Politik | Österreich-Wahl

Hat das „gute“ Österreich gesiegt?

Ist das Land jetzt polarisiert, gespalten oder gar zerrissen? Klar ist, dass es mannigfaltige Brüche und Bruchlinien in der österreichischen Gesellschaft gibt.

Ja, das gute Österreich hat gesiegt. Es hat verhindert, dass Österreich das erste Land Westeuropas mit einem stramm rechten, national-populistischen Präsidenten wird. Doch es ist ein erschreckend knapper Sieg: 50,3 %. Und bedeutend gewonnen haben auch Hofer und seine FPÖ. Die Hälfte der Wähler hat immerhin für einen Kandidaten gestimmt, der zwar höflich lächelnd auftrat, der aber unmissverständlich klar machte, dass er durch und durch ein FPÖ-Mann ist. Bei den Parlamentswahlen 2013 erhielt die FPÖ 20 %, bei Regionalwahlen und den Umfragen kletterte sie seither auf über 30 %, aber 49,7 % - das war bis vor ein paar Wochen undenkbar. Das heißt nicht, dass alle diese Wähler jetzt FPÖ-Anhänger wären, ebenso wenig wie die Van-der-Bellen-Wähler alle zu Grünen geworden sind. Es gab ja in der Stichwahl nur mehr diese zwei Möglichkeiten.

Einen beträchtlichen Teil seiner Stimmen erhielt Van der Bellen von Menschen mit den verschiedensten politischen Einstellungen und Affinitäten, um einen Blauen an der Spitze des Staates in der Hofburg zu verhindern. Ein ebenso beträchtlicher Teil der Hoferwähler gab diesem die Stimme nicht weil, sondern obwohl er FPÖ-Mann ist. Und das geschah nicht mit zugehaltener Nase. Man wollte bewusst gegen die jahrzehntelange Vorherrschaft der ehemaligen Volksparteien SPÖ und ÖVP aufzeigen und eine Hofer-Stimme war dazu besser geeignet. Besser geeignet, den Frust über die Arbeitslosigkeit, die Verschlechterung der Lebensbedingungen, den scheinbar nicht mehr kontrollierbaren Strom von Migranten und Flüchtlingen hinauszuschreien und „denen da oben“ eine Lektion zu erteilen. Aber machen wir uns nichts vor. Die Hoferwähler fühlen sich auch von dessen Parolen und Forderungen angesprochen, haben auch dafür gestimmt: Österreich und Österreicher zuerst, Grenzen dicht, mehr Polizei, strengere Gesetze, unfähige und vom Volk abgehobene Politiker verjagen – eine starke Hand muss her, damit wieder Ordnung herrscht.

Wer hat für wen gestimmt?

Ist das Land jetzt polarisiert, in zwei Hälften gespalten oder gar zerrissen? Oder ist das eine durch die harschen Wahlkampftöne geprägte Überzeichnung? Darüber diskutieren jetzt Experten und Kommentatoren. Auch sie recht erhitzt. Ob polarisiert oder zerrissen, klar ist, dass es mannigfaltige Brüche und Bruchlinien in der österreichischen Gesellschaft gibt, wie im übrigen Europa. Das zeigt die aus Nachwahlbefragungen hervorgegangene Analyse der Frage „Wer hat für wen gestimmt?“. Für Van der Bellen hat eine klare bis überragende Mehrheit der Menschen in den Städten gewählt, Hofer punktete weitflächig in den kleineren Gemeinden am Land. Weitere Bruchlinien sind Einkommen und Bildung. Arbeiter und Geringqualifizierte haben mehrheitlich Hofer gewählt, Wähler mit gehobener Bildung und guter Berufsausbildung Van der Bellen. Deutlich mehr Frauen haben für Van der Bellen gestimmt, die Männer – besonders aus einfacheren Schichten – mehrheitlich für Hofer.

Stark vereinfacht könnte man sagen: Menschen mit guter Bildung, gutem Job oder Jobaussichten und mit gutem Einkommen, die ja auch mehrheitlich in den Städten leben, sind mit ihrer Lebenssituation zufriedener, spüren die Krise weniger und sehen ihre Zukunft optimistischer. Menschen mit schlechterer Bildung, schlechteren oder keinen Jobs, niedrigerem Einkommen erleben viel stärkere soziale Unzufriedenheit, leiden stärker unter der sozialen Ungleichheit, haben selbst als Teil des unteren Mittelstandes große Ängste vor dem Abstieg. Die üblichen Schlagworte dafür lauten: Modernisierungsverlierer, bzw. –gewinner.

Gräben zuschütten

Diese gesellschaftlichen Gräben und Brüche kann natürlich kein noch so guter, beliebter, aktiver oder autoritärer Staatspräsident zuschütten oder beseitigen. Dazu braucht es eine neue, entschlossene Politik der Regierung. Alexander Van der Bellen hat in seiner ersten Rede versprochen, der Präsident „aller in Österreich lebenden Menschen“ – also nicht nur aller Staatsbürger – zu sein. Er will auf die Menschen zugehen, ihre Sorgen ernst nehmen und die Rückkehr zum respektvollen Dialog fördern. Das wird er auch gut können. Außerdem will er auf die Regierung Druck ausüben, damit sie die großen brennenden Probleme zügig angehe.

Dafür stehen die Zeichen sicherlich besser als unter einem Präsidenten Hofer. Denn schon das Erdbeben beim ersten Wahlgang vor vier Wochen hat zur Bestellung des neuen, dynamischen Regierungschefs Christian Kern und zur Auswechselung mehrerer Minister geführt. Und Kerns Frau war im Wahlkampf im Unterstützungskomitee für Van der Bellen. Das sollte eine enge Zusammenarbeit der beiden neuen, starken Männer in Wien eigentlich garantieren.