Kultur | Interview

Vom Aus- und UmBAU tradierter Wissensformen

BAU heißt eine neue Residency-Initiative in Südtirol

Das Interview wurde mit Lisa Mazza, stellvertretend für BAU, geführt.

Was ist BAU und wer steckt dahinter?

Lisa Mazza: BAU ist eine Initiative für künstlerische Produktion in Südtirol, die sehr stark auf das Territorium eingehen möchte, in Form von Residenzen und Einladungen an KünstlerInnen, KuratorInnen oder WissenschaftlerInnen, die mit dem Wissen, mit den Traditionen und den Eigenheiten dieses Territoriums in Dialog treten.
BAU ist gegründet worden von Simone Mair, die aus Meran kommt, Filipa Ramos, die Portugiesin ist, eine zeitlang in Italien war und mittlerweile wieder in London lebt, und mir. Wir alle sind auf unterschiedliche Weise mit dem Territorium verbunden. Wir haben uns lange in internationalen Gefilden im zeitgenössischen Kunstbereich bewegt, und dabei gemerkt, dass es im Gespräch mit KünstlerInnen bezüglich der Eigenheiten des Territoriums sehr viele Anknüpfungspunkte gibt. Viele KünstlerInnen machen Recherchen im Ruralen, im Ökologischen und erforschen alternative Lebensformen in ihren Kunstpraktiken. Da war ein großes Potential da; und von unserer Seite uns auch eine Lust oder sogar Notwendigkeit, diese Erfahrungen, die wir außerhalb gemacht haben, einzubringen.
Unser Verständnis von Residency ist dann auch ein differenziertes. Wir stellen nicht eine Infrastruktur zur Verfügung, sondern versuchen, für jedes Projekt eine Lösung zu finden, weil wir tatsächlich in ganz Südtirol agieren möchten.
BAU möchte aber auch mit internationalen ähnlich operierenden Realitäten, wie es zum Beispiel Grizedale Arts im Norden von England oder Bar in Barcelona sein könnten, in Zukunft zusammenarbeiten. Dies kann sich in einer Kooperation, Ko-Recherche oder einem einfachen Wissensaustausch widerspiegeln.


Wie funktioniert das genau, diese Art von nomadischer Residency? Deine Kolleginnen und du sind auch nicht immer hier?

Lisa Mazza: Ja, es ist nomadisch, bis zu einem gewissen Punkt. Wir möchten mit unseren Projekten sozusagen schon an andere Institutionen andocken. Zum Beispiel mit Maki Suzuki von Abäke haben wir mit dem Schreibmaschinenmuseum in Partschins gearbeitet. Mit dem nächsten Künstler, dem Ungarn Tamás Kaszás, der mit Bienen arbeiten möchte, könnte ein Imkerverband und auch das Bienenmuseum am Ritten interessante Realititäten für seine Recherche sein.

Wenn ich BAU höre, dann kommen verschiedene Assoziationen. Ich habe auch gegoogelt: Bau heißt das Herstellen von Dingen aller Art, ist ein Unterschlupf für Tiere, ein Imperativ, oder ein Bauwerk, eine Baustelle. Wo will der BAU anknüpfen, und für wen ist der BAU?

Lisa Mazza: Ganz viele assoziieren BAU mit Bauunternehmen, oder etwas, das mit Gebäuden zu tun hat. Uns interessiert durchaus die Idee von Konstruieren, von Konstruktion, von etwas, das sich im Aufbau befindet. Was wir auch interessant gefunden haben, ist, dass es in anderen Sprachen auch andere Bedeutungen haben kann. Wenn man einem italienischsprachigen Menschen BAU sagt, dann kommt immer als Antwort BAUBAU, das Bellen des Hundes.
BAU ist auch eine Hommage an das Bauhaus, dem Ansatz der angewandten Künste, diese in Dialog bringen, diese Form von Austausch, dessen Ideen, wie sich das soziale Zusammensein gestalten kann. Wir docken auch dort an. Ich glaube schon, dass wir uns durch unsere Ortlosigkeit jedes Mal anders definieren können.

Auch andere Zielgruppen haben könnt?

