Politik | Gemeinderat

Bozner Circus Maximus

Störungen und Tumulte begleiteten die gestrige Gemeinderatssitzung. Steger: "Beängstigend. Froh, dass wir moderate Mehrheit gefunden haben." Planer: "Es brodelte."

Der Bozner Gemeinderatssaal glich am Donnerstag Abend mehr dem Circus Maximus als einem Ort, an dem demokratisch gewählte Volksvertreter zusammen treten. Die Zuschauertribüne war – wie selten während der regulären Sitzungen – bis auf den letzten Platz besetzt. Ein gutes Zeichen, möchte man meinen. Die Bürger interessieren sich, zeigen den Politikern, dass sie ihrer keineswegs müde sind. Doch der Eindruck täuscht. Es waren nämlich in erster Linie Sympathisanten von Parteien und Bewegungen anwesend, die als weniger demokratisch einzustufen sind. Vor allem die Anhänger der italienischen (extremen) Rechten wie CasaPound und auch der Lega störten immer wieder die Sitzung des Gemeinderats. Laute Zwischenrufe, Applaus und Beschimpfungen in Richtung der Vertreter der neu gefundenen Mehrheit. Angestachelt von den zum Teil populistischen und nationalistischen Sprüchen, die die Oppositionsräte selbst von sich gaben.

Auch auf den Gängen des Rathauses kam es zu tumultartigen Szenen. Die Gemeinderäte der Linken (Margheri, Gallo, De Ratta) wurden von Casapound-, Forza-Italia- und Lega-Nord-Anhängern wüst beschimpft.


Beklemmendes Trauerspiel

Nicht nur wer die Sitzung vor Ort oder über Live-Stream am Computer mitverfolgte, auch unter den Gemeinderäten selbst, herrschte ein beklemmendes Gefühl. “Da war eine Stimmung im Saal, die war für mich selbst nicht nur überraschend, sondern auch beängstigend”, gesteht Dieter Steger (SVP) im Morgengespräch der RAI Südtirol. “Es war ein nationalistisches Getöse und wer da dabei war, der hat gespürt, was da für Emotionen hochkommen und wie instabil die Situation ist.” Auch Tobe Planer (Grüne), der gemeinsam mit Steger zum Morgengespräch erschien, berichtet, wie er die Sitzung erlebt hat: “Es war beängstigend, es hat gebrodelt.” Selbst bekam Planer gemeinsam mit seiner Parteikollegin Cecilia Stefanelli die meisten Angriffe und Beschimpfungen ab. Zwischenrufe wie “Verräter!” oder “Schande!” brachten Gemeinderatspräsident Luis Walcher mehrmals dazu, eine Räumung der Zuschauertribüne anzudrohen.

Auf Facebook machen sich die Politiker der italienischen Rechten Luft. Von oben: Andrea Bonazza (Casapound), Alessandro Urzì (Alto Adige nel Cuore), Alessandro Bertoldi (Forza Italia).

“Ich hätte mir gewünscht, dass viele Menschen dort vor Ort gewesen wären”, erklärt Steger. “Dann würde man oft besser verstehen, wenn Leute wie ich versuchen, moderate Kräfte den Vorzug zu geben. Auch wenn das vielleicht etwas weniger attraktiv ist.” Eine Anspielung auf die in letzter Minute gefundene Mehrheit. Denn bekanntlich waren viele in der SVP gegen eine erneute Regierungskoalition mit den Grünen. Doch die Tumulte am Donnerstag Abend haben zur Einsicht beigetragen: “Man hat gespürt, wie fragil es in unserer Stadt zugeht und wichtig das Zusammenleben ist. Viele meinen, das geht automatisch”, so Steger. Die gestrige Sitzung hat hingegen bewiesen, das dem nicht so ist. “Deshalb bin ich ehrlich gesagt froh, dass es gelungen ist, eine Regierung zustande zu bringen”, gesteht er.


Externe Zustimmung dank Benko

Diese schaut nun folgendermaßen aus: 22 Stimmen hat Spagnolli im Gemeinderat fix. Dazu kommt die technische Unterstützung der zwei Grünen Gemeinderäte von außen. Wie instabil die Mehrheit ist, dessen ist sich Steger bewusst: “Das Erpressungspotenzial ist enorm groß. Die Aussichten für die Regierung sind schwierig. Man wird nun schauen müssen, ob man die Mehrheit stabilisieren kann.” Er selbst werde sich mit allen Mitteln darum bemühen, dass die Stadt fünf Jahre regierbar bleibt. “Ich persönlich bin zuversichtlich”, zeigt sich Steger optimistisch. Nun gelte es, programmatisch mit den Grünen zusammenzuarbeiten und einen gemeinsamen Weg für die kommenden fünf Jahre zu finden.

