Politik | Interview

“Der Wähler vergisst nicht”

Er zählt zu den vehementesten Verfechtern der Geburtshilfe Sterzing. Nun spricht SVP-Bezirksobmann Karl Polig über Enttäuschung, fehlende Wertschätzung und Konsequenzen.

Am Mittwoch Abend hat sich die Parteileitung der SVP Wipptal getroffen. Ein Thema hat dabei alle anderen in den Schatten gestellt: die Schließung der Geburtenstation in Sterzing. Am Donnerstag Abend wird in der Fuggerstadt gegen den Beschluss der Landesregierung, die Geburtshilfe mit 31. Oktober dieses Jahres zuzusperren, protestiert. Solidaritätsbekundungen kommen aus dem ganzen Land, die Organisatoren rechnen mit hunderten Teilnehmern. Einer davon wird Karl Polig sein. Der Bezirksobmann der SVP Wipptal will, wie so viele andere: “Ein Zeichen setzen.”

salto.bz: Herr Polig, was hat die Parteileitung am Mittwoch Abend beschlossen?
Karl Polig: Wir haben darüber beraten, wie wir uns parteimäßig verhalten sollten. Sind dann allerdings zum Entschluss gekommen, noch einige Tage zu warten. Am Montag haben wir eine Sitzung des Bezirksausschusses, wo alle Ortsausschüsse vertreten sind. Auch der Landeshauptmann wird anwesend sein. Wir haben unsere Reaktion also bis dahin verschoben.

Ihre Enttäuschung und ihr Unverständnis können die Wipptaler SVP-Vertreter aber bis dahin wohl kaum verbergen…
Das kann ich nur bestätigen. Die Entscheidung über die Geburtenstation ist eine Sache, mit der man sich absolut nicht abfinden kann. Die Stimmung gestern (Mittwoch, Anm. d. Red.) war dementsprechend gedrückt. Man ist einfach der Meinung, dass in diesem Fall dem Bezirk keine Wertschätzung entgegen gebracht, unser Wille nicht beachtet und der Einsatz für das Krankenhaus absolut nicht belohnt wurde. Für mich persönlich finden wir uns in einer verkehrten Welt wieder.


In Sterzing ist man bereit...

Inwiefern?
Man opfert hier – parteimäßig gesprochen – einen ganzen Parteibezirk, um Fehler, die anderswo gemacht worden sind, auszubügeln. Es ist nicht nur unsere Meinung, sondern eine Tatsache, dass Sterzing das Personal für die Geburtenabteilung beisammen hätte und auch alle anderen Anforderungen erfüllt. Und das sogar besser als alle anderen Geburtenstationen. Aber sie wird trotzdem geschlossen. Mittlerweile haben wir wirklich die Scherben liegen. Und das ist komplett inakzeptabel.

Politische Konsequenzen innerhalb der Partei dürften jetzt unumgänglich sein. Ist mit Austritten beziehungsweise Rücktritten zu rechnen?
Austritte aus der Partei oder Parteigremien werden sicher stattfinden – sofern sie in einzelnen Ortsausschüssen nicht schon stattgefunden haben. Damit ist auf jeden Fall zu rechnen. Und auch am Montag werden wir bei der Bezirksausschusssitzung sicherlich nicht einfach sagen: Ja, das ist jetzt halt so und wir machen alle gleich weiter wie vorher. Das wird sicher nicht passieren. Wir werden schon ein Zeichen setzen.

Es wurde alles gemacht, was gewünscht und gefordert war – zur vollsten Zufriedenheit. Trotzdem wird zugesperrt. Das ist es, was so böse macht und nicht zu verstehen ist.

Das wollen auch viele Menschen heute (Donnerstag, Anm. d. Red.) Abend. Werden Sie, wird die SVP Wipptal bei der Protestveranstaltung in Sterzing dabei sein?
Wir werden anwesend sein, ja. Ich denke, die meisten Bürgermeister (der Bezirk Wipptal zählt sechs, darunter zwei Nicht-SVP-Vertreter, Anm. d. Red.) werden da sein, ich selbst auch. Allerdings nur am Anfang, und ein Statement abgeben. Aber ich werde nicht mit einer Fackel durch die Gegend ziehen. Das ist nicht mein Stil und ich bin auch der Meinung, dass diese Dinge letztendlich sehr wenig bringen.

