Gesellschaft | Flüchtlinge

Mit Schirm, Herz und Courage

Mit einem Marsch wollen die Freiwilligen ein Zeichen setzen: "Schutz für Menschen auf der Flucht." An den italienischen Grenzen spielen sich derweil absurde Szenen ab.

Lange haben sie sich zurückgehalten. Über zwei Monate sind vergangen, seit die ersten Freiwilligen an den Zugbahnhof in Bozen kamen. Anfangs gingen sie mit Essen und Trinken den Bahngleis 3 entlang. Dort warteten die in Bozen gestrandeten Flüchtlinge auf die nächste Gelegenheit, nach Norden zu reisen. Alsbald richtete man sich im Warteraum zwischen Gleis 3 und 4 ein. Doch eine angemessene Versorgung der großteils aus Eritrea, Syrien oder Somalia stammenden Frauen, Kinder und Männer war dort nicht möglich. Auf Druck der freiwilligen Helfer der Zivilgesellschaft, die gemeinsam mit dem Verein Volontarius am Bahnhof tätig sind, wurde auch die Politik und weitere Organisationen auf den Plan gerufen. Schließlich öffnete die italienische Eisenbahn einen Warteraum am Gleis 1. Und mittlerweile stehen zwei weitere Räume zur Verfügung. Es gibt Sitzgelegenheiten, funktionierende sanitäre Anlagen, einen Lagerraum und regelmäßige ärtzliche Versorgung für die Menschen auf der Flucht.


Vom Bahnhof auf die Straße

Es hat sich einiges getan. Und viel davon haben die “Freiwilligen der Zivilgesellschaft”, wie sie sich selbst nennen, auf die Beine gestellt. Spontan, unbürokratisch und mit einem großen Maß an Diskretion. Nun wollen sie vom Bahnhof auf die Straße. “Wir spannen den Schirm auf – Noi apriamo l'ombrello” – unter diesem Motto haben die Freiwilligen einen Marsch durch Bozen organisiert. Anlässlich des Weltflüchtlingstags, der jährlich am 20. Juni begangen wird, wird am Samstag durch die Bozner Innenstadt marschiert. “Die Regenschirme, die die TeilnehmerInnen dieses Marsches tragen, symbolisieren den Schutz für Flüchtlinge und Vertriebene”, so die Initiatoren der Veranstaltung.

Es soll keine reine Solidaritätsbekundung werden. Die Freiwilligen stellen klare Forderungen:

Am Brenner, der EU-Innengrenze vor unserer Haustür wurden im letzten Jahr mehr als 5.000 Flüchtlinge wieder von Österreich nach Italien zurückgeschickt. Nur ein Prozent aller Asylbewerber in Italien werden in Südtirol aufgenommen. Jenen, die es bis nach Europa schaffen, stehen viel Misstrauen, langen Asylverfahren, mangelhafter Betreuung und Integrationsmomenten gegenüber. Die Ungewissheit über ihre Zukunft und die Angst zurückgeschickt zu werden, sind ständige Begleiter. Flüchtlingen wird es schwer gemacht, ihre Fähigkeiten und Potentiale zu nützen. Sie brauchen sichere Fluchtwege, freies Geleit auf der Flucht und eine faire Chance, in Sicherheit und Frieden endlich mit dem Wiederaufbau ihres Lebens beginnen zu können.


Stocker bei Alfano

Etwas nüchterne Worte in Sachen Flüchtlinge kommen unterdessen von Martha Stocker. Als Gesundheits- und Soziallandesrätin war sie am Mittwoch Abend in Rom. Innenminister Angelino Alfano hatte kurzfiristig eine Regionenkonferenz einberufen. Auf der Tagesordnung standen neben den Verhandlungen auf EU-Ebene zur Anpassung der derzeit gültigen Dublin-Regelung und den Protesten einiger italienischer Regionen im Zusammenhang mit weiteren Flüchtlingsaufnahmen auch die Situation der flüchtenden Menschen auf der Durchreise an Bahnhöfen. Landesrätin Stocker forderte die stärkere Berücksichtigung der “besonderen Situation Südtirols als Durchzugsland mit den komplexen Situationen an den Schwerpunktbahnhöfen Bozen und Brenner”.

Landesrätin Martha Stocker mit Innenminister Angelino Alfano. Foto: LPA/Katharina Tasser


Hin- und hergeschoben

Wie komplex und gleichzeitig absurd die Situation an den italienischen Grenzbahnhöfen ist, zeigt die Lage in Ventimiglia. Laut italienischen Medienberichten sind in den vergangenen Tagen vermehrt Menschen von Frankreich nach Ventimiglia abgeschoben worden, die niemals in Italien waren. Darunter auch zahlreiche Kinder. Polizei und freiwillige Helfer machen ihrem Ärger Luft: “Sie schicken uns etwas von allem zurück, auch Minderjährige. Sie ’säubern’ Frankreich”, so der Vorwurf in Richtung französische Gendarmerie.

Ein Blick die entgegengesetzte geografische Richtung zeigt ein weiteres groteskes Bild. Denn im Friaul finden die Abschiebungen der Flüchtlinge in die umgekehrte Richtung statt. “Der Gebirgspass von Tarvisio an der italienisch-österreichischen Grenze ist seit Wochen zu einer Eingangstür nach Italien für viele Migranten geworden”, erklärt der Quästor von Udine, Claudio Cracovia im Gespräch mit dem Corriere della Sera. Anstatt die gefährliche Bootsfahrt über das Mittelmeer, würden diese den langen Landweg über die Balkanstaaten auf sich nehmen. Seit einigen Tagen kontrolliert die Polizei im Friaul verstärkt: “Es soll ein Zeichen an die Bevölkerung sein, dass sich die Ordnungskräfte angesichts der aktuellen Situation nicht geschlagen geben”, bekräftigt Cracovia. Ans Aufgeben denken auch die Freiwilligen in Bozen und am Brenner nicht. Mit ihrem Regenschirm-Marsch wollen sie ebenfalls ein Zeichen setzen, “für den umfassenden Schutz und die Rechte von Flüchtlingen und der EU”.  

Beginn der Veranstaltung ist am Samstag, 20. Juni, um 11 Uhr. Treffpunkt ist das Ötzimuseum, Ziel der Bozner Bahnhofspark.