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"Keuschheit ist ein Fremdwort"

Mit einer Öffnung der katholischen Kirche gegenüber Homosexuellen geht am morgigen Samstag in Rom die Familiensynode im Vatikan zu Ende.

Wenn sich die katholische Kirche mit Sexualethik beschäftigt, ist das Endziel vorprogrammiert: nicht die Quadratur des Kreises, sondern der kleinste gemeinsame Nenner. Durchaus kontrovers prallten auf der Familiensynode in Rom die Standpunkte der Bischöfe aus aller Welt aufeinander. Anschaulich beschreibt Anconas Erzbischof Edoardo Menichelli den brisanten Konfliktstoff:

"Wenn wir bei den Ehevorbereitungskursen von Keuschheit sprechen, schauen uns diese armen Paare immer ganz erschrocken an. Keuschheit, wie denn? Sie verstehen ganz einfach das Wort nicht. Es ist zum Fremdwort geworden."

Da sei  "eine Prise Demut vonnöten." Und vor allem müsse man zunächst "die verschiedenen und oft verwirrenden Formen von Ehe und Familie wahrnehmen, die es heute gibt". Eine weltweite Umfrage des Vatikans unter  dem Kirchenvolk hat im Frühjahr die wachsende Kluft zwischen Lehre und Lebenswirklichkeit eindrücklich belegt. Besonders kontrovers scheint der Themenbereich der Homosexualität, die Joseph Ratzinger noch als "Anomalie" angeprangert hatte. Jetzt schlägt der Vatikan einen versöhnlichen Ton an: Schwule und Lesben könnten die Kirche bereichern. Bei der Fülle gegensätzlicher Meinungen war es fast unvermeidlich, daß der Zwischenbericht des ungarischen Kardinals Peter Erdö in der Synode teils auf Kritik stieß. Dessen "relatio" beziehe sich nicht genug auf die katholische Lehre zu Ehe und Familie, spreche zu wenig über die "Schönheit der lebenslangen Treue" und stelle unvollkommene Beziehungen zu sehr in den Vordergrund. Erdö, als Relator der Synode der Hauptverantwortliche des Textes, wies die Kritikzurück. Es handle sich um einen Zwischenbericht, der über 300
Redebeiträge zusammenfasse.

Um den Endtext, der am Samstag dem Papst überreicht werden soll, wird  bis zur letzten Minute um 700 Abänderungsanträge gefeilscht. Die Front der Konservativen nimmt vor allem an den  Paragraphen Anstoß, die eine Öffnung gegenüber Homosexuellen befürworten. Angeführt wird sie von jenen fünf Kardinälen, die wenige Tage vor Beginn der Synode ein Buch mit dem deutlichen Titel: "In der Wahrheit Christi verharren" publiziert hatten: Walter Brandmüller, Raymond Leo Burke, Carlo Caffarra, Velasio de Paolis und Gerhard Ludwig Müller.   Besonders der deutsche Präsident der Glaubenskongregation wendet sich gegen jedes Zugeständnis an wiederverheiratete Geschiedene. Müller: "Die Unauflöslichkeit der Ehe ist von Jesus Christus verfügt." Auch hier wird es einen Kompromiß geben: Sie bleibt unangetastet, über die praktischen Folgen im Alltag des Seelsorgers kann man reden. So läßt sich in strittigen Fragen Traditionalismus mit pragmatischen Lösungen verbinden. Endgültige Entscheidungen werden in Rom ohndies nicht getroffen. Die Synode ist als Vorbereitung gedacht für eine noch größere Versammlung im Herbst 2015. Doch die Wende ist eingeleitet. Und ein Zurück wird es unter Franziskus nicht geben.