Lisa Mazza: Genau! Absolut. Einerseits werden wir uns geographisch bewegen, andererseits aber auch inhaltlich mit unterschiedlichen Themen und Fragen beschäftigen. Es wird jedesmal eine Herausforderung sein, wie man zu den Leuten sprechen kann, die sich thematisch mit den Dingen auseinandersetzen, die aber nicht zum klassischen Kunstpublikumgehören.
 


Wie sucht ihr die KünstlerInnen aus? Welche KünstlerInnen interessieren euch?

Lisa Mazza: Die KünstlerInnenauswahl liegt in unserer Hand. BAU ist kein Programm, das auf Bewerbungen basiert. Wir haben eine Liste von KünstlerInnen zusammengetragen, die jede von uns interessant findet, natürlich im Zusammenhang mit dem Territorium. Diese haben wir diskutiert und dann gemeinsam entschieden, was wir sinnvoll finden, mit was wir anfangen werden. Was uns auch für die Zukunft interessiert, wäre mit KünstlerInnen zu arbeiten, die sich nicht so offensichtlich mit Fragen der Landwirtschaft oder des Ruralen auseinandersetzen, und sie herauszufordern, aus ihrer Praxis heraus etwas anderes zu entwickeln. Das ist einer der Wege, die wir ausprobieren möchten. Ein anderer wäre, auf ein Bedürfnis z.B. von einem Bauer, eine "Lösung" zu finden, sozusagen einen matching partner.

Was ist der Bedarf in Südtirol für eine weitere Residency? Warum noch eine Residency?

Lisa: Ich glaube nicht, dass es so wahnsinnig viele davon gibt. Für uns ist die Verwendung des Begriffes "Residency" eine Möglichkeit, in einem Wort das zu beschreiben, was orts- und kontextspezifische Kunstprojekte ermöglichen. Vor 10 Jahren hätte man es wahrscheinlich nicht Residency genannt, sondern hätte es mit "ortspezifische Kunstproduktion" beschrieben - ich weiß es nicht genau. Jetzt in diesem Moment scheint es die beste Lösung zu sein, auch wenn sie sehr konnotiert ist.
Deshalb ist es für mich auch wichtig zu sagen, dass es keine Infrastruktur ist, sondern sozusagen eine Modalität, zu interagieren. Der urbane Raum ist schon relativ gut abgedeckt mit interessanten Kunstorten. Daher ist es auch wichtig, sich aus diesem hinaus zu bewegen.
Wir haben uns präsentiert mit einer Wanderung, was ganz bewusst war. Wir wollten keine Pressekonferenz, sondern etwas machen, was für unsere Praxis steht. Die Entwicklung vom Grafikdesign fand teilweise in Form von einem Workshop statt, also gab es ganz unterschiedliche Momente. So sollte es auch in Zukunft sein.


Generell gefragt: was braucht eine Residency, um zu funktionieren?

Lisa Mazza: Bei uns ist jedes Projekt eine Dreierkonstellation. Wir als Kuratorinnen, als Inititative, sind die Brücke, der Fixpunkt, zwischen dem/der KünstlerIn, die kommt, und dem Kontext, in dem interagiert wird. Das ist ein Dreieck, wo wir sehr stark als Vermittlerinnen funktionieren. Wir führen die Recherche vor Ort an, auch aufgrund von Zeit und sprachlichen Barrieren. Es ist sehr wichtig, diese Sensibilität zu haben, wie man mit wem interagieren möchte.
Auf ganz pragmatischer Ebene, Gastfreundschaft ist ein sehr großes Thema in Residencies, und wenn man jemanden einlädt zu sich nach Hause... Da ist es die Herausforderung, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass es gut funktioniert. Man braucht beispielsweise einen Ort, wo jemand schlafen kann. Wir glauben auch, dass - vor allem an so einem peripheren Ort - alles schon sehr stark auf einem menschlichen Austausch basiert.

Schöne Idee! Dass eure Körper, also die drei Personen, die hinter BAU stehen, eigentlich die stabilste Konstante sind im Projekt.

