Umwelt | Mals

Schlechte Presse

Im Land selbst mag es still geworden sein um die Malser. Rund um Südtirol reißen die Berichte über den Apfelkrieg in Südtirol nicht ab. Können wir uns das leisten?
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Foto: Salto.bz

Da gibt es zum Beispiel den SWR2, das Kulturprogramm des deutschen Südwestrundfunks. Am vergangenen Dienstag brachte der Qualitätssender mit einer durchschnittlichen Reichweite von 320.000 Hörerinnen und Hörern in seiner morgendlichen Wissensendung einen halbstündigen Beitrag über den „Apfelkrieg in Südtirol“. Die Protagonisten der um Ausgewogenheit bemühten Sendung sind auch aus der lokalen Berichterstattung rund um den Malser Pestizidkampf bestens bekannt: Biobauern wie Günther Wallnöfer oder Alexander Agethle, der legendäre Malser Apotheker Johannes Fragener-Unterpertinger oder Bürgermeister Ulrich Veith. Auch die Gegenseite ist vertreten, mit dem Vinschger Bauernbund-Bezirksobmann Raimund Prugger , konventionellen Obstbauern oder Landesrat Arnold Schuler, dessen Definition des Integrierten Obstanbaus als „Bio light“ im Text zitiert wird. Doch die Frage ist, ob bei den deutschen KonsumentInnen nicht eher Passagen wie diese hängen bleiben.

„Mit Sprühnebel, der von Zeit zu Zeit aus Apfelplantagen aufsteigt, müssen sich nun auch Feriengäste in der Gegend um Mals abfinden. Bislang galt die Natur in dieser Ecke des Vinschgau noch als einigermaßen intakt, im Gegensatz zu anderen Landstrichen Südtirols, wo seit Jahrzehnten intensiv Äpfel angebaut werden. Dort kommen während einer Saison in einer Obstanlage mitunter an die 20 mal und öfter Produkte der Agrochemie zum Einsatz. Pestizide und ihre Rückstände stehen im Verdacht, krebserregend zu sein und das Erbgut zu schädigen. Außerdem werden sie mit einer Reihe chronischer Erkrankungen in Verbindung gebracht. Diesen Vorwurf erheben auch namhafte Pharmakologen, Behörden der EU und der Weltgesundheits-Organisation der Vereinten Nationen.“

„Mals ist überall“ ist dagegen eine 6-seitiger Artikel mit ähnlichem Zuschnitt des Magazins „A tempo“ übertitelt, das dem Kundenmagazin der Drogeriemarktkette DM beigelegt ist. „Ein Bio-Bauer, der seinen Grund verlassen muss, weil sein neuer Nachbar Gift gespritzt hat – so was darf man doch nicht zulassen“, wird da in der August-Ausgabe etwas Hollawint-Aktivistin Martina Hellrigl zitiert. Auch der Autor selbst beschreibt, wie sich der „vom Winde verwehte feine Gift-Sprühnebel auf Kinderspielplätzen, Schulhöfen, in Hausgärten und nicht zuletzt auf den Acker-,Wiese- und Weideflächen  der einheimischen Bauern dauerhaft und „nachhaltig“ niederschlägt. Zugänglich allen DM-KundInnen in Österreich und Deutschland – in einer Auflage von mehr als einer Million Stück.  

Für eine Region, die daran arbeitet, zum begehrteste Lebensraum Europas zu werden, sind solche Berichte – gelinde gesagt – äußerst kontraproduktiv. Für das größte geschlossene Apfelanbaugebiet Europas, das mehr als eine Million Tonnen Äpfel an Mann und Frau bringen muss, eine mittlere Katastrophe. Vor allem, weil es sich dabei nicht um einzelne Ausreißer handelt. So sehr die Malser Pestizidgegner im eigenen Land als Störenfriede irritieren, so sehr begeistern sie die internationale Presse. „Ein Dorf kämpft gegen die Agrochemie“ – der Titel, unter dem die Neue Zürcher Zeitung im Vorjahr über die pestizidfreie Gemeinde berichtet, sagt schon viel über die Faszination aus, die der Geschichte innewohnt. 

Einen umfangreichen Bericht über Mals brachte auch das US-Öko-Magazin OrganicLife.

