"Hebt den Flüchtlingsstopp am Brenner auf"
Kann sich der Mensch gegen die Flut wehren? Eine Frage, die am Montag Abend vom bekannten US-Journalisten Marc Cooper bei einer Veranstaltung des Friedenszentrums an der Uni Bozen aufgeworfen wurde. Wir können unsere Strände abschirmen, wir können Patrouillen aufmarschieren lassen – aber sie wird dennoch immer wieder kommen. So wie die Gezeiten verhalten sich laut dem US-Journalisten auch Menschen, die in ihrer Heimat keine Lebensgrundlage mehr haben. Ob wir es wollen oder nicht – sie werden kommen, ob von Mexiko in die USA oder von Afrika nach Europa. Eine Tatsache, vor der sich Südtirol nicht verschließen kann. Und auch nicht verschließt, wie Soziallandesrätin Martha Stocker bestätigt. 420 Flüchtlinge sind derzeit in Südtirol untergebracht. Sie stelle sich angesichts der aktuellen Entwicklungen darauf ein, dass es noch mehr werden, erklärte Stocker am Dienstag. Um die vereinbarte Quote von einem Prozent der italienweit untergebrachten Flüchtlinge zu erfüllen, lotet man beim Land derzeit aus, welche öffentlichen, aber auch privaten Strukturen sich für weitere Aufnahmezentren eigenen könnten.
Dabei ist Südtirol bekanntlich alles andere als die Traumdestination der vielen erschöpften Menschen, denen die Überquerung der mittlerweile gefährlichsten Flüchtlingsroute in Europa gelungen ist. Erst am Wochenende wurden am Bahnhof Bozen 150 Menschen aus den Zügen geholt, am Montag waren es weitere 100. Sie alle versuchen, über den Brenner in Länder mit mehr Zukunftsaussichten zu kommen, an Orte, an denen sie möglicherweise Verwandte oder Bekannte bei ihrem schweren Start in die neue Zukunft unterstützen können. „Wir verlangen eine sofortige Einstellung der trilateralen Patrouillen und einen unmittelbare Aufhebung des Flüchtlingsstopps am Brenner“, lautet der dramatische Appell, den der Sekretär der Polizistengewerkschaft Siulp Mario Deriu vor einem Treffen der österreichischen, deutschen und italienischen Sicherheitskräfte am Dienstag Vormittag lanciert.
"Keiner hält Menschen auf, die der IS entkommen wollen, dem Hunger oder dem Krieg."
Zur Diskussion steht die Praxis, die Deriu selbst bereits Ende vergangenen Jahres stark in Frage gestellt hatte: Flüchtlinge werden, vielfach von österreichischen und deutschen Sicherheitskräften, bereits auf italienischem Staatsgebiet, zum Verlassen der Züge gezwungen – und den italienischen Polizisten in Bozen „wie ein Paket ausgehändigt“, kritisiert Polizeigewerkschafter Deriu in der Dienstags-Ausgabe des Alto Adige. „Wir haben nur wenig Zeit, sie zu identifizieren. Danach werden sie ihrem Schicksal überlassen – und warten im Park, in den Wartesälen oder auf den Gleisen auf die nächste Gelegenheit, über den Brenner zu kommen“, beschreibt er die Situation. Eine menschlich für alle Seiten nicht mehr tragbare Situation, der die Polizei angesichts zu knapper Ressourcen auch nicht mehr Herr werden kann. Nach dem Tod von wahrscheinlich 900 Menschen im Mittelmeer am vergangenen Wochenende ist es laut Mario Deriu endlich an der Zeit, diesen Tatsachen ins Auge zu sehen. „Wenn wir so weitermachen, riskieren wir nach der Tragödie im Meer eine Tragödie an Land“, warnt er. Nicht nur einmal hätte die Polizei das Leben verzweifelter Flüchtlinge gerettet, die versuchten, sich von außen an Züge zu klammern, um ihre Route fortsetzen zu können.
Wie Marc Cooper sieht auch der Polizeigewerkschafter keine Chancen, den Fluss in Richtung Norden aufzuhalten. „Keiner hält Menschen auf, die der IS entkommen wollen, dem Hunger oder dem Krieg“, sagt er. Was also ist zu tun? Eine politische Lösung muss her, fordert auch Mario Deriu. Allen voran ein Aussetzen des Dubliner-Abkommens, das vorschreibt, die Flüchtlinge dort aufzunehmen, wo sie in Europa ankommen. Stopp der Grenze am Brenner, freie Mobilität für Flüchtlinge innerhalb Europas – und das sofort, lautet die Antwort der Polizeigewerkschaft nach all den Tragödien, die sie seit Monaten erlebt. Und wie reagiert die Politik darauf? Am Donnerstag kommen die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu einem Sondergipfel zusammen.
