Doppelter Maulkorb
Es gäbe viel zu besprechen mit Südtirols Ärtzinnen und Ärzten in diesen Tagen. Die anstehende Reform des Betriebs, die Pasdera-Studie – und nicht zuletzt die Probleme mit der Einsicht in Patientenakten, die vor allem in den Krankenhäusern von Bozen, Meran und Schlanders in Folge der Umstellung auf die neuen Privacy-Bestimmungen für chaotische Zustände sorgen. Bereits seit November schlagen sich die Ärzte dort mit dem Problem herum, vielfach keinen Zugriff mehr auf digitale Patientenakten zu haben. Trotz Zusicherung der Sanitätsdirektion, dass das Problem in wenigen Tagen gelöst werde, hielt das Personal mit seiner Empörung anfangs nicht hinter dem Berg. „Was ist, wenn ein Bluter zu mir kommt und ich dastehe ohne Informationen, die eventuell ein Leben retten könnten“, fragte der Hämatologe Norbert Pescosta, Mediziner auf der Hämatologie im Bozner Krankenhaus. „Wenn sich jene, die für diese absurde Situation verantwortlich sind, davor herabgelassen hätten, sich von den Ärzten beraten zu lassen, hätten sie sich eine figuraccia dieser Größenordnung wohl erspart – und Respekt für Ärzte und Patienten bewiesen“, wetterte Chirurg Antonio Frena auf seiner Facebook-Seite.
Wer Ärzte wie sie nur wenige Wochen später nach dem aktuellen Stand der Dinge fragen will, muss sich mit vielen unbeantworteten Anrufen und Mails oder zumindest freundlichen Absagen zufriedengeben. „Ich habe mich dazu verpflichtet, nichts zu sagen, und daran halte ich mich auch“, heißt es da zum Beispiel. Oder: „Sie haben uns allen einen Maulkorb angelegt, wir dürfen nicht ohne Erlaubnis an die Presse gehen, sonst drohen uns Disziplinarmaßnahmen.“ Eine Praxis, die im Südtiroler Sanitätsbetrieb keine Neuigkeit ist. Bereits zu Jahresbeginn hatte ein entsprechender Erlass von Generaldirektor Andreas Fabi für Diskussionen gesorgt. Auch im Zug der Reformdiskussion hat sich mittlerweile so mancher Arzt, der sich ohne Erlaubnis – und nicht im Sinne des Betriebes – in der Presse geäußert hatte, ein Disziplinarverfahren oder zumindest dessen Androhung eingefangen. Dennoch führt das Privacy-Chaos nun zum bisherigen Höhepunkt der Maulkorb-Geschichte: Wenn ein Arzt in der Öffentlichkeit behauptet, dass die Patientensicherheit aufgrund der Bestimmungen der Aufsichtsbehörde für Privacy gefährdet sei, riskiert er seinen Job, lautet die jüngste Drohung aus dem Büro von Noch-Generaldirektor Andreas Fabi.
Drohende Suspendierung
Starker Tobak, hinter dem allerdings in diesem Fall der Garante selbst steht. Die Aufsichtsbehörde soll mit der Provinz im Norden mittlerweile nicht nur deshalb auf Kriegsfuß stehen, weil die Umsetzung ihrer Bestimmungen hier nur auf Probleme und Widerstände stößt. „Vor allem ärgert man sich in Rom darüber, dass die Probleme in Medienberichten auch von der Betriebsführung stets dem Garante in die Schuhe geschoben werden“, wird aus dem Sanitätsbetrieb berichtet. Die Konsequenz: Wenn sich Ärzte künftig über die Medien negativ über die Bestimmungen der Aufsichtsbehörde äußern, werde man deren Suspendierung über die Ärztekammer vorantreiben, wurde Fabi & Co.Anfang Dezember bei einem Treffen in Rom mitgeteilt. Dort sollen die Vertreter der Betriebsdirektion aber auch persönlich für eine negative mediale Stimmungsmache gegen die Privacy-Bestimmungen zur Verantwortung gerufen worden sein. Wenn dies so weitergehe, können wir auch Euch ein Strafverfahren und Geldstrafen anhängen, soll die Botschaft der römischen Vertreter sinngemäß gelautet haben.
