Gesellschaft | Gastbeitrag

Shopping allein macht noch keine Stadt

Der in Brixen lebende Architekturautor Andreas Gottlieb Hempel hat im Rahmen der öffentlichen Debatte zum Kaufhausprojekt klar und kritisch Stellung bezogen.

BAHNHOFSVIERTEL  BOZEN – Monofunktion oder urbane Mischung?

Statement zur Bürgerversammlung Bozen am 09. Januar 2015 in der EURAC

Mein Name ist Andreas Gottlieb Hempel. Mit Studios in München und Berlin war ich drei Jahrzehnte als freier Architekt und Stadtplaner tätig. Als Professor habe ich Studenten das Entwerfen gelehrt. Internationale Erfahrungen habe ich als Präsident des Bundes Deutscher Architekten BDA und als Vizepräsident der Internationalen Architektenunion UIA sammeln können. Ich halte Vorträge, schreibe Bücher und aktuelle Zeitungstexte über Baukultur und kann sagen, dass ich einen guten Überblick über die Baugeschichte und das internationale Planungsgeschehen habe. Aus diesem Grunde erlaube ich mir – gewissermaßen auch mit dem Blick von Außen - die folgenden Anmerkungen zur städtebaulichen Entwicklung des Bahnhofsviertels in Bozen auf dem derzeit eine Investorengruppe ein Kaufhausprojekt realisieren möchte.

Hier geht es um mehr, als um die Verwirklichung eines großen Bauvorhabens. Hier geht es um Fragen zur Entwicklung der Stadt Bozen, ihrer Infrastruktur, ihrer Ökonomie und Ökologie, ihrer Baukultur und Gestaltung und ihrer sozialen Bedingungen – also um sehr komplexe Zusammenhänge des Stadtgefüges, der Stadtentwicklung und einer ganzheitlichen Stadtplanung.

Gibt es in Bozen überhaupt eine ganzheitliche Betrachtung der Stadt?

Jeder Fachmann, der sich mit Stadtplanung beschäftigt, muss sich bei dem vorliegenden Projekt ernsthaft fragen, ob es in Bozen überhaupt eine solche ganzheitliche Betrachtung der Stadt und Visionen für deren zukünftige organische Entwicklung als Gesamtschau gibt. Beschränkt sich hier die Politik um sich von Einzelprojekt zu Einzelprojekt ohne Rücksicht auf das Ganze zu hangeln? Fehlt hier der rote Faden, der für eine Generationen übergreifende  urbane Entwicklung die Richtung angeben sollte? Hat man die Gedanken zur Stadtentwicklung eines Sebastian Altmann vor dem Ersten Weltkrieg vergessen? Waren es etwa die italienischen Faschisten, die als letzte eine Vorstellung der Stadtentwicklung Bozen entwickelten bevor die planlos erscheinenden Wucherungen der neuesten Zeit das Gesicht dieser Stadt entstellten?

Aus diesen Beobachtungen ergibt sich die folgende Frage: Was macht eine Stadt, ein Stadtviertel aus?

Die Antwort lautet: Es ist die urbane Vielfalt aus den unterschiedlichsten Nutzungen, Funktionen, Lebensbereichen und Menschen. Früher hieß es: Stadtluft macht frei. Das könnte man heute übersetzen in: Stadtluft bietet die Vielfalt, die der ländlichen Einfalt fehlt.

Das Bahnhofsviertel, das hier zur Debatte steht, also der Bereich am Bahnhof Bozen zwischen Garibaldistraße, Bahnhofsallee, Perathoner- und Südtirolerstraße, für das die Investoren  ein Kaufhaus vorschlagen, ist von seiner zentralen Lage her eigentlich als urbanes Stadtviertel für städtische Vielfalt prädestiniert. Eine Monofunktion, die ein Kaufhaus trotz unterschiedlicher kommerzieller Angebote ausschließlich für das Shopping darstellt, schränkt die gewünschte Lebendigkeit an dieser für die innere Stadt so wichtigen Stelle ein.

Deutlich gesagt: wenn man ein Einkaufszentrum haben will – und darüber kann man streiten! – so gehört das auf die grüne Wiese am Stadtrand oder ins Gewerbegebiet mit möglichst viel oberirdischer Parkplatzfläche drum herum.

Ein Kaufhauskoloss erzeugt ein Verkehrsaufkommen, das für die Innenstadt störend und belastend ist.

An dieser Stelle der Stadt zieht ein Kaufhaus ungebührlich viel ständig wechselnden Verkehr an, den man ja gerade von der Innenstadt fernhalten möchte. Das ist ein ganz anderer, störender Verkehr als er in einem gut durchmischten Stadtviertel wie hier am Bahnhof normalerweise entstehen würde. Gleichzeitig entzieht eine solche Monostruktur der Innenstadt die dort dringend gebrauchte Kaufkraft und schafft ein ökonomisches Ungleichgewicht, das sich zudem einschränkend auf den langfristig angelegten Umbau des Bahnhofsgeländes auswirkt.