Etwas vorsichtiger die Worte von Planer: “Wir wollten in erster Linie eine kommissarische Verwaltung verhindern. Unsere technische Unterstützung für die Mehrheit dient dazu, eine demokratische Abstimmung zu Benko zu ermöglichen.” Trotz der unvorhergesehenen Grünen Kehrtwende – am Donnerstag hatten sie bekanntlich mit “Nein” gegen Programm und Regierung des Bürgermeisters gestimmt – ist sich Planer sicher: “So wie sich die Situation von Mittwoch auf Donnerstag verändert hat, bin ich überzeugt, dass wir gut gehandelt haben. Nach dem antidemokratischen Verhalten von Gemeinderätin Pitarelli hat es Gespräche mit dem Bürgermeister gegeben. Und wie gesagt, wir können unsere technische Unterstützung von außen zusagen.”

 

meine heutige Stimmabgabeerklärung im Bozner Gemeinderat zur Bildung der neuen Regierung:"Liebe Kolleginnen und...

Posted by Tobias "Tobe" Planer on Giovedì 25 giugno 2015

Die Causa Pitarelli beschäftig, naturgemäß, auch die SVP. “Falls Anna Pitarelli nicht von selbst zurücktritt, werde ich den Antrag auf ihren Parteiausschluss stellen”, verkündet Dieter Steger im Radiogespräch. “Ihr Verhalten war absolut unkorrekt.” Kaum weniger demokratisch und korrekt waren die Szenen auf den Gängen des Bozner Rathauses. Als die Gemeinderäte der Linksparteien, Guido Margheri, Luigi Gallo und Claudio Della Ratta den Saal verließen, wurden sie von einem wütenden Mob aus Sympathisanten von Casapound, Lega Nord und Forza Italia erwartet. Der römische Circus Maximus lässt wahrlich grüßen.

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veronika dapra Fr., 26.06.2015 - 11:02

Mich erschrecken die wirklich extremen verbalen Entgleisungen des bonazza. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies in einem anderen europäischen Land durchginge. Der steht nicht mit einem Fuß im Schweinetrog, der setzt sich hinein.

Fr., 26.06.2015 - 11:02 Permalink
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heinz herrman Fr., 26.06.2015 - 13:02

Antwort auf von veronika dapra

kann man den nicht verklagen?
gewählte gemeinderäte öffenlich als "puttane" zu bezeichnen - geht das?
hier zitat aus seinem facebook-account:
"Regole e leggi interpretate e adoperate ad uso e consumo di 4 mentecatti pronti a vendersi al primo offerente in barba ai propri "valori" e al proprio elettorato.
Qui non si parla di "mercato delle vacche", qui si parla di puttane e alto tradimento verso i cittadini."

Fr., 26.06.2015 - 13:02 Permalink
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Rita Barbieri Fr., 26.06.2015 - 18:00

"Nach dieser für uns erfreulichen positiven Wortmeldung des Bürgermeisters vor ca. 30min, nach den gestrigen antidemokratischen Vorkommnissen und nach intensiven Beratungen in den Gremien der Verdi Bolzano/Grüne Bozen und Verdi Grüne Vërc Sudtirolo Südtirol Sudtirol sind wir zur Überzeugung gekommen, die Regierungsbildung von aussen "technisch" zu unterstützen. Aus dem alleinigen Grund, die demokratische Abstimmung zum Benko-Projekt im Gemeinderat zu ermöglichen und nicht dem Kommissär zu überlassen. Nichts mehr und nichts weniger."
Das heißt im Klartext, Sie unterstützen den BM nur in und wegen der Causa Benko? Wie weit geht sonst die Unterstützung? Teilen Sie als Grüne uneingeschränkt das volle Programm bzw. schlafen dann weiter wie in der abgelaufenen Amtszeit? Beantworten Sie mir bitte diese Fragen. Danke

Fr., 26.06.2015 - 18:00 Permalink
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Rita Barbieri Sa., 27.06.2015 - 09:29

Der arme Rieder tut mir bald leid. Er verrennt sich bald vollends wie der Mann in der Werbung vom Möbelladen, weil es für ihn tatsächlich nur ein einziges Thema zu geben scheint: BENKO.

Sa., 27.06.2015 - 09:29 Permalink
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Rita Barbieri Sa., 27.06.2015 - 09:33

Der gute Planer soll mal lernen, was antidemokratisches Verhalten eigentlich ist. Dann kann er reden. Mit einer solchen Unterstellung stellt er sich selber bloß. Und wie nennt man das Verhalten seiner Partei jetzt? Wäre gespannt auf eine Antwort.

Sa., 27.06.2015 - 09:33 Permalink