Umwelt | Pläne

Licht am Ende des Tunnels?

Landesregierung gibt Ok für das Einvernehmensprotokoll zum Stilfserjoch. Theiner: "Tunnel ja, aber nur Eisenbahn." Umweltschützer warnen vor "katastrophalen Folgen".

Als einziger fehlte der Beschluss Nr. 849 nach der letzten Sitzung der Landesregierung auf deren Homepage. Es ist Brauch und eigentlich gesetzlich vorgeschrieben, dass dort die Entscheidungen der Landesregierung veröffentlicht werden. Doch von den 17 am Dienstag gefassten Beschlüssen wurden nur 16 zur Einsicht online gestellt. Nicht dabei jener mit dem Titel “Einvernehmensprotokoll mit der Region Lombardei für die Aufwertung des Gebiets des Stilfser Joches”. Bekanntlich wird Landeshauptmann Arno Kompatscher am 27. Juli gemeinsam mit dem Präsidenten der Region Lombardei Roberto Maroni am Stilfser Joch dieses Einvernehmensprotokoll unterzeichnen. Nun hat er das Ok von der Landesregierung bekommen. Für 11 Uhr ist der Termin am kommenden Montag angesetzt. Delikates Detail: Im Protokoll vorgesehen ist die Durchführung einer Machbarkeitsstudie für einen Tunnel unter dem Stilfser Joch. In einem angehängten technischen Datenblatt ist ausdrücklich von einem Straßentunnel (“realizzazione di un traforo dello Stelvio di tipo stradale”) die Rede, der unter dem Naturpark durchführen soll.

Dieses Detail hatte bereits vor einigen Tagen den Grünen Landtagsabgeordneten Riccardo Dello Sbarba auf den Plan gerufen. Entgegen den Behauptungen von Umweltlandesrat Richard Theiner, man ziele auf den Bau eines Eisenbahntunnels ab, sei die Sache klar. “Dass die Lombardei ganz konkret auf die Realisierung einer Straßenverbindung baut, zeigt auch der Vorschlag des ‘Regionalen Mobilitäts- und Transportprogramms’, das Präsident Maroni ausgearbeitet hat”, so Dello Sbarba. Der “Stilfser Tunnel” sei in dem Programm unter den Straßenprojekten aufgelistet, die noch zur Prüfung ausstehen. Bei der Aufzählung der Schienenprojekte finde der Tunnel hingegen keine Erwähnung, präzisiert der Landtagsabgeordnete. Seine Forderung: “Landeshauptmann Kompatscher soll fordern, dass aus dem Protokoll, das er am 27. Juli mit Maroni unterschreiben wird, die ‘technische Erläuterung’, die den Straßentunnel vorsieht, gestrichen wird.” Ob dies nun der Fall ist, weiß man derzeit nicht.

Die Pläne Roberto Maronis: Links oben zeigt die gelb gepunktete Linie den angedachten Tunnel unter dem Stilfserjoch an, ein "intervento da approfondire".


Theiner: “Für uns ist nur ein Eisenbahntunnel vorstellbar”

Denn das Dokument, mit dem die Landesregierung Arno Kompatscher zur Unterzeichnung des Protokolls befähigt, ist wie gesagt unter Verschluss. Bis es möglich sein wird, den Beschluss Nr. 849 einzusehen, wird man sich auf die Worte vom zuständigen Landesrat Theiner verlassen müssen: “Wir haben das Einvernehmensprotokoll genehmigt. Und was den Tunnel betrifft, haben wir ausdrücklich angeführt, dass auch wir, gleich wie die Region Lombardei, für eine ganzjährig befahrbare Verbindung sind. Aber nur auf der Schiene.”  Eine Straßentrasse ist für Theiner nicht mit dem erklärten Ziel der Provinz Bozen vereinbar, für eine Verbesserung der Umweltqualität des Stilfserjoch-Gebietes zu sorgen. Außerdem habe sich die Vinschger SVP einstimmig für eine Eisenbahnverbindung ausgesprochen.