Der Aufstand gegen das Establishment und skrupellose Großkonzerne, Zivilcourage und Eigeninitiative im Kampf um Gesundheit und unberührte Natur: Das ist der Stoff, aus dem die meisten Berichte und Reportagen über die modernen Gallier gewoben werden. In Zeiten, in denen Nachhaltigkeit in aller Munde ist, scheint er sowohl in Redaktionen wie beim Publikum zu ziehen. Schließlich springen immer mehr Medien in Stamm- wie Hoffnungsmärkten von Südtiroler Touristikern und der heimischen Lebensmittelindustrie auf die Malser Story auf – von Leitmedien im deutschsprachigen Raum bis zu führenden Ökologie-Zeitschriften in den USA oder dem Ersten Japanischen Fernsehen, das im Oktober eine 90-minütige Dokumentation über den Malser Weg ausstrahlen wird.

Das Wunder von Mals - in elf Folgen

Auch in den Sozialen Medien gibt es neuen Stoff zum Thema: Elf Wochen lang stellt der österreichische Filmemacher und Webprofi Alexander Schiebel seit vergangenen Freitag je eine Folge seines Filmprojekts „Das Wunder von Mals" auf Facebook, YouTube und ins Web. Elf Episoden, die laut Schiebel eine Art Rohschnitt des umfangreichen Materials darstellen, das er in den vergangenen beiden Jahren zum Thema Mals gedreht hat. Für die entsprechende Reichweite will nicht nur Schiebel selbst sorgen, der sich in seiner beruflichen Vergangenheit unter anderem auf Online-Marketing spezialisiert hat. Laut eigenen Angaben wird der Filmemacher dabei auch von Umwelt-Institutionen in Deutschland und Österreich wie dem Umweltinstitut München unterstützt.

Zumindest nach den ersten beiden Tagen ist die erste Episode zwar weit davon entfernt, viral zu werden. Dennoch ist Alexander Schiebel, der mittlerweile mit seiner Familie nach Mals gezogen ist, um näher am Geschehen zu sein, eine wichtige Stimme mehr, die am Image des Genusslandes kratzt. „Man sollte sich ernsthaft überlegen, weiter Südtiroler Äpfel zu kaufen“, schreibt etwa ein Innsbrucker auf Schiebels Facebook-Timeline. „Ganz zu schweigen von Kirschen, Marillen oder Birnen. Es kann mir niemand erklären, dass diese eingesetzte, härteste Chemie nicht doch in den Obstsorten enthalten ist. Danke Alexander Schiebel für diese aufklärerische Arbeit.“

"Manche Gäste bringen sogar die Zeitungsartikel mit" 

Ein interessantes Detail, das auch aus der ersten Episode des „Wunders von Mals“ hervorgeht: Bevor Schiebls Leidenschaft für Mals und die Pestizid-Thematik entbrannte, drehte er auch Filme für die damalige SMG. Thematisch waren diese nicht weit von dem entfernt, was er heute erzählt. Denn auch darin ging es oft Pioniere der Nachhaltigkeit, auf die in der Südtirol-Werbung stark gesetzt wird. Doch bereits seit Schiebel das Logo der Südtirol-Dachmarke kreativ in “Pestizidtirol” umgestaltet hat, ist es für ihn vorbei mit öffentlichen Aufträgen. Offensichtlich ist es für Südtiroler-Vermarkter schwierig, Auftragnehmer zu rechtfertigen, die – wie Schiebel im Trailer für „Wunder von Mals“ – von „Monokultur-Dampfwalzen“ oder „erstaunlichen Gift-Cocktails“ berichten.

Wie lange kann sich der Tourismus- und Lebensmittelproduktionsstandort Südtirol eine solche Presse leisten?  Äußerst entspannt auf solche eine Frage antworten kann Friedrich Steiner vom Bio-Hotel Panorama in Mals. „Zu uns kommen immer wieder Gäste, die aufgrund von Medienberichten auf Mals aufmerksam geworden sind“, erzählt der Pionier, der vor 15 Jahren das erste Biohotel Südtirols gegründet hat. Auch so mancher frühere Stammgast in Partschins oder Naturns komme mittlerweile ins Obervinschgau. „Bio läuft im Gegensatz zu den Anfangsjahren generell sehr gut letzthin“, sagt Hotelier Steiner.  Dennoch trage auch das Malser Image zu seiner aktuellen Spitzen-Auslastung bei.  Und, wie Steiner erzählt: „Manche Gäste bringen die Zeitungsartikel über Mals sogar ganz stolz mit, um sie uns zu zeigen.“