Ganz eindeutig gesagt: Ein Kaufhauskoloss an dieser Stelle wird sich als städtebauliche Katastrophe herausstellen. Eine Katastrophe, die sich in ihren langfristigen  Auswirkungen erst dann zeigen wird, wenn die Investoren längst wieder über alle Berge sind und die genehmigenden Politiker sich mit guten Pensionen im Ruhestand befinden.

Billige Ware teuer erkauft.

Gerade die Politiker dieser Stadt sollten sich mit einer Rundfahrt - etwa durch deutsche Städte - ein Bild davon machen, wie große Kaufhäuser in Innenstädten geendet sind oder derzeit noch kläglich enden, nachdem sie die kleinteilige Einzelhandelsstruktur zerstört haben. Warum dieses Kaufhaussterben? Weil nach anfänglichem Glitzer und Glamour die dort angebotene Qualität immer mehr abgesackt ist und die Konsumenten gemerkt haben, dass billige Ware sich als der teuerste Einkauf herausstellt. Nun wachsen die qualifizierten Einzelhandelsangebote dort wieder nach.

Das hätte man sich also alles sparen können, wenn man vorher besser und mit langfristiger Perspektive geplant hätte – Marketing- und Bedarfsuntersuchungen gehören ebenso dazu wie Bevölkerungs- und Kaufkraftentwicklung in einer alternden  Gesellschaft die sich e-bay und amazon zuwendet – statt übereilt auf ein Investorenangebot aufzuspringen um möglichst viel Geld für die Überlassung von Nutzungen und Planungsrechten herauszuschlagen.

Die Kürze der mir gegebenen Zeit verhindert eine Vertiefung und Belegung dieser urbanen Fehlentwicklung, die nicht nur der sich selbst genügenden und auf Profit bedachten Wirtschaft sondern vor allem der Politik, die das gesellschaftlich Ganze im Auge haben muss, anzulasten ist.

Hierher gehören kleinteiige Strukturen, geplant von unterschiedlichen Bauherren und Architekten.

Das Bahnhofsviertel in Bozen sollte städtischen Charakter erhalten, der durch eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Handel und Kultur entsteht. Diese Mischung sollte möglichst kleinteilig und unterschiedlich sein: also Wohnen auch für alte und junge Menschen, Büros, Ateliers, Werkstätten und Praxisräume, Bars, Gaststätten und Läden der unterschiedlichsten Art in möglichst kleiner Form und ein sozial geprägtes Kulturangebot. Auch ein Busbahnhof gehört nicht hierher, sondern künftig im direkten Anschluss unter die Bahnsteige des umgestalteten Bahnhofs. Dieses Stadtviertel am Bahnhof sollte in unterschiedlichen Bauabschnitten, Häusern, die nicht unbedingt zusammenhängen müssen, von unterschiedlichen Bauherren mit verschiedenen Architekten realisiert werden. Auch die gestalterische Vielfalt der Fassaden in einem gemeinsamen Maßstab macht den städtischen Raum aus und nicht die langweilige Wiederholung der ständig gleichen Fassadenteile, der wie ein Umleimer das Projekt von Benko und seinem Architekten Chipperfield überzieht, eine eher lieblose, serielle Architektur, die bisher nicht vom architektonischen Geist Bozens geprägt ist.

Nicht austauschbare Allerweltsarchitektur aus dem Büro eines sogenannten Stararchitekten ist hier gefordert, sondern städtebauliche Vielfalt, die dem Bahnhofsviertel Bozner Flair verleihen kann. Alles in Allem: die geplante reine Konsumnutzung steht der urbanen Vielfalt eintönig gegenüber und wird nicht die dauerhafte Nachhaltigkeit besitzen, die ein Stadtviertel durch den steten Wechsel der Nutzungen und des Lebens nun einmal als zeitlos urbane Qualität hat.

Und zum Schluss nochmal: Wer sich einmal die abgewetzten oder gar stillgelegten Kaufhäuser in manchen Städten betrachtet, der wird erkennen, dass reines Shopping kein dauerhaftes urbanes Leben erzeugt sondern zu städtebaulicher Ödnis führt – eine Stadt muss mehr anbieten als nur Konsum.

Wer möchte das schon für eine bisher so vielfältige Stadt wie Bozen?

Mein Rat als Architekt und Stadtplaner, der schon aus Altersgründen am Ende seiner langjährigen Erfahrungen steht, lautet: Überlegen Sie sich als verantwortliche Politiker diese Entscheidung gut. Sie hat langfristige Auswirkungen auf die Innenstadt, auf das parallel zu entwickelnde Bahnhofsprojekt, ja, auf ganz Bozen. Entwickeln Sie vor der Entscheidung eine ganzheitliche städtebauliche Vision für diese Stadt – sie braucht das dringend! Denn Shopping allein macht noch keine Stadt.

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Mensch Ärgerdi… So., 11.01.2015 - 12:21

Fragt sich nur wie Träume, Phantasien und Luftschlösser von schön denkenden sich finanzieren lassen ohne den Bürgern den letzten € aus der Tasche zu holen.
Sehen wir uns doch das Viertel jetzt an wie es ist.
Ist das erhaltenswert? Nein.
Besteht Handlungsbedarf? Ja.
Wenn für die öffentliche Hand genug raus springt, sehe ich nichts falsches daran den Deal einzugehen.

