Chronik | Verfassungsreferendum

Stolpert Renzi über den Zentralismus?

Das herbstliche Referendum bringt Renzi zum Schwitzen. Gerade aus den nördlichen Regionen bläst kalte Bergluft.

Mit ein bissel Föderalismus hätte sich Renzi den Wohlwollen des Alpenbogens sichern können. Hat er aber (noch) nicht. Seitdem Renzi sein politisches Schicksal an das herbstliche Referendum gebunden hatte, war abzuzusehen, dass die rechte politische Landschaft ihre Chance wittert und auch nutzen will. In den von der Lega dominierten Regionen Lombardei und Venetien ist da für Renzi kein Heimspiel zu erwarten.

Im Gegenteil, Maroni und Zaia nehmen den Ministerpräsidenten mächtig in den Schwitzkasten. So sandten die beiden diese Woche ein als Ultimatum gewertetes Schreiben nach Rom, zur Kenntnis auch an den Staatspräsidenten Mattarella und den Regionenminister Costa, in dem sie fordern, dass gleichzeitig mit dem Referendum über die Verfassungsreform in Lombardei und Venetien auch ein Referendum über weitreichende Autonomie der beiden Regionen abgehalten wird. Ein cleverer Schachzug, zeigen die beiden damit auf die klaffende Wunde der allzu zentralistischen Ausrichtung der Verfassungsreform. Ob es in Renzis Macht steht, das Autonomiereferendum komplett zu verhindern, müsste sich erst noch weisen.

Lehnt Renzi ab, wird er mit massiven Gegenstimmen für sein Anliegen rechnen müssen. Will er die beiden Abstimmungen zeitlich trennen, so muss er, der er sich der Sanierung der Staatsfinanzen verschrieben hat, sich die Verschwendung von knapp zwanzig Millionen Euro vorrechnen lassen. So viel kostet ein Urnengang angeblich. Stimmt Renzi aber zu, werden beide Referenden am „Election Day“ mit hoher Wahlbeteiligung rechnen können. Den Demokraten freut’s, den Taktiker allerdings weniger. Für die Gunst der beiden Regionen, müsste er wohl so einige Zugeständnisse wenigstens versprechen.

Den beiden Regionen ein paar autonome Zugeständnisse zu machen sollte niemanden irgendwelche Steine aus der Krone brechen. Renzi und seine Mannschaft driften aber von der Rolle der Gestalter in die Rolle der Getriebenen ab. Dabei hatten sie doch ein gute Weile Zeit, dem schon lange andauernden Bellen aus dem Norden etwas Konstruktives entgegenzusetzen. Die unter Monti beschlossene, unter Letta begonnenen Delrio-Regionalreform wurde zwar unter Renzi vollzogen, Porzellan und Tafelsilber der Provinzen zerschlagen. Die versprochene, neue Gestaltung der Lokalverwaltungen liegt aber als mittlerweile leere Versprechungen angesehen in irgend einer Schublade. Priorität B eben, in der politischen Agenda dieser ereignisreichen Zeiten. Nur wird das Verfassungsreferendum die Abschaffung der Provinzen endgültig besiegeln.

Mit „Ja“ zu stimmen, wird von vielen in unseren Nachbarprovinzen so interpretiert, wie das eigene Schicksal total aus der Hand zu geben und in die Hände deren zu legen, in die man schon lange das Vertrauen verloren hat. So hat nun auch Luca Della Bitta, Präsident der Provinz Sondrio, ein Komitee mitgegründet, um breit für ein Nein gegen das Verfassungsreferendum im Veltlin zu mobilisieren, unterstützt von Parlamentarier Jonny Crosio: „Darò il mio contributo per spiegare i contenuti di una riforma dalla quale noi valtellinesi abbiamo tutto da perdere e nulla da guadagnare“.

Es ist aber keineswegs nur eine Schlacht zwischen politischen Lagern. Auch die belluneser Autonomisten, die bei den Regionalwahlen letztes Jahr den PD unterstützten, lassen keinen Zweifel aufkommen: „Le nostre posizioni sono chiare: no al referendum sulla riforma costituzionale, che non dà garanzie a Belluno, e sì a quello dell’autonomia veneta”. Wobei die frischgewählte BARD-Präsidentin Alessandra Buzzo in einem offenen Brief sich direkt an Gianclaudio Bressa wendet, in rhetorischer Hoffnung, dass der PD doch noch die - von Bressa persönlich - unterschriebenen Verträge  zum Erhalt der Provinz einhalten möge.