Was würde so ein Tunnel bringen?

Doch aus welchem Grund verwehrt man den Bürgern den Einblick in den Beschluss? Warum kann sich nicht ein jeder selbst davon überzeugen, dass die Landesregierung tatsächlich “für einen Tunnel, aber nur mit einer Schienenverbindung” ist, wie Theiner betont? Die fehlende Transparenz wird unter anderem vom Movimento 5Stelle kritisiert: “Wenn es um Projekte geht, die das Territorium grundlegend verändern sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass die Verwalter die Bürger miteinbeziehen und Entscheidungen transparent treffen. Dies ist hier aber nicht der Fall, ganz im Gegenteil!” So schreiben die Fünf-Sterne-Vertreter am Mittwoch Nachmittag in einer Aussendung.

Die Landesregierung sei nicht einmal imstande zu erklären, ob es sich um einen Auto- oder Zugtunnel handelt. Außerdem sei der Tunnel unterhalb des Stilfserjochs sowieso eine “falsch gesetzte Priorität”. “Wenn es um das Thema Mobilität geht, hört man immer wieder, dass es für bestimmte Projekte kein Geld gibt”, so die Kritik der Grillini. “Hier allerdings sieht ein Gesetzesvorschlag vor, dass öffentliche Gelder einem bestimmten Haushaltskapital zugeordnet werden (in unserem Fall handelt es sich um den Fond für Grenzgemeinden).” Sie zweifeln den Nutzen des Projekts an und fragen sich, ob es nicht besser wäre, Techniker zu Rate zu ziehen, die im Vorfeld der Machbarkeitsstudie eine Nutzenanalyse des Projekts durchführen. Sie erinnern: “Im Jahr 2001 wurde von der Gemeinde Bormio eine Studie zur Machbarkeit eines Straßentunnels durchgeführt, die 70 Millionen Lire kostete. Daraufhin hat man sich dazu entschlossen, das Projekt zu verwerfen.”

In der Kritik stehen also sowohl Sinnhaftigkeit, Realisierbarkeit als auch Umweltverträglichkeit eines eventuellen Tunnels zwischen dem lombardischen Veltlin-Tal und dem Vinschgau sowie dem schweizerischen Münstertal. Doch in erster Linie kritisieren Grüne und 5Sterne-Bewegung, aber auch der Bürgermeister der Gemeinde Stilfs selbst die fehlende Transparenz. “Ich weiß nicht, was da am 27. Juli genau unterschrieben wird”, gestand Hartwig Tschenett vor einigen Tagen. Vier Tage vor der Unterzeichnung weiß man es immer noch nicht. Die Erklärung, warum der mysteriöse Beschluss Nr. 849 nicht im Netz veröffentlicht wurde: Aufgrund der Position der Landesregierung, dass man sich nur für einen Eisenbahntunnel vorstellen könne, seien Änderungen am ursprünglichen Text des Einvernehmensprotokolls notwendig geworden. Und daher sei das kurzfristig überarbeitete Dokument einfach aus technischen Gründen nicht online gestellt worden. Man wird wohl also bis Montag abwarten müssen, um in Erfahrung zu bringen, was da nun wirklich unterschrieben wird.


“Schiene vor Straße”

Mittlerweile sind auch die Umweltschützer alarmiert. Am Donnerstag Vormittag erreicht die Medien ein Offener Brief. Eva Prantl, die Vorsitzende der Umweltgruppe Vinschgau und Klauspeter Dissinger, Vorsitzender des Dachverbands für Natur und Umwelt, wenden sich an Arno Kompatscher persönlich. Eindringlich ihr Appell:

