Gesellschaft | Forschung

Patriotismus unter der Lupe

Was bedeutet Patriotismus für Südtirols Jugendliche? Eine Studie dazu verrät interessante Einblicke. Doch zunächst gilt es zu klären, was mit dem Begriff gemeint ist.

“Was steckt dahinter, wenn Jugendliche sich für Traditionen begeistern oder bedruckte T-Shirts mit heimatverbundenen Sprüchen tragen?” “Gibt es einen konstruktiven Patriotismus?” “Wo verläuft die Grenze zum Extremismus?” All diese Fragen waren Gegenstand einer Forschung, die Studierende der Freien Universität Bozen durchgeführt haben. Am Donnerstag Vormittag wurden die Ergebnisse im Rahmen der Veranstaltung “Jugendliche und Patriotismus in Südtirol” zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Geladen waren neben allen Interessierten insbesondere Jugendarbeiter, Sozialpädagogen und Lehrer – jene, die in ihrer täglichen Arbeit mit Jugendlichen zu tun haben. An diese richtete Universitätsrektor Walter Lorenz seine Begrüßungsworte: “Es ist wichtig, dass sich nicht nur die Politik, sondern auch diejenigen, die an der Basis arbeiten, mit diesem Thema beschäftigen. Denn es zählt zu jenen zentralen Themen, die über den Erfolg des Projekts, ein vereinigtes Europa zu schaffen oder aber über den Rückfall in Nationalismen entscheidet.”


Patriotismus beleuchtet

In einem Impulsreferat erläuterte Lothar Böhnisch, Professor an der Uni Bozen, den Begriff “Patriotismus” aus sozialwissenschaftlicher Sicht. “Es gibt verschiedene Formen des Phänomens, zum Beispiel den kulturellen, demokratischen oder landschaftlichen Patriotismus. Allen gemein ist eine emotionale Bindung, die Liebe zum Vaterland”, so Böhnisch. Ganz klar sei Patriotismus von Nationalismus abzugrenzen. Zwar stehe auch bei zweitem die emotionale Bindung zu einem Kollektiv, zur Nation, im Vordergrund. Allerdings basiere diese auf einer Abwertung anderer.

Lothar Böhnisch

“Wichtig”, so Böhnisch weiter, “ist auch, die bürgerlich-demokratische Geschichte hinter dem Patriotismus zu bedenken.” Seinen Ursprung hat der Patriotismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich die Bürger durch eine eigene Bindung zum Vaterland vom Staat emanzipieren wollten. “Aus den Untertanen wurden Bürger, die Voraussetzung für zivilgesellschaftliches Engagement war geschaffen”, erklärte der Universitätsprofessor. Er wies darauf hin, dass es keinen “guten” oder “schlechten” Patriotismus gebe, sondern dass man vielmehr von “konstruktivem Patriotismus” sprechen müsse: “Ein dualer Begriff, der einerseits eine emotionale Bindung an die Nation, andererseits aber Weltoffenheit ohne die Abwertung anderer voraussetzt.” Von “Patriotismus” und “Nationalismus” unterschied Böhnisch schließlich auch den Begriff “Heimat”. “Erstere beziehen sich auf ein Kollektiv, zweitere hingegen auf die persönliche Biografie, was mit Identität zu tun hat. Heimat muss kein fester Ort sein, sondern es geht eher darum zu fragen, wo fühle ich mich wohl?”


Jetzt wird's glitschig

“Die problematische und ‘glitischige’ Ebene”, fuhr Böhnisch fort, “liegt nun in dem Begriff ‘emotionale Bindung’.” Er zog einen Vergleich heran, um die Problematik zu verdeutlichen: “Da gibt es einerseits Heimat- und Volksliedergruppen, die auch als patriotisch gelten können und Emotionen auf einer viel sentimentaleren und seichteren Ebene wecken. Im Gegensatz dazu gibt es Deutschrockgruppen wie Frei.Wild, die Emotionen durch Musik mit hämmernden Tönen hervorrufen.” Es gehe bei Frei.Wild nicht so sehr um die Texte, sondern eben darum, wie durch Musik die Emotionen hochgekocht werden, meinte Böhnisch: “Und durch die Emotionen verändert sich der Inhalt beziehungsweise die Art, wie dieser von der Masse rezipiert wird.” Dadurch entstehe eine gewisse Uneindeutigkeit in Zusammenhang mit Patriotismus, die noch problematischer werde, wenn dieser zum Bewältigungsmuster werde: “Wenn jemand wenig Ankerkennung erfährt, sich ausgegrenzt und ignoriert fühlt, dann bedient er sich des Patriotismus als Mittel, um eigene Probleme zu lösen. Im Sinne, ‘ich erhöhe mich, indem ich andere abwerte’.”

Typisch sei auch, dass dann Ausländerfeindlichkeit dazu käme, Beispiel dafür ist laut Böhnisch die Pegida-Bewegung in Deutschland. “Und wenn Patriotismus zu Nationalismus oder Rechtsextremismus wird, dann muss man sich um die Leute kümmern, insbesondere die jungen. Man muss ihnen zeigen, dass es nicht nötig ist, sich durch Abwertung anderer abzugrenzen, dass sie darauf nicht angewiesen sind”, so sein Appell in Richtung der anwesenden Jugendarbeiter. Für Böhnisch ist klar: “Es handelt sich weniger um ein Problem der politischen Bildung als vielmehr um ein sozialpädagogisches Problem.”


