Kultur | Siegesdenkmal

"Dem Denkmal den Zahn gezogen"

Historiker Hannes Obermair vom Stadtarchiv Bozen ist stolz auf das Dokumentationszentrum unterm Siegesdenkmal: “Ein großer Schritt für Bozen".

Herr Obermair, Sie haben maßgeblich am Dokumentationszentrum mitgearbeitet, was bedeutet die heutige Eröffnung für Sie?

Hannes Obermair: Ich kann, um den heutigen Erinnerungstag an die Mondlandung zu parafrasieren, sagen, die Eröffnung des Dokumentationszentrums ist ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für Bozen und für Südtirol. Gleichzeitg muss ich sagen, dass es auch eine sehr späte Aktion ist, dafür aber umso nötiger. Dieses Dokumentationszentrum zu Faschismus und Nationalsozialismus und der Geschichte Südtirols von 1918 bis 1945 ist sehr wichtig für die Zivilgesellschaft.

Die Eröffnung ist das sichtbare Zeichen, aber war nicht bereits jene Entscheidung, dass man das Siegesdenkmal auf diese Weise aufarbeitet, ausschlaggebend?

Das war Ankündigungspolitik bzw. goodwill-Rhetorik, jetzt ist der erste Schritt getan, die Umwertung des Siegesdenkmals ist jetzt sichtbar. Jenes Denkmal, das von seinem Erbauer Piacentini als Drehscheibe für ein einstiges Groß-Bozen gedachte war, wird nun zur Drehscheibe für eine Erinnerungspolitik der Wende. Für mich als Historiker aber auch als Bürger ist dieses neue Dokumentationszentrum eine gewollte Drehscheibe für den reflexiven Umgang mit belasteter und belastender Geschichte.

Die Angst vor zuviel akademischer Belehrung in der Ausstellung kann ich zerstreuen, der Parcours ist bunt und sinnlich gut wahrnehmbar konstruiert.

Was gab es letzthin an aktueller konkreter Geschichtsaufarbeitung zum Thema Faschismus bzw. Nationalsozialismus in Südtirol?

Ganz wichtig war die große Optionsausstellung im Jahr 1989, die einen ersten Tabubruch darstellte; in der Zwischenzeit gibt es eine Reihe von wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Zeitgeschichte, angefangen bei Claus Gatterer und Leopold Steurer. Sie haben auf sehr solide und sprachgruppenübergreifende Weise Geschichtsaufarbeitung betrieben. Natürlich ist das der wissenschaftliche Anteil und man weiß, dass die akademische Ebene nur sehr zähflüssig auf die Ebene des Alltags und der Wahrnehmung durch die breite Masse durchsickert. Gerade deswegen ist das Dokumentationszentrum eine Pionierleistung, nicht nur für Südtirol sondern für ganz Italien, wo es kaum eine Möglichkeit für die Bürger gibt, sich über Faschismus zu informieren, außer aus Büchern.

Nun kritisiert Bozens Vizebürgermeister Klaus Ladinser genau das an der Ausstellung unterm Siegesdenkmal, sie sei „akademisch und politisch korrekt“, was heißt das für Sie?

Vielleicht befürchtet er, dass die Ausstellung zu intellektuell ausgefallen ist? Diese Angst kann ich zerstreuen, die Ausstellung ist sehr bunt und sinnlich gut wahrnehmbar ausgefallen. Natürlich muss auf der Faktenebene alles stimmen und der intellektuelle Anteil ist gegeben; doch auf der Vermittlungsebene haben die wissenschaftliche Kommission (Ugo Soragni als Vertreter des Staates, Andrea Di Michele und Christine Roilo für das Land, Silvia Spada und Hannes Obermair für die Stadt Bozen) und die Ausstellungsgestalter (Gruppe Gut sowie Berater Professor Jeffrey Schnapp) sehr auf optische und multimediale Anregungen geachtet.