Freie Mobilität kann zwar den
Freie Mobilität kann zwar den weniger »attraktiven« Ländern recht sein, die die Flüchtlinge »loswerden« wollen, aber dann konzentrieren sie sich halt alle in den wenigen »attraktiven« Ländern. Sinnvoller wäre (statt der Dublinregelungen) eine gerechte Verteilung der Ströme auf die EU-Mitgliedsländer bzw. Regionen.
Antwort auf Freie Mobilität kann zwar den von pérvasion
(Und bezüglich gerechter
(Und bezüglich gerechter Verteilung/Verantwortungsübernahme macht Südtirol eindeutig zu wenig.)
Antwort auf Freie Mobilität kann zwar den von pérvasion
Stimmt. Einerseits.
Stimmt. Einerseits. Andererseits ist es so, dass Flüchtlinge oft ganz gezielt in solche Mitgliedsstaaten der EU wollen, wo sie auf die Unterstützung von familiären oder anderen persönlichen Netzwerken zurückgreifen können. Ein ausschließlich am grünen Tisch und nach quantitativen Kriterien entworfener „Verteilungsschlüssel“ würde diesen Entscheidungsspielraum für die Betroffenen und diese wichtige Ressource ausschließen.
die dramen spielen sich nun
die dramen spielen sich nun schon seit vielen vielen jahren in satter regelmäßigkeit im mittelmeer ab. und alle "lösungsvorschläge", die da kommen, konzentrieren sich auf symptombekämpfung. niemand - weder "flüchtlingsfreundliche" (sichere korridore, offene grenzen usw.) als auch "flüchtlingsfeindliche" (auffangzentren in nordafrika, strenge kontrollen usw.) - argumentiert bei der bekämpfung der dramen und der rettung von leben ursächlich.
wie wär's damit?
- Verbot von Schleppnetzfischerei
- Drastische Änderung der EU Agrarförderung
- Stopp von Waffenexporten
- Strenge Kontrolle der Abfallexporte
- Kompromissloser Kampf gegen CO2-Ausstoß
- Faire Preise für Rohstoffe und Agrarprodukte
- usw.
Antwort auf die dramen spielen sich nun von Harald Knoflach
Mir scheint es wichtig, zwei
Mir scheint es wichtig, zwei Ebenen nicht gegeneinander auszuspielen:
Migrationsbewegungen haben eine Reihe von Ursachen, für die „unsere“ westliche/nördliche Welt Verantwortung zu übernehmen hat und gegen die – wie du richtigerweise sagst - angekämpft werden muss.
Gleichzeitig (ich betone: gleichzeitig) muss es auch darum gehen, unmittelbare Aktionen zu setzen, damit nicht täglich Menschen sterben und damit jene, die überleben, eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben haben. Das würde ich nicht als Symptombekämpfung bezeichnen wollen.
Antwort auf Mir scheint es wichtig, zwei von Sabina Frei
logisch. wir haben es ja
logisch. wir haben es ja schon viel zu weit kommen lassen und wir müssen nun kurzfristige aktionen tätigen. aber die langfristige perspektive wird seid jahren (jahrzehnten) außer acht gelassen. dadurch wiederholt/verstärkt sich die ganze misere immer wieder.
Antwort auf die dramen spielen sich nun von Harald Knoflach
Die Liste kann sicher noch
Die Liste kann sicher noch ziemlich ergänzt werden: z.B. Entkolonialisierung. Mittlerweile überholt China diesbezüglich die westlichen Länder. Das Wichtigste wäre das die natürlichen Ressourcen (Meer/Fisch, Land/Landwirtschaft, Trinkwasser) für die einfachen Leute vor Ort verfügbar sind; also wenn in den letzten Jahrzehnten verschwunden, um Wiederherstellung gekämpft wird. Dort müsste die EU ehrlich mit sich selbst sein: statt Billigst-Fleisch-Export etc. zuzulassen, diesen unterbinden und gleichzeitig Förderungen der armen Länder an Ressourcen-Gewinnung für den einfachen Bürger zu knüpfen und Maximaler-Profit-Konzernen das Leben schwer machen. Wohl Utopie... *seufz*
Antwort auf Die Liste kann sicher noch von Martin B.
eine wichtige Initiative in
eine wichtige Initiative in dieser Hinsicht ist "Ernährungssouveränität" ein Menschenrecht, für das sich die NGO "FIAN" (Food First Action Network http://www.fian.org) einsetzt.