In caso di impossibilità nel rispettare l’accordo, correttezza chiede di dichiararlo pubblicamente, almeno come presa d’atto non solo per noi, ma per tutti i bellunesi. Siamo alla vigilia di un referendum costituzionale che potrebbe togliere ogni speranza di autonomia per la nostra terra, eliminando definitivamente la nostra Provincia e lasciandoci l’incerta tutela dell’art. 40 punto 4, dove concretamente non si nomina nemmeno Belluno e non si fa nessun riferimento ad una nostra qualsiasi dignità istituzionale. Questo è il momento dunque di dare attuazione e concretezza all’impegno preso un anno fa, oppure dichiarare l’impossibilità – o la mancata volontà – del suo rispetto.

Auch Arno Kompatscher, der stets Renzis Handschlagsqualtiäten betont, wird derweil in seinen Formulierungen vorsichtiger:

Il mio partito non ha ancora deciso se sostenere il sì o il no al referendum. L'impostazione centralista della riforma ci preoccupa, ma se ci saranno adeguate garanzie per la nostra autonomia, l'approvazione della riforma potrebbe rappresentare per noi anche un'opportunità.

Renzi wird beim Referendum um jede Stimme kämpfen müssen. Aus dem rechten Lager werden sie nicht kommen, aber entlang des Alpenbogens wären einige gar leicht zu schöpfen. Es ist wohl zu spät, bis Herbst irgend ein Komma in der Reform im föderalen Sinne abzuändern. Aber es ist noch nicht zu spät, ein paar neue Versprechungen, eine Vision, eine Roadmap vorzulegen. Einen Strohhalm wenigstens. Schließlich wissen die Wähler, dass Italien bei einem gescheiterten Referendum, bei einer gescheiterten Regierung viel zu verlieren hat.

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gianluca rossi Fr., 22.07.2016 - 09:37

A Belluno il PD da mesi si spende per spiegarci la bontà della riforma, che finalmente dovrebbe sancire in costituzione la specificità delle cosiddette aree vaste montane ordinarie... ma, impressione personale, i primi ad esserne poco convinti sembrano gli stessi rappresentanti locali di quel partito. Gli incontri fin qui tenuti con la popolazione non sono stati propriamente "affollati" (ad esser gentili) e quello previsto nel capoluogo per lo scorso 2 luglio in cui si doveva presentare la cosidetta "Carta di Belluno" (ancora carta straccia come il patto elettorale col Bard?) è stato addirittura rinviato a data da destinarsi per "improvvisi impegni personali e professionali dei relatori"... Credo ormai sia troppo tardi per proporre una revisione della riforma in senso federale... e alle promesse del PD, e non lo dico a cuor leggero, ormai non crede più nessuno... almeno qui.

Fr., 22.07.2016 - 09:37 Permalink
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Karl Trojer Sa., 23.07.2016 - 12:22

Meine Meinung zum Verfassungs-Referendum und Renzi ist folgende :
- seit Jahrzehnten quält sich jede Regierung Italiens mit dem paritätischen Zweikammernsystem (einmalig in Europa), bei dem, z.B. für eine Gesetzesgenehmigung, die Abgeordnetenkammer und der Senat gleichermaßen zustimmen müssen;
- dieses System durch eine starke, von den Bürgern gewählte Abgeordnetenkammer zu ersetzen, wo der Senat im wesentlichen zu einem Rat der Länder und großen Städte wird (ähnlich dem Bundesrat der BRD, der auch nicht von den Bürgern direkt gewählt wird), erscheint mir vorrangig vor allen anderen Fragen und Problemlösungen zu sein;
- der von beiden Kammern bereits genehmigte Text dieser Verfassungsänderung mag noch so unvollkommen sein, ein besserer, überarbeiteter Text hätte keine Chance im Parlament nochmals die erforderlichen Mehrheiten zu erhalten;
- andere Gesetze, wie z.B. das Wahlgesetz, können auch in einer nachfolgenden, späteren Phase neu eingebracht werden;
- dass Renzi das Abstimmungsergebnis des Referendums über diese Verfassungsreform mit der Weiterführung seines Amtes als Ministerpräsident verknüpft, kann ich verstehen und dem zustimmen, da mit dem paritätischen Zweikammersystem endlich Schluss sein muss, um erfolgreich weiterregieren zu können.
- eine Alternative zur Renzi-Regierung sehe ich derzeit nicht; Italien würde ins Chaos fallen und die derzeitigen so absurd vereinten Gegener Renzi´s könnten, zum großen Schaden Italiens, einen Scherbenhaufen ähnlich dem, den Brexit in Großbritanien angerichtet hat und mit dem Austritt von Schottland ecc. noch anrichten wird, ernten.

