"Ich kann nicht everybody's darling sein"
Sie kann “sehr gut nein sagen” und weiß “mit Süßholzrasplern nicht viel anzufangen”. Nein gesagt hat sie zuletzt zur Kürzung der pädagogischen Fachkräfte in den Kindergärten zu einer Zeit, da die Kleinkindbetreuung in Südtirol schon längst an ihre Grenzen gestoßen und die Integration von Migrantenfamilien und ihren Kindern das Gebot der Stunde ist. “Ich habe nichts zu verlieren, ich kann mir morgen einen anderen Job suchen”, sagt die gelernte Kindergärtnernin Sudabeh Kalantari Lun. Auch deshalb ist es der 53-jährigen Rheinländerin leicht gefallen, ihrem Unmut über die Arbeitsbedingungen ihrer Berufsgruppe öffentlich Luft zu machen. “Ich habe auf Facebook meinen Frust darüber gepostet, dass die Kindergärten immer mehr Kinder und immer weniger Kindergärtnerinnen haben.” Dass sie dann buchstäblich über Nacht zur Pasionaria des Kindergärtnerinnen-Aufstands geworden ist, der diese Woche im Flashmob von hunderten Frauen vor dem Landtagssitz gipfelte, hat sie aber doch ein wenig überrascht. “Ich habe gedacht, mich trifft der Schlag, als ich plötzlich auf meiner Facebook-Seite 15.000 Klicks hatte.”
Nein, nach Südtirol hat sie nicht die Liebe geführt, erklärt Sudabeh Kalantari Lun geduldig, sondern das Ende eines Lebensabschnitts. Aufgewachsen ist sie im Raum Düsseldorf mit ihrem persischen Vater, ihrer deutschen Mutter und ihrer jüngeren Schwester. “Als eine wichtige Beziehung in die Brüche ging, löste ich meine Wohnung auf, packte meinen Hund und meine zwei Zwergpapageien und fuhr nach Salurn, wo ich Freunde hatte.” Aus einer Stippvisite der damals 28jährigen wurde ein Aufenthalt, der nun seit 25 Jahren dauert. Erst mit 40 hat sie ihren Mann kennen gelernt - “genau zur richtigen Zeit”, wie sie betont. Mit ihm, drei Hunden und einem kleinen Zoo aus Vögeln und Fischen lebt sie in Sinich, “auf einem sehr malerischen Fleck gleich neben der Solland Silicon”. “Ohne Hunde könnte ich gar nicht mehr leben. Und die anderen Tiere – nun ja, mir fliegt und schwimmt einfach allerlei zu.” Mittlerweile ist es vor allem ihr Mann, der Kunstschlosser Klaus Lun, der sie in Südtirol hält, denn “der Moment des Weggehens aus Südtirol wäre eigentlich schon vor längerer Zeit gekommen. Dass man hier die Sonne nie untergehen sieht, macht mich wahnsinnig. Sie müssen bedenken, ich komme aus einer Gegend, wo es kilometerweit nur flache Felder gibt.”
Die hochgewachsene Frau mit den exakt zurechtgezupften pechschwarzen Augenbrauen über dem warmherzigen Blick fühlt sich aber nicht nur landschaftlich in Südtirol nicht ganz in ihrem Element . Sie ist hier einem Obrigkeitsdenken begegnet, das sie aus dem Rheinland so nicht kannte. Besonders bei Frauen vermisst sie “den Mut, Dinge anzupacken”, und dabei hätten sie “so viel Potential”. “Die Frauen meiner Generation wurden dazu erzogen, still und tüchtig zu sein.” Darin mag wohl auch der Grund liegen, weshalb die Kindergärtnerinnen, obwohl sie sich schon lange überfordert fühlen, erst jetzt aufgemuckt haben. Die übergeordneten Stellen in der Landesverwaltung hätten sich “diese Eigenheit der Frauen jahrelang bewusst zunutze gemacht.” Den Gewerkschaften, mit denen sie nicht immer eins ist, will Sudabeh Kalantari Lun nicht die Schuld dafür in die Schuhe schieben, dass die Lage sich dermaßen zugespitzt hat: “Wir Kindergärtnerinnen haben einfach zu lange geschlafen. Die Gewerkschaften können nur mit dem losgehen, was sie von uns, von der Basis, bekommen. Ich würde mir nur wünschen, dass sie auf unsere Rebellion nicht so pikiert reagieren. Und ich hätte mir gewünscht, dass sie bei unserem Flashmob mitmachen, anstatt als Zuschauer abseits zu stehen. Jedenfalls möchte ich diesen Protest gemeinsam mit den Gewerkschaften voranbringen.”
Jetzt ist für Sudabeh die Zeit gekommen, die Stimme zu erheben: “Mit Süßholzrasplern kann ich nicht viel anfangen. Ich habe keine Schwierigkeiten zu sagen, was ich denke, ich habe kein Problem, nein zu sagen. Man muss was riskieren im Leben." Das Hinfallen, sagt sie fast wie aus einem Automatismus heraus, ist nicht das Problem, wichtig ist das Aufstehen. "Mir ist vollkommen klar: Ich kann nicht everybody's darling sein." Damit kann sie gut leben.
In Südtirol hat sie in allen möglichen Bereichen gearbeitet – zuerst baute sie für den Jugenddienst das Jugendtelefon Young and Direct auf, dann war sie im Marketing tätig - , bevor sie zu ihren Wurzeln als Kindergärtnerin zurück fand. Die Ausbildung hat sie in Deutschland genossen, “eine sehr professionelle Ausbildung”. Dass sie das mit leichtem Ressentiment betont, liegt an ihrer nach wie vor prekären arbeitsrechtlichen Situation. “Leider wird meine Ausbildung – ich habe im zweiten Bildungsweg Sozialpädagogik studiert – hier in Südtirol nicht voll anerkannt. Ich gehöre also zu denen, die sich jedes Jahr im August nach einer Stelle umsehen müssen.” Heute arbeitet Sudabeh im Kindergarten von Dorf Tirol. Auf dem Stuhl neben ihr stehen zwei Papiertaschen, aus denen Schachteln mit Gesellschaftsspielen lugen. Sie hat für “ihre” Kinder eingekauft - mit ihrem Geld. “Sie haben ja gar keine Ahnung, wie viele Kindergärtnerinnen die Spiele, mit denen sie arbeiten, aus eigener Tasche bezahlen.”
Der Kindergarten, sagt sie, ist der Ort, an dem Integration passiert. “Dort erwischt man nicht nur die Migrantenkinder, sondern zum Teil auch ihre Eltern und kann sie ein Stück weit herein holen in die Gesellschaft.” Das gilt auch und vor allem für den Spracherwerb. “Spracherwerb funktioniert über Beziehungen, über Gefühle.” Wie weit muss man von der Welt des Kindergartens entfernt sein, um zu Entscheidungen zu kommen, wie sie die Südtiroler Politik nun treffen will?, fragt sie sich. Ihre Kindergärtnerinnen-Philosophie packt sie in wenige einfache Sätze: “Man kann Kinder klein halten, und man kann sie groß machen. Und wenn sie einmal groß sind, dann bleiben sie auch groß. Ich möchte ganz gerne viele solche Kinder auf den Weg bringen.”