Kultur | Geschichte

Verbotene Lieben

Wie konnte man für eigentlich verbotene Ehen dennoch die Erlaubnis von Kirche oder Staat erlangen? Dieser Frage ging die Historikerin Margareth Lanzinger nach.

Das Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte der Universität Bozen gibt es seit zwei Jahren, den Verein „Geschichte und Region/Storia e Regione“, seit 25 Jahren. Beiden ist daran gelegen, die moderne regionalhistorische Forschung in Südtirol, Nordtirol und dem Trentino voranzutreiben, auch breitere Bevölkerungskreise für Geschichte zu interessieren und so das historische Bewusstsein der Südtiroler Gesellschaft zu stärken. Galt diese Forschungs- und Vermittlungstätigkeit in den letzten Jahren vor allem dem Ersten Weltkrieg und der Tiroler Rolle darin, wurde nun ein Buch vorgestellt, das die Familienbeziehungen unter die Lupe nimmt, speziell die verbotenen.

Die an der Universität Wien forschende Historikerin Margareth Lanzinger ging in ihrer Habilitationsschrift der Frage nach: Wie konnte man für eigentlich verbotenen Ehen dennoch die Erlaubnis von Kirche oder Staat erlangen? Über die Verwandtenehen und die Dispenspraxis, also die Erteilung einer Ausnahmeregelung vom Eheverbot, sprach sie dazu letzte Woche im Alten Rathaus in Bozen. Das Interesse am Thema bestehe schon lange, sagt die Historikerin: „Bereits meine Dissertation habe ich den Heiraten in familialen und lokalen Kontexten gewidmet und zwar in einer Mikrostudie über Innichen. Das Quellenmaterial dazu habe ich im Diözesanarchiv von Brixen gefunden und habe damals schon bemerkt, wie reichhaltig und spannend diese Dokumente sind, die Auskunft geben über die Art und Weise des Denkens, warum man wen heiraten möchte, mit Argumenten für und wider die Eheschließung, auch die Entgegnungen und Reaktionen der Öffentlichkeit.“ Verwandtschaft und Familiengeschichte sind hier ein  Spiegel der Gesellschaft, und lassen ablesen, wie sich eine Gesellschaft organsiert.

Margareth Lanzinger untersuchte in ihrer Habilitationsschrift „Verwaltete Verwandtschaften“ die Eheschließungen im 18. und 19. Jahrhundert, etwa zwischen Cousin und Cousine, Schwager und Schwägerin, aber auch ferneren Verwandten. Eigentlich standen solchen Verbindungen – nach kanonischem Recht – Eheverbote entgegen. Um dennoch eine solche Heirat eingehen zu können, bedurfte es so genannter Dispensen, die in der Regel die päpstlichen Stellen in Rom erteilten. Um die Eröffnung eines solch aufwändigen Prozesses, also der Befreiung vom Heiratsverbot, mussten die Paare meist beim örtlichen Pfarrer ansuchen.

Margareth Lanzinger hat in ihrer Studie die Gebiete der Diözese Brixen des 19. Jahrhunderts untersucht, zu der damals auch Osttirol, der Großteil Nordtirols und auch Vorarlberg gehörten. Zwischen 1831 und 1890 gab es in diesem Raum 2142 Fälle von erteilten Dispensen, mit einer starken Konzentration vor allem in den westlichen Gebieten. „Anscheinend waren die heiratswilligen, aber mit Verbot belegten, weil verwandten Paare in Vorarlberg und West-Tirol beharrlicher und vielleicht auch die kirchlichen Stellen geneigter, solche Dispensverfahren einzuleiten. Vorarlberg gehörte zuvor zu anderen Diözesen wie Konstanz und es kann sein, dass die Abwehren dort nicht so intensiv waren wie in anderen Gebieten, also ließen sich die Paare auch nicht so schnell abwimmeln.“ Ein Pfarrer musste ein Dispensansuchen dreimal abweisen, beim vierten Mal schien der Weg meist gangbar. Im Pustertal, so Lanzinger, habe sie diese Hartnäckigkeit nicht vorgefunden. „Neben den ökonomischen Aspekten waren es sicher auch emotionale und soziale Gründen, die ein Paar oft auch sechs oder siebenmal um eine kirchliche Heiratserlaubnis ansuchen ließen und dass darüber 10 Jahre verstrichen, kam auch vor. Das zeigt aber eben auch, dass Paare wirklich zusammen leben wollten.“ Vor allem die Heirat zwischen Verschwägerten, also einem Witwer und der Schwester der verstorbenen Ehefrau kam so zustande, denn auch diese war im 19. Jahrhundert verboten. „Oft wohnte die Schwester bereits im Hause und betreute die Kinder der Verstorbenen, die soziale und emotionale Nähe wurde im 19. Jahrhundert immer wichiger bei Eheschließungen.“ Warum eine Heirat zwischen Kusinen 1. Grades und Schwägern gerade in jener Zeit massiv anstieg, erklärt Lanzinger mit der damals geltenden Erbpraxis, auf diesem Weg sollten stabile Besitzeinheiten erhalten bleiben.

Zu jener Zeit begann allerdings auch der Staat in diese bis dahin kirchliche Domäne einzugreifen. Die Geschichte der Ehedispensen zeigt also auch die Geschichte der Konkurrenz zwischen kirchlicher und weltlicher Macht, die den langen Übergang in eine säkularisierte und zunehmend von staatlichen Instanzen getragenen Gesellschaft prägte. Durch die Einführung der Zivilehe wurde die Macht der Kirche in diesem Bereich gebrochen. Ehepolitik und Verwandtschaftsbeziehungen bleiben jedoch ein interessantes Feld für die historische Forschung.