"Vertraut den Lebewesen"
Raus. Lassen wir sie raus. Lassen wir sie spielen, lassen wir sie sein. Ohne den wachsamen Blick der Erwachsenen, denn der verfälscht. Kinder sollen spielen dürfen, sein dürfen. Allein.
„Ich werde ein Loblied der Nutzlosigkeit anstimmen, ein Loblied auf die Anarchie.“ Andreas Weber ist kein Pädagoge, „ich bin einfach nur Vater und hab experimentiert.“ In den Berliner Wäldern fotografiert er seine Kinder, „ich hab mich mit Zweigen und Blättern getarnt.“ Selbst sein Beisein lässt die Spielenden unfreier werden, beobachteter, eingeschränkter. Zusammen bauen die Kinder ein Baumhaus, „das ist nicht schön, so wie wir Erwachsenen oft meinen, dass schön, schön ist. Da gibt es keinen Plan, das kommt aus ihnen heraus. Es ist wild, es ist anarchisch, es schafft Beziehung.“ Und vereint sich mit der Natur. "Irgendwann stürzt das Baumhaus ein, andere Kinder klauen die Fenster, so gehört es sich."
Müssen Sie lachen, wenn Sie Folgendes lesen? Ein Huhn legt im Durchschnitt drei Eier am Tag, manchmal auch mehr als sechs. Die Frau des Hirsches heißt Reh. Die Sonne geht im Norden auf. Zwischen zwei Vollmondnächten kann ein Jahr liegen. Und H-Milch kommt von H-Kühen, Stadt-Kühen und Haus-Kühen. Oder ist Ihnen ein bisschen bang, wenn Sie erfahren, dass nur zehn Prozent der Schüler meinen, in Naturwissenschaften etwas über Natur vermittelt zu bekommen? Und wenn jeder vierte Schüler glaubt, in einem Handy steckten null Prozent natürliche Rohstoffe, und nur jeder 25. Schüler weiß, dass es in Wahrheit 100 Prozent sind? Ein Editorial aus Geo, 08/2010
Bereit zur Revolution?
Weber bezeichnet sich selbst als Schriftsteller und Philosoph, er hält es mit dem Sozialforscher Stefano Laffi, auch Redner auf den Toblacher Gesprächen. Laffi sagt: „Unter Ausnutzung ihrer Machtposition haben Erwachsene Theorien ausgearbeitet, die eine Asymmetrie untermauern. Man glaubt zu wissen, wie Jugendliche sein sollten, und dies allzu oft ausgehend von einer (meist verzerrten) Vorstellung davon, wie man selbst in diesem Alter war.“ Laffi und Weber wollen sagen: Hören wir auf uns nach vorne zu stellen, uns als Pädagogen zu verhalten und fangen wir an unsere Ohren zu spitzen. Weber fordert die Revolution, den Umkehrschluss: „Wir Erwachsenen müssen endlich verstehen: Wir sind die Lernenden, nicht die Lehrenden. Drehen wir den Spieß endlich um und schauen wir, was wir von den Kindern und Jugendlichen lernen können.“
„Wir Erwachsenen müssen endlich verstehen: Wir sind die Lernenden nicht die Lehrenden. Drehen wir den Spieß endlich um und schauen wir, was wir von den Kindern und Jugendlichen lernen können.“
Bereit zuzuhören?
Ein Schritt zurück bedeutet auch, die Suffizienz, die Stephan Kohler, von der Deutschen Energieagenutur proklamiert hat, anzuschauen „Wir müssen unser Leben verändern.“ Nachhaltig leben klingt schön, aber wo gelingt es uns, was können wir wirklich verändern, wo können wir uns zurücknehmen – im Kleinen? Josef Watschinger, Direktor der Mittelschule Welsberg führt ein Beispiel an: „Unser alter Pausenhof wurde von den Kindern so gut wie gar nicht genutzt. Dann haben wir innegehalten, überlegt, was fehlt, was es braucht. Wir haben die Kinder gefragt, und sie wollten eine Hügellandschaft, mit Wasserlauf. Sie wollten Büsche und Sträucher. Seitdem wird gespielt in der Pause.“ Mit Genuss, um sich zu erholen.
Langsamer, schöner, besser
Radikal muss sich etwas ändern, meint Weber, erzählt von einem Naturprojekt für Kinder in Berlin, "fast unerschwinglich, und es ist wie im Museum, anfassen verboten. Ist das nachhaltig?" Sanni Mezzasomma, Direktor von Panta Rei, dem Umwelterziehungszentrum in Umbrien am Trasimenosee, schlägt in dieselbe Kerbe: "L'orto non si fa in un giorno." Umwelterziehung ist für ihn eine Sache, die Hand und Fuß haben muss. Er hat einen anderen Background als Weber, was sie vereint, ist der Wunsch: "Lasst die Kinder machen." Bretter zusammenhämmern, den Boden aufhacken, mit der Hand Wasser, Sand und Beton mischen. Um zu verstehen. Mezzasomma fragt: „Was nützt es, dem 8-Jährigen zu erklären, dass er während dem Zähneputzen das Wasser nicht laufen lassen soll. Und dann schwänzen wir das kostbare Trinkwasser übers Klo runter.“ In Panta Rei soll „nachhaltiges Handeln normalisiert werden, aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger: „Le abitudini non si insegnano, si praticano.“
Der Jugendreport Natur 2010 belegt: 47 Prozent der befragten Kinder verbringen ihre Freizeit am Liebsten draußen. Unsere Oberschüler haben einen Stundenplan zu absolvieren, der einem Vollzeitjob in nichts nachsteht.„Die Natur“, so Weber, „ist eine Erscheinungsweise der lebendigen Schöpfung, so wie die Kinder.“ Führt sie zusammen, lasst sie dort sein. Laffi drückt es so aus: “Pensiamo all'indice di spreco generazionale” di una generazione di giovani “rinchiusi in infiniti master." Lassen wir sie also raus, lassen wir sie spielen.