Sie persönlich haben Ihren Rücktritt als SVP-Bezirksobmann in den Raum gestellt…
Im Raum steht er nach wie vor. Was ich absolut nicht akzeptieren kann, sind die vielen Leute, die – auch hier im Bezirk – dauernd auf unsere Partei schimpfen. Von mir persönlich kann ich mit ruhigem Gewissen behaupten, dass ich im Wipptal neben Primar Franz Ploner derjenige war, der sich in den vergangenen Monaten und Jahren wahrscheinlich am meisten für die Sache eingesetzt habe. Daher stehe ich sicherlich ganz gerade da.

Dem Wipptal muss das Gefühl gegeben werden, als Bezirk, den Wert zu erhalten, der ihm zusteht

Sie haben sich nichts vorzuwerfen?
Nein, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Was nun aber den Rücktritt anbelangt, das ist so eine Sache. Wenn irgendwann niemand mehr da wäre, dem man vorstehen könnte, dann würde auch nichts mehr anderes übrig bleiben.

Wie lautet Ihre Entscheidung?
Im Moment könnte mir vorstellen, dass es in die Richtung geht, Parteiämter jetzt einmal ruhen zu lassen. Das wäre eine Möglichkeit, die ich am Montag aufzeigen könnte. Aber das wird dann dort besprochen und beschlossen.

2018 sind Landtagswahlen. Wird sich die Bevölkerung erinnern und die SVP für ihre Entscheidung abwatschen?
Nun ja, bis zu den nächsten Landtagswahlen ist es nicht mehr so weit, das stimmt. Es sind ja nur mehr gute zwei Jahre. Und es ist ganz klar, der Wähler wird nicht vergessen.

Man opfert einen ganzen Parteibezirk, um Fehler, die anderswo gemacht worden sind, auszubügeln

Die Wahlschlappe ist für die SVP im Wipptal 2018 vorprogrammiert?
Es wird sicherlich etwas zurückbleiben. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Auswirkungen geringer sind, wenn zum einen die parallelen Maßnahmen wie der Ausbau der Neuroreha oder die Stärkung des Krankenhauses, wie verlangt und versprochen, alle optimal laufen. Und zum anderen dem Wipptal das Gefühl gegeben wird, als Bezirk – aber auch die Peripherie als Ganze – den Wert zu erhalten, der ihm zusteht.

Unter anderem könnte das mit einer Wahlrechtsreform für den Landtag geschehen. Einigen Ihrer Parteikollegen schwebt vor, künftig jedem Bezirk einen Vertreter im Landtag zu garantieren. Ist das für Sie ein erster Schritt Richtung Aufwertung der Peripherie? Oder eine Beruhigungspille vor allem für das Wipptal?
Das ist, glaube ich, einmal ein Versuch in diese Richtung. Ob das dann gelingt, weiß ich nicht. Denn ich kann mir vorstellen, dass die großen Bezirke sicherlich etwas dagegen haben werden. Natürlich, für einen Bezirk wie den unseren wäre es logischerweise ein Vorteil. Aus eigener Kraft ist es bei uns fast unmöglich, jemanden in den Landtag zu bringen.

Dann würde wahrscheinlich auch die Kommunikation mit Bozen besser funktionieren. Eine Kritik, die letzthin häufiger zu hören war – zuletzt vom von Ihnen genannten Sterzinger Krankenhausdirektor Franz Ploner – war, dass Entscheidungen dem Bezirk nicht kommuniziert wurden. Teilen Sie diesen Vorwurf?
Innerhalb der Partei hat sich die Entscheidung über die Geburtenstation schon abgezeichnet. Es haben ja Aussprachen in den Parteigremien in Bozen stattgefunden. Auch die Bürgermeister wurden eingeladen und darüber informiert, in welche Richtung es gehen wird. Weil nichts anderes übrig bleiben würde, weil das Personal einfach nicht zu finden sei und so weiter und so fort.

