspiriert mich sehr, dort kann ich gelerntes an Menschen mit und ohne Behinderungen weitergeben. Das Ziel ist die Gruppe auszubauen und zu festigen, dass es normal ist, dass Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam klettern gehen.

    „Ich konnte durch die Prothese viel lernen, sie wurde zu einem Lehrmeister.“

    Was würden Sie Menschen mit Behinderungen sagen wollen, die sich möglicherweise nicht trauen, einen Sport zu treiben?

    Wir haben natürlich eine größere Hemmschwelle und die Angst sich zu blamieren, bloßgestellt zu werden. Klettern kann als sehr inklusiver Sport praktiziert werden, mit eigenen Routen oder Flaschenzügen für Rollstuhlfahrer. Es ist wichtig, zu probieren. Von Nichts kommt nichts. Wenn man nur zuhause sitzt, weiß man nicht wie es ist. Wenn man die Chance auf eine inklusive Gruppe hat, ist das ein Vorteil, da die Hemmschwelle geringer ist. Da ist eine Verbindung da, ein Vertrauen und man hat gemeinsam Spaß.

    Wie konnten Sie mögliche Selbstzweifel überwinden?

    Ich habe mich, wegen der Prothese, nicht immer getraut, kurze Hosen anzuziehen. Vor allem bis zur Oberschule sind die anderen, Kinder und Erwachsene, nicht so sensibel. Du wirst gefragt, was da los ist. Hörst Kommentare, die zwar gut gemeint sind, dich aber hart treffen. Es war nicht leicht. Ich konnte durch die Prothese viel lernen, sie wurde zu einem Lehrmeister. Sie erinnert mich täglich, meine Willenskraft und meinen Geist zu schulen, sich zu sagen: „Du bist so und das passt, sei froh um die Prothese, durch sie bist du viel reifer geworden und hast viel gelernt.“ Ich habe gelernt, über meinen Schatten zu springen. Da waren Freunde und vor allem die Familie das Wichtigste. Sie ermutigten mich rauszugehen, etwa auf Events ohne Prothese zu gehen, ohne darüber nachzudenken wie ich aussehe.