Mit der historischen Aufarbeitung und Darstellung haben wir das Denkmal als Erkenntnisressource behandelt, es ist zwar ein Zeugnis seiner Zeit, aber wir haben ihm den schmerzhaften Zahn gezogen.

Eine weitere Kritik, jene von Eva Klotz am Dokumentationszentrum lautet, es werde „alles im Keller versteckt“, anstatt das Siegesdenkmal selbst zu dekonstruieren.

Das stimmt gar nicht, die Ausstellung ist zum großen Teil in den Räumen unter dem Denkmal zu sehen, aber von draußen gibt es ebenfalls Veränderungen. Am Eingang der Krypta, von der Parkseite am Siegesplatz her, haben wir eine Hochkant-Stele aufstellen lassen mit gut lesbarer vertikaler Schrift, und an einer der Säulen haben wir einen Ring mit Leuchtdioden angebracht. Dieser Ring leuchtet Tag und Nacht und weist auf die Ausstellung hin. Jeder der dort vorbeikommt, kann sehen, dass am Denkmal nun etwas anders ist. Mit der historischen Aufarbeitung und Darstellung haben wir das Denkmal als Erkenntnisressource behandelt, es ist zwar ein Zeugnis seiner Zeit, aber wir haben ihm den schmerzhaften Zahn gezogen.

Dass sich jetzt einige darüber erregen, ist auch in Ordnung vom psychoanalytischen Standpunkt aus, die Bauchgefühle müssen raus, die Phantomschmerzen ebenfalls.

Das lassen aber Einige nicht gelten, Alessandro Urzì etwa will sogar klagen, weil am Denkmal etwas verändert wurde, aber auch von deutschsprachiger Seite kommen Proteste, stören Sie solche Aktionen?

Nein, der Widerstand der Rechten, egal von welcher Sprachgruppe, ist für mich die Bestätigung, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben. Dass sich jetzt einige darüber erregen, ist auch in Ordnung vom psychoanalytischen Standpunkt aus, die Bauchgefühle müssen raus, die Phantomschmerzen ebenfalls. Erkenntnis kann man nicht verordnen, aber man kann die Möglichkeit schaffen, Wissen und Informationen zugänglich zu machen. Das haben wir mit dem Dokumentationszentrum getan, wir haben einen Ort des Wissens geschaffen, auch mit einem Augenzwinkern.

Wie sieht dieses Augenzwinkern aus?

Es richtet sich gegen die Humorlosigkeit so vieler derartiger Denkmäler. Diesen historischen Stätten kann man durchaus mit Ironie begegnen, anstatt These mit Antithese zu begleichen und eine nicht endende Diskussion um "historische Wahrheiten" anzuzetteln. Es wird oft ein Missbrauch von Geschichte gemacht, um gegenwärtige Positionen nicht aufgeben zu müssen.

Wie meinen Sie das, den Missbrauch von Geschichte?

Diskussionen um Zeitgeschichte werden oft geführt, um Verlustängste zu bannen. Das sehe ich immer wieder in solchen Debatten, auch hier auf salto.bz. Man klammert sich konfrontativ an die eigene Position, argumentiert vielleicht mit überholten und unreflektierten Thesen, weil sich sonst Verlustängste einstellen und Feinbilder verloren gehen. Das sind Schutzmechanismen und für einen Historiker unerträglich, denn die Geschichte schreitet in jedem Fall weiter und muss vom gegenwärtigen Standpunkt aus reflektiert werden.

Die Eröffnung des Dokumentationszentrums ist eine Zäsur, aber auch ein Start, wofür?

Jetzt beginnt die eigentliche politische Arbeit, mit Diskussionen, mit Veranstaltungen, die das Thema beleuchten sollen. Wir haben auch bereits den Auftrag, den Gerichtsplatz umzugestalten, mit derselben Kommission und der dramaturgischen Umsetzung. Die Aufarbeitung geht also definitiv weiter.