Verunsicherung durch die Bank

Dass es sich bei der Radikalisierung von Jugendlichen vielfach um ein Experimentieren mit Grenzen handle, darauf wies Lukas Schwienbacher vom Forum Prävention hin. “Doch heute haben die Heranwachsenden kaum mehr Chancen, extremer zu sein als die Erwachsenen und sie dadurch herauszufordern oder zu provozieren”, gab er zu bedenken. Daher seien auch Bestrafungen in diesem Falle nicht zielführend, “sondern wir müssen die Jugend mit ihren Sorgen und Ängsten anhören”, ist er der Meinung. Dass die jungen Menschen hierzulande eine Menge davon zu haben scheinen, geht auch aus der Studie hervor, die von Professor Armin Bernhard und zwei Studentinnen schließlich vorgestellt wurde. Grundlage der Forschung waren Gruppendiskussionen mit insgesamt mehr als 150 jungen Menschen zwischen 14 und 18 Jahren – sowohl deutscher als auch italienischer Muttersprache –, die vorwiegend aus dem ländlichen Raum stammen.

Das Publikum bei der Präsentation der Studie: vielfältig, interessiert, kritisch.

Mit dem Begriff “Patriotismus” können alle etwas anfangen, häufig taucht er in Zusammenhang mit “Heimatliebe” auf. Die Rückbesinnung auf gewisse Werte und Traditionen gibt den Jugendlichen laut den Forschenden Sicherheit in der heutigen, schnelllebigen Welt. Die Unsicherheit sei allgemein gestiegen und auch unter den jungen Menschen deutlich zu spüren. Krisen, Leistungsdruck und Perspektivlosigkeit würden dazu führen, dass sich viele auf die Suche nach Halt und Zusammenhalt machten. “Dabei wird der Grat des konstruktiven Patriotismus häufig überschritten und zum Beispiel Ausländer und Flüchtlinge mit Zukunftsängsten in Zusammenhang gebracht”, so ein Fazit.


Was die Jungen so sagen

Das Thema “Migranten” sei von den Teilnehmern in allen Diskussionen angesprochen worden. Kommentaren wie “zu viele”, “die wollen generell nicht arbeiten”, “es werden immer mehr”, “sie greifen die deutsche Kultur an” und “können eh machen, was sie wollen” seien aber durchgehend widersprochen worden. “Was bedeutet, dass die Jugendlichen doch differenzierte Auffassungen haben”, meinen die Forschenden. Auch die Ansichten zu “Patriotismus” seien durchwegs verschieden. Viele sehen den Begriff als negativ besetzt, bringen ihn etwa mit “Engstirnigkeit”, “Vorurteile”, “Fanatismus” in Zusammenhang. Andere hingegen assoziieren mit Patriotismus “Vaterlandsliebe”, “Stolz”, “Identität”, “Schützen”, und “Freiheitskämpfer”. “Patriotismus ist zwar veraltet, stört mich aber nicht”, so die Antwort eines Jugendlichen, andere meinten: “Patrioten und Rassisten, das sind zwei völlig verschiedene Dinge”, “Patriotismus ist auch Respekt” oder “Patriotismus ist allgemein nicht schlecht, denn es braucht Leute, die auf das Land schauen. Allerdings gibt es davon nur wenige, viele gehen weiter.”

Armin Bernhard (rechts) mit den beiden Studentinnen, Lisa Marie Tappeiner und Anna Laimer.
 

Auf der Suche...

Auch verschiedene Ausdrucksformen des Patriotismus wurden in den Diskussionen angesprochen. Darunter Traditionen und Kleidung. “Alle Jugendlichen haben positive Erfahrungen mit Traditionen, empfinden sie als identitätsstiftend und fühlen sich darin sicher”, wussten die Forschenden zu berichten. Was die Kleidung betrifft, so unterschieden die Heranwachsenden ganz deutlich die Tracht (Tradition) von Dirndl und Lederhose (Mode). Besonders stolz auf die Tracht war eine Gruppe junger Schützen, die eine der Studentinnen befragt hat. “Sie verbinden das Marschieren in der Tracht mit Männlichkeit, ebenso wie die Mitgliedschaft in einer Kompanie”, berichtete sie. Auf die Frage nach ihren Vorbildern antworteten die jungen Männer: “Andreas Hofer”, “Sepp Kerschbaumer” und “die Freiheitskämpfer”. “Die haben etwas für ihre Heimat getan und sich mit der nötigen Gewalt aufgelehnt”, so der Kommentar einer der Diskussionsteilnehmer. Bei dem Thema Gewalt seien sich übrigens alle sechs einig gewesen, dass sie zum “Mann-Sein” dazu gehöre. “Die jungen Männer sind auf der Suche nach Sicherheit, die eine Gruppe wie die Schützen bieten kann. Das beweist etwa die Aussage, dass die Kompanie wie eine große Familie sei und man sich gegenseitig helfen müsse”, resümiert die Studentin.

Das Fazit der Forschenden? “In den Diskussionen, die im Rahmen der Studie stattfanden, ist die Ambivalenz, mit der Patriotismus behaftet ist, ganz klar erkennbar – von sehr positiv bis sehr negativ. Heimatliebe taucht auf als Bewältigungsstrategie der eigenen Unsicherheit und dem Ausgesetzt-Sein in der heutigen Welt, die zunehmend schnelllebiger und egoistischer wird. Jugendliche suchen Halt in guten und langlebigen Traditionen, bewegen sich aber ständig auf einem schmalen Grad, wo konstruktiver Patriotismus in radikalere Anschauungen umschlagen kann.”