Wir werden sicherlich nicht einfach sagen: Ja, das ist jetzt halt so und wir machen alle gleich weiter wie vorher.

Sie vermissen allerdings, dass der Einsatz und die Argumente aus dem Wipptal nicht berücksichtigt wurden?
Ja. Den Einsatz für Sterzing haben wir in erster Linie Dr. Ploner zu verdanken. Er hat sich, wie man so sagt, die Haxen ausgerissen, Ärzte im In- und Ausland gesucht, die in Sterzing aushelfen würden. Und war schließlich imstande, für die nächsten drei Monate alles so aufzustellen wie es das Gesundheitsministerium in Rom wünscht. Übrigens wurde Dr. Ploner noch wenige Tage vor dem Beschluss der Landesregierung vom Sanitätsbetrieb aufgefordert, das alles einzureichen. Er hat das gemacht, zur vollsten Zufriedenheit. Trotzdem wird zugesperrt. Und das ist es, was so böse macht und nicht zu verstehen ist. Außerdem bin ich der Meinung, dass man im Hinblick auf die Sicherheitsbestimmungen bezüglich der Anwesenheit der vier Fachkräfte in Rom noch nicht alles ausgereizt hat. Ich glaube, dass zusammen mit anderen Provinzen und Regionen schon noch etwas möglich wäre.

Einige sprechen bereits vom “Anfang vom Ende”. Teilen Sie die Befürchtung, dass die Schließung der Geburtenstation nur ein erster Schritt war, um nach und nach Dienste am Krankenhaus Sterzing abzubauen?
Hier gehen die Meinungen auseinander. Manche sagen es wirklich so, dass jetzt alles zurückgeschraubt würde. Ich persönlich glaube schon, dass die Landesregierung die Absicht hat, die Dienste, die nach der Geburtenstation in Sterzing noch da sind, voll funktionsfähig zu erhalten. Da würde ich der Landesregierung schon Glauben schenken.

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Sepp.Bacher Do., 14.07.2016 - 19:59

Florian Kronbichler schreibt heute in einer Presseaussendung uA: "Ich habe mich für den Erhalt der kleinen Krankenhäuser engagiert (.....) so wie sie sind und wie die Menschen ihres Einzugsgebiets sie haben wollen. Die Spitäler sind die Herzkammern ihrer Gebiete. Mit ihnen leben und sterben die Gebiete um sie herum. (........) Was die Landesregierung hier entschlossen ist zu kappen, ist der Lebensnerv des (bisher erfolgreichen) Modells Südtirol. Südtirols Besonderheit und Reichtum waren die unvergleichlich gleichwertige Entwicklung von Zentrum und Peripherie. Nirgendwo anders sind die Bauern so viel auf ihren Höfen geblieben, die Seitentäler so entwickelt worden, das Leben „auf dem Land“ so wertig gemacht worden. Das widersprach der herrschenden Lehre von Fortschritt und kostete Geld. Wir können sagen, das Ergebnis war es wert. Es waren „soldi spesi bene“. "
Das was Kronbichler hier schreibt, habe ich mir auch vielfach gedacht. Und ich wundere mich, dass dieses Argument - vor allem von den Betroffenen nie ins Spiel gebracht wurde.
Wenn man es den Menschen schmackhaft macht, bis auf den entlegensten Hof und Weiler zu bleiben, dann muss man ihnen auch periphere Strukturen zur Verfügung stellen. Heute schreibt Arnold Tribus in seinem Kommentar, es sei fast nur ein Kastzensprung von Sterzing nach Brixen. Es wäre aber auch nur ein Katzensprung von Brixen nach Sterzing. Warum nicht die renommierte, weitum bekannte, erfolgreiche Geburtenstation erhalten und zum Beispiel die von Brixen schließen? Bruneck und Bozen wären ebenfalls nur einen Katzensprung entfernt.
Außerdem wird mit der Entscheidung der Landesregierung der Erfolg der Sterzinger Station nicht nur nicht gewürdigt sondern mit Füßen getreten; jenseits jeder Logik!

Do., 14.07.2016 - 19:59 Permalink