So., 11.01.2015 - 12:21 Permalink
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gorgias So., 11.01.2015 - 13:15

Antwort auf von Mensch Ärgerdi…

Wohnhäuser, Kaufhäuser und andere privatfinanzierte Projekte können neben öffentlich finanzierten Projekten stehen. Hier müsste die Stadt ein Rahmenkonzept entwerfen und dieses Viertel langfristig entwickeln. So kann es auch Vielfalt geben ohne dass alles öffentlich finaziert ist.

Das Problem mit Bozen ist, dass man sich über die letzten 30 Jahren keine Gedanken gemacht hat wie man diesen Teil der Stadt pflegen kann. Ich kann mich noch an die 80ziger Jahre erinnern wo im Park ein Teich mit Enten und Schwäne war.
Schon damals tummelten sich aber hier Junkies, die die anderen Personen verjagten und der Verbindung Bahnhof Bahnhof - Walterplatz ein Durchgangsgebiet machten.

Später in den Nuller-Jahren wurden die Heronin-Junkies im Park durch alle möglchen Obdachlosen aus aller Herren Ländern ersetzt. Diese schliefen im Park und machten auch Feuer. Später fingen sie an die Eier der Enten und der Schwäne zu essen. Später sind die Schwäne dann auch verschwunden. Was hat dann die Stadt dann getan? Den Teich trocken gelegt und mit Erde zugeschöpft. Der Park stinkt von Kot und Urin und Menschen die Weit aus Karton trinken fristen ihr dasein.

Das könnte jetzt immer noch so sein, wenn sich auf einmal nicht ein Investor aufgemacht hat hier ein Einkaufszentrum zu bauen. Die Politik hat da Mitgespielt als passiver Partner. Dann auf einmal wachten die Laubenkönige auf, denen die Konkurenz nicht geheuer war. Nun sollte ein Konkurenzprojekt, das wahrscheinlich aber nicht den Lauben konkurenz machen soll ersetzt werden. Was ein Erlebniskaufhaus sein soll, und ob es nicht eine an sich selbst wieder einfallose Idee ist, ist für mich immer noch offen.

Hempel zeigt im Grunde das zentrale Problem auf: Die Politik hat jahrzehntelang geschlafen. Lässt sich nun von einem privaten Investor erklären wie man Stadtentwicklung macht. Dass hier der rote Faden fehlt ist doch klar. Auch wo liegt hier die Ganzheitlichkeit? Wie steht das dann in Wechselwirkung mit dem neuen Bahnhofsareal? Solche und andere Fragen werden nicht gestellt. Zumindest nicht bevor man solche Projekte ausschreibt.

So., 11.01.2015 - 13:15 Permalink
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Christian Mair So., 11.01.2015 - 14:38

Hempel fragt nach dem roten Faden, der für eine Generationen übergreifende urbane Entwicklung die Richtung angeben sollte. Die Antwort darauf wie schon gorgias bemerkt ist klar. In den Plänen lässt sich nicht ein Konzept finden welche Busbahnhof, Rittnerbahn, Bahnhof und die noch zu bauende Überetschbahn in Einklang bringt.
Bleibt zu hoffen, dass in der derzeitigen politische Entwicklung die Bürger an Diskussionen zu beteiligen (Kaufhaus Bozen) , bindende und nichtbindende Referenden abzuhalten (Mals, Seilbahn Brixen, Meransen), vorzeitige Ansprache von Themen um Problemfelder zu erforschen (Bezirkskrankenhäuser) nicht als blosse Alibiaktion, sondern als konstruktives Forum genutzt wird in dem der Expertenmeinung Gehör findet und diesee vielleicht auch umgesetzt wird. Neben dem Benko- und Erlebnishausprojekt scheint Hempels Vorschlag eines langfristigen Rahmenkonzepts in dem Wohnhäuser, Kaufhäuser und andere privatfinanzierte Projekte neben öffentlich finanzierten Projekten stehen., zumindest als interessante Alternative.

So., 11.01.2015 - 14:38 Permalink
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Rudi Rieder Mo., 12.01.2015 - 10:03

Im Namen der Promotoren den Öffentlichen Debatte, möchte ich alle Bürger aufrufen, die nächsten Termine der Debatte, 23. und 30. Jänner, um 17:00 in der EURAC, wahrzunehmen. Nach Andreas Gottlieb Hempel, David Calas und der Regisseurin Ulli Gladik, die bei der ersten Veranstaltung, im Namen der Bürger, das Wort ergriffen haben, werden auch bei den nächsten Veranstaltungen noch viele andere namhafte Experten ihre kritischen Statements zum Projekt abgeben. Nur wer alle Gegenargumente gut kennt, ist imstande, sich die Auswirkungen auf die Stadt auszumalen. Am 21. Jänner 20:00, wird außerdem im Filmclub der Film: "global shopping village"gezeigt, mit anschließender Podiumsdiskussion in Anwesenheit der Regisseurin und zahlreicher Experten. Informiert euch!!

Mo., 12.01.2015 - 10:03 Permalink