Sa., 23.07.2016 - 12:22 Permalink
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Benno Kusstatscher Sa., 23.07.2016 - 14:15

Antwort auf von Karl Trojer

Das mag ja alles stimmen und etwas besseres ist wirklich nicht in Sicht. Bei aller Halbherzigkeit der Reformen kann ein Scheitern Renzis im Herbst kaum im allgemeinen Interesse sein. Nichtsdestotrotz muss er und seine Mannschaft es verantworten, unsere unmittelbaren Nachbarprovinzen ins totale Chaos gestürzt zu haben, wobei gerade die das Potential gehabt hätten, den Karren mit aus dem Dreck zu ziehen. Die zögerliche, widersprüchliche und schwammige Umsetzung des Delrio-Gesetzes ist schlicht verantwortungslos, noch mehr als das Gesetz an sich visions- und hoffnungslos war. Ich bin mit Senator Piccoli wirklich selten einer Meinung, aber diesmal schon: Wennschon irgend jemand das mit der Sonderstellung der Bergprovinzen ernst gemeint haben sollte, dann gehört das nirgendwo anders verbrieft als im überarbeiteten Artikel V. Wir stimmen im Herbst aber auch über einen Artikel V ab, der außer Unsicherheit und schlechter Vorahnung den Bürgern wenig zu bieten hat.

Wie üblich ist das Stimmgewicht der Bergprovinzen unterhalb des Radarkegels, aber diesmal könnten sie das Zünglein auf der Waage sein. Es würde sich für Renzi also lohnen, sich da noch ein bissel anzustrengen.

http://www.bellunopress.it/#category/26/article/79380

http://www.bellunopress.it/#category/26/article/79366

Sa., 23.07.2016 - 14:15 Permalink
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Thomas Benedikter So., 24.07.2016 - 19:24

Sehr aufschlussreich, Benno, vielen Dank. Der föderalistische (eigentlich nur regionenfreundliche) Strohhalm für die Lombardei und Venetien wäre die Zustimmung zur Abhaltung von deren regionalen Volksabstimmungen, für die Provinz Belluno eine Ausnahmebestimmung bezüglich der Abschaffung der Provinzen. Und für Südtirol? Der Strohhalm bzw. ein ausreichender Grund, für diese zentralisierende Verfassungsreform zu stimmen, kann doch nicht nur die Schutzklausel sein. Diese Reform für Südtirol und die übrigen autonomen Regionen aufs Eis zu legen, gibt noch keine Garantie dafür, dass unsere Autonomie ausgebaut werden kann. Die SVP hat es versäumt, ihre Zustimmung zur Verfassungsreform an die gleichzeitige Verabschiedung des Verfassungsgesetzentwurfs Nr.32 vom 15.3.2013 ihrer Senatoren Zeller und Berger zu knüpfen. Dann wären wir tatsächlich einen Schritt weiter.

So., 24.07.2016 - 19:24 Permalink
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Benno Kusstatscher So., 24.07.2016 - 22:57

Antwort auf von Thomas Benedikter

Südtirol steht genauso mit vielen offenen Fragezeichen da, wobei die Schutzklausel mehr Beruhigungspille als Weichenstellung ist. Ich will das DDL 32 inhaltlich bestimmt nicht madig reden, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass es diplomatisch keine Glanzleistung war. Nicht einmal Einstimmigkeit mit dem Trentino hatte man sich erarbeitet. Zum damaligen Zeitpunkt hätte man eine globalere Lösung präsentieren können, anstatt nur die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Damit hätte man Rom einen Riesengefallen gemacht und die Zustimmungswahrscheinlichkeit wesentlich verbessert.

Ddl:
http://parlamento17.openpolis.it/atto/documento/id/6180/sf_highlight/Dd…

So., 24.07.2016 - 22:57 Permalink
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alfred frei Mo., 25.07.2016 - 13:50

Mehr als über den Zentralismus stolpert Renzi über sich selbst. Und über den Versuch sich auf eine Reformbewegung gegen die unmittelbaren Interessen der Bürger zu stützen. Mit der Abstimmung zum Referendum erfindet er zudem eine neue Art der Selbtverschrottung. Wenigstens mit dieser sollte er Erfolg haben. E sei ihm gegönnt.

Mo., 25.07.2016 - 13:50 Permalink
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Salto User
Günther Alois … Fr., 12.08.2016 - 17:11

Herr Landeshauptmann,wo sehen sie bei Renzi "Handschlagsqualitäten"??????
Ich habe noch keine bemerkt, eher talentlose "Schönredenqualitäten" aber zweiteres praktiziert ihr als SVPD ja auch zur Genüge!

Fr., 12.08.2016 - 17:11 Permalink