Politik | Islamismus

Was geht uns Paris an?

Wie reagiert das politische Südtirol auf die Anschläge von Paris? Vom Schweigen im Walde, Kaninchen und Schlangen und „Charlie sind wir alle“.

Seit Tagen ist es das Thema in sämtlichen europäischen Medien. Die Anschläge von Paris mit 17 Todesopfern samt dazugehörigen Reaktionen und Reflexionen okkupieren Titelseiten wie Kommentare, Facebook-Seiten  und Politsendungen. Den gewaltigen Bildern von Millionen Menschen auf den Pariser Straßen können hierzulande zumindest jene von mehr als 150 Mitgliedern der pakistanischen Gemeinschaft entgegengesetzt werden, die am Sonntag die südtirolweit größte Kundgebung gegen den Terror in Frankreich abhielten – genauso wie vergangene Woche die TeilnehmerInnen des Flashmob am Bozner Kornplatz.

Doch auf politischer Seite  herrscht bislang eine auffällige Zurückhaltung. „La paura non ci ferma, unsere Werte sind stärker als ihre Drohungen“, tönt Premier Matteo Renzi aus Rom. „Je suis Charlie“ sagt Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer, und  ruft dazu auf, dass „der Terror niemals zentrale Werte unserer Rechts- und Verfassungsordnung eliminieren oder auch nur einschränken darf und wird". Ja, auch jenseits des Brenners wirft Tirols Landeshauptmann Günther Platter der FPÖ vor, offen mit der rechtspopulistischen und islamfeindlichen Pegida-Bewegung zu sympathisieren; Landtagspräsident Herwig van Staa, Innsbrucks Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer, Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe oder Bischof Manfred Scheuer warnten am Sonntag Abend vor dem Goldenen Dachl gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Islamischen Glaubensgemeinschaft Tirol vor dem Goldenen Dachl vor einem "zügellosen Verschärfen von Sicherheitsmaßnahmen und gegenseitigem Misstrauen und Hass“.

Wo ist der Integrationslandesrat?

Und hierzulande? Von Landesrätin Martha Stocker war auf RAI Südtirol ein kurzer Aufruf zu gegenseitiger Toleranz zu vernehmen. Integrationslandesrat  Philipp Achammer schien in den Tagen nach dem Anschlag stärker von seinem Online-Chat zum neuen Bildungsgesetz in Anspruch genommen zu sein, und auch von Landeshauptmann Arno Kompatscher war bislang keine nennenswerte Äußerung zu der bedrohlichen Zuspitzung islamischer Radikalisierung zu vernehmen.

Zurückhaltung in den ersten Tagen auch von den Freiheitlichen. Zumindest bis Sonntag Abend, als Pius Leitner zur Feder griff. „Die europäische Politik verhält sich wie das berüchtigte Kaninchen vor der Schlange“, liest man in seiner Aussendung. „Allzu lange hat sie Warnungen nicht ernst genommen und erstarrt in Hilflosigkeit und Ratlosigkeit.“ Für den Freiheitlichen kann nur ein klares Bekenntnis zur eigenen Kultur das christliche Abendland retten. Diese sei leider von den Europäern selbst vernachlässigt bzw. teilweise sogar unterminiert worden. „Da am Islam die Aufklärung spurlos vorübergegangen ist, fehlt ihm ein wesentliches Element gegenüber dem christlich geprägten Europa, was wiederum die Spannungen erklärt“, findet Leitner. Die Integration von Muslimen in Europa könne daher nur über die Bildung erfolgen“, lautet seine Schlussfolgerung: „Dort soll investiert werden und nicht in Waffen für muslimische Länder, deren Bewohner dann zu uns fliehen und unser Gesellschaftssystem aus den Angeln heben.“

„Welche konkreten Maßnahmen werden in Südtirol gegen mögliche Brutstätten des Terrorismus ergriffen?“

Konkrete Fragen richtet am Montag Forza-Italia-Exponent Alessandro Bertoldi an die lokalen Institutionen: Welche konkreten Maßnahmen werden in Südtirol gegen mögliche Brutstätten des Terrorismus ergriffen? Welche Art von Kontrollen gibt es bezüglich der muslimischen Gemeinschaft und ihrer Kultstätten, will der Jungpolitiker unter anderem wissen. Und vor allem: Wann werden die lokalen Institutionen aufhören, ihren Kopf bei Themen in den Sand zu stecken, die die ganze Welt betreffen und von denen unsere Provinz nicht ausgenommen ist?

Welcher Weg für Südtirol dabei fruchtbringend sein kann, wurde laut der Grünen Fraktion im Landtag von der Massenkundgebung in Paris vorgegeben: „Geschlossenheit und Augenmaß“ – in diesem Geiste sollten für die Landtagsabgeordneten Hans Heiss, Brigitte Foppa und Riccardo dello Sbarba die Reaktionen auf die schrecklichen Vorkommnisse in Paris stehen. Sprich: Eintreten für europäische Werte wie Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit, vor allem aber für Toleranz und Pluralismus. Gezielter Kampf gegen Extremismus und Terrorismus, aber ohne verschärfte Gesetze und Repression, Vorbeugung und Integrationspolitik vor polizeistaatlicher Überwachung.

„In Fragen der Integration stehen Politik und Gesellschaft unseres Landes weiterhin am Anfang.“

Im Gegensatz zu Alessandro Bertoldi sehen die Grünen in Südtirol nur minimale Terrorrisiken und friedliche muslimische Gemeinschaften. „In Fragen der Integration stehen Politik und Gesellschaft unseres Landes weiterhin am Anfang“, kritisierten die Grünen Landtagsabgeordneten. Landesrat Achammer sei zwar guten Willens, aber von zu vielen Aufgaben belastet, um dieses  Thema zur Priorität zu machen. „Es wird Zeit, dies zu ändern, das dürftige Integrationsgesetz zu verbessern, ein mehrjähriges Programm zu entwerfen und zielgerichtet umzusetzen“, finden die Grünen. Vorerst setzten sie als Reaktion auf die Pariser Anschläge einen kleinen symbolischen Akt: die tägliche Veröffentlichung einer Charlie- Hebdo-Karikatur. „Denn Charlie Hebdo sind wir alle.“