Lisa Mazza: Stimmt. Wir haben vor der Residency von Åbäke, die unsere visuelle Identität entwickelt haben viele Vorbesuche gemacht, um die Leute nicht zu überfordern, und auch um zu verstehen, ob sie sich potenziell auf einen Dialog mit einem/r KünstlerIn einlassen würden, und da sind wir auf extreme Offenheit gestoßen. Ganz viele Leute finden das schön, wenn sich jemand ganz intensiv darauf einlässt, wie der eigene Alltag seit Jahrzehnten ist. Wir haben mit Åbäke auch einige Besuche gemacht, von denen nichts im Endprojekt sichtbar wurde, die aber ganz wichtig waren für den Prozess.
Durch unsere Ortlosigkeit haben wir auch keinen Druck, einen Raum permanent zu bespielen. Das erlaubt eine gewisse Langsamkeit. Mit Åbäke haben wir davor ein Jahr lang geredet, bevor Maki Suzuki hergekommen ist. Auch mit dem unserem nächsten Künstler sind wir schon sehr lange im Dialog.

Der Fokus auf Traditionen, der ist da, oder?

Lisa Mazza: Ich habe ein Problem mit dem Wort Tradition. Es ist sehr besetzt mit Folklore und Verkitschung, mit etwas, das nicht dem Zeitgenössischen zu tun hat. Was uns an Tradition interessiert, ist etwas auszugraben, Tradition im Sinne eines seit Jahrzehnten, Jahrhunderten weitergegebenem Wissen, das zu einer Ausführungsform von irgendetwas führt. Da bleibt Tradition ein Begriff, der das zusammenfasst.
Es ist etwas da, es gibt Traditionen, die vielleicht nicht so sichtbar sind. Da gibt es auch die Gefahr, dass der Blick nur in die Vergangenheit gerichtet ist und nicht nach vorne. Natürlich haben wir mit vielen Leuten geredet, die eigentlich die letzte Generation sind, die nicht die Perspektive haben, dass es weitergeht. Da war es interessant zu sehen, dass eigentlich keine Nostalgie da ist, sondern dass es klar ist, dass es noch 10 Jahre weitergeht, und dann vorbei ist. Es ist interessant zu sehen, ob irgendwelche Funken in irgend einer anderen Form weitergetragen werden können.
Es ist aber auch eine Gratwanderung, lokale, traditionelle Praxen zu sehr zu exponieren. Die Leute haben Angst davor, spektakularisiert zu werden. Wir haben uns entschieden, auf der Website unter der Sektion "people" die Leute ganz kurz zu präsentieren, die wir besucht haben. Teilweise ist ein Ort oder eine Institution oder Website dabei. Das ist eine Form der Sichtbarmachung, auf eine relativ zurückhaltende Art und Weise. Wie kann man jemanden präsentieren, ohne festgefahrene Kategorien anzuwenden, sondern den Besuch ein Stück weit zu beschreiben?

Der nächste Künstler wird einen Bienenstock bauen?

Lisa: Genau. Tamás Kaszás interessiert sich sehr für die Idee von Überleben in der Natur, die Idee von Kollaps, wenn unsere Systeme zusammenbrechen, wie man dann überleben kann. Nicht nur im materiellen Sinn, sondern auch im spirituellen, im philosophischen Sinn. Er interessiert sich im Zuge dessen für Formen alternativer Landwirtschaft, Permakultur, usw. Er ist schon länger dran am Thema der Bienen, das natürlich ein sehr aktuelles ist. Viele KünstlerInnen arbeiten damit, weil es eine ganz gute Möglichkeit ist, anhand dessen über Formen des Zusammenlebens nachzudenken. Er hat vorgeschlagen, einen Bauhaus-Bienenstock zu machen. Das ist natürlich für uns interessant, dass das erste künstlerische Projekt diese Recherche aufnimmt. Er ist daran interessiert, diese modernistischen Formen, Design und Funktion, neu zu denken. Meistens arbeitet er mit gefundenem Material, oder Material, das er sammelt. Ganz oft transformieren sich seine Installationen in andere Projekte; das Material hat einen ganz langen Lebenszyklus, das immer wieder neue Erscheinungsformen findet. Und natürlich ist er ganz stark daran interessiert, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten.

Danke für das Gespräch!