Sehr geehrter Landeshauptmann Dr. Arno Kompatscher,

am morgigen Freitag (tatsächlich wird das Protokoll am Montag, 27. Juli unterschrieben, Anm. d. Red.) werden Sie mit dem Präsidenten der Region Lombardei ein Einvernehmensprotokoll unterzeichnen, welches laut mehrerer Medienmeldungen auch den Passus zur Realisierung eines Straßentunnels unterhalb des Stilfser Joches zur ganzjährigen Verbindung des oberen Vinschgaues mit dem Veltlin enthält. Die Umweltschutzgruppe Vinschgau und der Dachverband für Natur- und Umweltschutz ersuchen Sie dringlichst, diesen Punkt bei der Unterzeichnung auszuklammern. Die beiden Organisationen sprechen sich nicht gegen eine Verbindung der beiden Alpentäler aus. Eine Tunnellösung für den Straßenverkehr lehnen wir jedoch aus mehreren Gründen ab:

  • „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“ Gerade für den Vinschgau ist ein Anstieg des Straßenverkehrs und insbesondere des Transitverkehrs als äußerst negativ zu beurteilen. Lokale Wirtschaft, Tourismus und Landwirtschaft würden nicht profitieren, die lokale Bevölkerung durch Lärm, Abgase und erhöhtes Verkehrsaufkommen unnötig belastet.

  • Ein Straßendurchstrich unter dem Stilfser Joch bedeutet ein Wiederaufleben des Ulm-Mailand-Projektes. Insbesondere für den alpenquerenden Schwerverkehr wäre eine solche Route plötzlich interessant. Ein enormer Anstieg des Schwerverkehrs im oberen Vinschgau wäre die katastrophale Folge.

Dabei gibt es Mobilitätslösungen, die sich für den betroffenen Raum durchaus anbieten und neben kurzfristigen Investitionsvorteilen auch langfristig positive Auswirkungen auf den Lebens- und Wirtschaftsraum Vinschgau und darüber hinaus haben können:

  • Der überwältigende Erfolg der Vinschger Bahn gibt im Prinzip schon die Richtung der Mobilitätsentwicklung vor. Eine Verbindung nach Bormio sollte nur mittels Schiene erfolgen, wobei die Frage nach der Anbindung an das bestehende Schienennetz im Vinschgau zu klären ist.

  • Für eine sinnvolle Realisierung einer Schienenverbindung ins Veltlin muss auf südlicher Seite jedoch parallel dazu die Bahn-Achse Tirano-Bormio ausgebaut werden, ohne die eine Verbindung ins Veltlin ohnehin wenig Sinn ergäbe.

  • Prioritär für den Vinschgau und für Südtirol ist und bleibt aber die direkte Anbindung an die Rhätische Bahn. Diese Verbindung wäre ein Quantensprung in der Erreichbarkeit Südtirols mit einer direkten Bahnanbindung an die gesamte Schweiz, einem überaus Bahn-affinen Land und einem interessanten, kapitalstarken, touristischen Markt für Südtirol.

  • Darüber hinaus wäre durch eine solche Verbindung plötzlich Westeuropa mit attraktiven Fahrtzeiten zu erreichen. Paris und Frankfurt in jeweils sieben Stunden, um nur zwei Beispiele zu nennen. In diesem Sektor liegt die zukünftige Erreichbarkeit Südtirols.

Bevor jedoch Entscheidungen auf politischer Ebene, auch in Form eines Einvernehmensprotokolls, getroffen werden, ist nach unserem Dafürhalten jedenfalls die Bevölkerung im Vorfeld transparent, detailliert und ausgewogen über das Projekt sowie dessen Vor- und Nachteile zu informieren. Unerlässlich ist es, diese in den Entscheidungsprozess mit einzubinden. Daher ersuchen die schreibenden Verbände Sie mit Nachdruck auf eine einstweilige Streichung des Straßentunnel-Projektes aus dem Einvernehmensprotokoll und die gleichzeitige Lancierung eines partizipativen Prozesses zur Entwicklung der besten Mobilitätslösungen für den Vinschgau und mit den Vinschgern.