Durchgesickert ist diese weitere Zuspitzung der Situation nach einem Treffen zwischen der Betriebsdirektion und den Primaren von insgesamt 13 Akut-Abteilungen wie Notaufnahme, Anästhesie oder Onkologie, für die bislang in Sachen Privacy Ausnahmebestimmungen galten. Dort wurden die Verantwortlichen zu Beginn der vergangenen Woche nicht nur vom Maulkorb in Rom, sondern auch darüber informiert, dass es auch in ihren Abteilungen fortan nicht mehr möglich sein wird, ohne vorherige Autorisierung auf Patientendaten zuzugreifen. Eine Maßnahme, die von der Aufsichtsbehörde mit einem weiteren Dekret von Anfang Dezember festgelegt worden war.
Wer hat den Schwarzen Peter?
So böse Rom aus dieser Perspektive auch wieder einmal wirken mag: Laut dem Bild, das sich aus aktuellen Indiskretionen und früheren offenen Klagen der Ärzteschaft ergibt, mag die römische Aufsichtsbehörde mit ihrem Groll, den Schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen, nicht einmal so Unrecht haben. Immerhin wird vor allem aus jenen drei Krankenhäusern von Problemen berichtet, die mit dem breits seit längerem in der Kritik stehenden System MedArchiver arbeiten. Und dort hat sich die Lage auch mehr als fünf Wochen nach dem Start der Probleme alles andere als entschärft. Entgegen der hartnäckigen Behauptung der Betriebsdirektion sollen die Probleme vielfach auch dann nicht aufhören, nachdem die PatientInnen die Zustimmung zur Einsicht ihrer Daten gegeben haben. Ob bei Facharztvisiten, vor Operationen oder im Day Hospital – „manchmal kommt man in die Akte rein, manchmal nicht, und keiner versteht, wovon es abhängt“, erklärt eine verzweifelte Ärztin. Die Aussichten auf eine baldige Besserung der Situation wurden bei einem kürzlichen Treffen mit den Informatikverantwortlichen vorerst begraben: 100 Arbeitstage oder 4000 Programmierstunden seien insgesamt notwendig, um die aktuellen Probleme mit dem System MedArchiver zu lösen, wird von dort kolportiert.
Absicherung beim Staatsanwalt
Sprich: Frühestens Ende Jänner hofft man, das System wieder einigermaßen auf Vordermann gebracht zu haben. Bis dahin wird die Arbeit in den Spitälern weiterhin durch fehlende Befunde und Krankengeschichten behindert. Eine Aussicht, die auch die Sparbemühungen im Sanitätsbetrieb eindeutig untergräbt. Denn die nicht zugänglichen Patientendaten machen jede Menge zusätzliche Untersuchungen notwendig. Was dagegen die Gefahr für die PatientInnen betrifft, ist man im derzeitigen Klima auch off the records vorsichtig. „Aber ich denke, es liegt auf der Hand, dass spätestens jetzt, wo man auch in der Notaufnahme keine Einsicht mehr in wichtige Informationen über PatientInnen hat, die Wahrscheinlichkeit für ärztliche Fehlentscheidungen größer ist“, meint ein Arzt. Auch in diesem Sinne werden bei den ersten Ärztegewerkschaften nun Überlegungen gemacht, der Staatsanwaltschaft die Sicht der Ärzte darzulegen. „Sollte es in Zukunft aufgrund solcher Fälle tatsächlich zu Patientenklagen kommen, haben wir unsere Sicht der Dinge zumindest vorab deponiert“, so die Überlegung.