Gesellschaft | Stipendien

Ende des Prinzips Leistung?

2004 wurden in Südtirol Stipendien eingeführt, die Studienleistungen unabhängig von wirtschaftlicher Bedürftigkeit belohnen wollen. Nun sollen sie abgeschafft werden.
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Leistung ist ein umstrittenes Prinzip – vor allem, wenn es um Studierende und ihr Studium geht. Lässt sich Leistung in Noten und ECTS messen, die durch „Kreuzerltests“ oder andere oft genug willkürliche Prüfungen erstritten werden? Lässt sich Leistung an der Zahl bestandener Lehrveranstaltungen messen?

In Südtirol ist dem so – beziehungsweise war dem so. Die Bewerber/innen für Leistungsstipendien werden in „Studierende im Ausland“ und „Studierende in Italien“ unterteilt, bei letzteren gibt es noch die Untergruppen „Studierende in Italien außerhalb Südtirol“ sowie „Studierende in Südtirol“. Gerade die „In Südtirol-Gruppierung“ scheint paradox: Anders als die meisten anderen Universitäten darf die Freie Universität Bozen ihre Leistungsstipendien nach wie vor nicht selbst vergeben.

Selbstverständlich ließe sich das ändern – bei gleichzeitigem Ausschluss der Uni-BZ-Studis aus dem Landeswettbewerb. Aber genauso selbstverständlich wäre das ungerecht: Während alle anderen Studierenden um Leistungsstipendien sowohl an ihrer eigenen Uni ansuchen als auch am Landeswettbewerb teilnehmen können, bliebe dies den Studierenden der Universität Bozen verwehrt. Es scheint also eine ganze Spirale unlösbarer Dilemmas zu geben: Jeder Alternativvorschlag eröffnet ein neues. Die einzige zielführende, aber radikale Lösung wäre die Umschichtung der Geldmittel, sodass die Universität Bozen ihre eigenen Leistungsstipendien vergeben kann, während die außerhalb Südtirols Studierenden nur nach Kriterien wirtschaftlicher Bedürftigkeit unterstützt werden.

Die aktuelle Situation

Aber zurück zu den Fakten: Die Vergabe der 2014 mit 1.160,00 Euro dotierten Leistungsstipendien erfolgt in beiden Gruppen (Österreich und Italien) zu je 15% über eine allgemeine Rangordnung. Soll heißen: Wer am meisten ECTS mit dem höchsten Notendurchschnitt abgeschlossen hat, bekommt das Geld. Die restlichen 85% werden proportional zur Anzahl der Studierenden nach Studienrichtungen aufgeteilt:

1. Geisteswissenschaften, künstlerische Studien, Theologie und Lehramtsstudien

2. Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften

3. Naturwissenschaften und Technik

4. Medizinische Studien und Pflegewissenschaften

Das Bologna-System wurde und wird unter anderem deshalb so stark kritisiert, weil es vergleichen will, was nicht vergleichbar ist. Rechtswissenschaften und Soziologie, Biologie und Bauingenieurwesen, Musik und Lehramt Mathe – das klingt abstrus. Genau das macht das System der Leistungsstipendien in Südtirol.

Es sei hinzugefügt: Die Differenzierung der Fachbereiche, die unterschiedlichen Wettbewerbe für Italien und Österreich und die Unterteilung des ersteren in noch einmal zwei Bereiche wurde erst nach und nach so umgesetzt – Schadensbegrenzung in reiner Form.

Leistung vs. wirtschaftliche Bedürftigkeit: EEVE and more

Leistung wird so zu einem trockenen, in Zahlen fassbaren Prinzip. Ist sie das? Was ist Leistung? Diese Diskussion fehlt bisher. Was ist mit ehrenamtlichen Engagement, was ist mit Lohnarbeit, Pflegearbeit, Reproduktionsarbeit neben dem Studium, die Ressourcen und Zeit fordern? Das Leistungsprinzip, wie es der Landeswettbewerb vorsieht, lässt all das unberücksichtigt. Auf der Basis pseudo-objektiver Beurteilungen wird hier Geld verteilt – seit Anno 2004.

Warum dieses System damals eingeführt wurde, steht auf einem anderen Blatt: Das Beihilfen-System in Südtirol, also jenes der Studienbeihilfen, welche an die wirtschaftliche Bedürftigkeit gekoppelt sind, ist alt, sehr alt sogar. Laut Südtiroler HochschülerInnenschaft hat es mittlerweile ganze 25 Jahre auf dem Buckel – entstand also in einer Zeit, in der es noch keine Freie Universität Bozen gab und auch die Formen familiären Zusammenlebens andere waren. Das Flickwerk von damals wurde nie konsequent angepasst, sondern hielt sich hartnäckig. Der bittere Beigeschmack: Die Treffsicherheit sank stetig.

Überlegungen über die Koppelung der Beihilfen an die Einheitliche Einkommens- und Vermögenserklärung (EEVE) blieben bisher Gerüchte, auch wenn das Szenario immer wieder zeitnah scheint. Theoretisch besagt das Landesgesetz Nr. 17 vom 22. Oktober 1993 ausdrücklich, dass Stipendien und Förderungen im Bildungsbereich langfristig nach den Kriterien der EEVE vergeben werden sollen. Die dazugehörige Durchführungsbestimmung, die 2011 aktualisiert wurde, hält aber fest: „Den Zeitpunkt und die Modalitäten des Beitritts der einzelnen Bereiche setzt aber die Landesregierung fest.“ Im Klartext: Niemand weiß wie, niemand weiß wann.

Abgesehen von der Erkenntnis, dass das EEVE-System nach ganz anderen Schwerpunkten ausgearbeitet wurden als jenen, die für eine Hochschulstudienbeihilfe tauglich wären, ist bisher nichts dergleichen geschehen. Dass bei der Erarbeitung der EEVE-Kriterien die Studienbeihilfen nicht ausreichend berücksichtigt wurden, liegt auch daran, dass die ordentlichen Studienbeihilfen und deren Verteilung dem Amt für Hochschulfürsorge obliegen, während alle anderen bisherigen Leistungen, für deren Inanspruchnahme die EEVE notwendig ist, im Sozialressort angesiedelt sind. Das heißt, die Kriterien wurden von Personen ausgehandelt, die mit Hochschulfürsorge denkbar wenig am Hut haben.

Die Treffsicherheit des Beihilfensystems sank also mit der Zeit. Und niemand tat etwas dagegen, abgesehen von geringfügigen Korrekturen. Seit Juni geht das Gespenst der EEVE-basierten Studienbeihilfen wieder um – allerdings in Verbindung der Forderung, dass im Falle eines Beitritts die Kriterien neu verhandelt werden müssen.

Und die Moral von der Geschicht...

2004 wurden dann, wohl auch um den Aufwand einer grundsätzlichen Reform der Vergabe der ordentlichen Studienbeihilfen vor der Überführung in das EEVE-System zu vermeiden, Leistungsstipendien eingeführt. Noten und ECTS in Geld umwandeln – eine Rechnung die absurd scheint, der modischen Praxis, alles in Zahlen – und damit auch in Geld – ausdrücken und messen zu wollen, aber durchaus gerecht wird.

Nun werden die Leistungsstipendien wieder abgeschafft. Vielleicht steht wirklich eine fundierte und radikale Überarbeitung der Kriterien – etwa der ungeeigneten EEVE-Kriterien – für die Vergabe der ordentlichen Studienbeihilfen an. Mit Verlaub: Der Gedankengang scheint mir naiv. Viel wahrscheinlicher ist, dass wieder einmal das Geld fehlt. Gespart wird dann eben im Hochschulbereich, business as usual.

Die Frage ist demnach nicht, ob die Leistungsstipendien beibehalten werden sollen. Die Frage ist vielmehr, was danach kommt. Ersatzlose Streichung? Nein, danke. Zusammenführung der Geldmittel der Leistungsstipendien mit denen Studienbeihilfen in ein reformiertes Beihilfensystem, das beispielsweise auch außeruniversitäres Engagement entsprechend honoriert, das treffsicher die wirtschaftlich Bedürftigen unterstützt? Ja, bitte.