Culture | Reise

Gender Bending & Pussy Power

Ein subjektiver kultureller Rundgang im Frühsommer in Wien

Von Lindenblütenduft getränkte Häuserschluchten unter dramatischen Wolkenformationen. Touristen am Stephansplatz mit Selfie-Sticks für den idealen Schuss mit Fiaker im Hintergrund. Am Praterstern um Mitternacht liegt ein Hingestreckter, jemand hat ihm eine Banane in die Hand gelegt, während die anderen um ihn herum weitertrinken. Wien wirkt friedlich und sanft, an manchen Ecken etwas rauer. So wie immer. Der knappe Wahlsieg von Van der Bellen ist Realität, der Alltagsstrom rollt weiter. Zu gern wollen die Menschen die Augen zumachen und verdrängen, was in den Löchern im Vormarsch ist, verdrängen, dass die Angst immer weiter auf dem Vormarsch ist.
Das Kulturleben rollt auch weiter: glücklicherweise reichhaltig, offenherzig und sich die Angstmacherei nicht bieten lassend – im Gegenteil. Die Szene rennt dagegen an, connected fleißig mit ausländischen KollegInnen und arbeitet rund um die Uhr bis zum Kollaps.

Ein treffendes Motto für mein anstehendes Bad in der Kulturwelt Wiens hat die österreichische Künstlerin Marianne Vlaschits letzte Woche auf ihrer Facebook-Page formuliert: „Was mich einfach nicht mehr interessiert: Ausstellungen, in denen zu 75-100% Männer vertreten sind. Partys, auf denen nur Männer auflegen. Bands mit reiner Männerbesetzung, die über ihre Probleme als Männer singen. Fernsehgespräche, in denen Männer über die schief gelaufene Politik anderer Männer reden. Buchbesprechung von Männern über Büchern männlicher Autoren, die die Welt aus ihrer männlichen Sicht beschreiben.“
Erfreulicherweise wimmelt es von Künstlerinnen, die der Welt ihre Kunst mit einer kräftigen „I don’t give a shit“-Haltung servieren, welche schlussendlich nötig ist, um sich zu positionieren.

Ein Wort für ein Glücksgefühl inmitten der Katastrophe.
Ein Wort für ein Mädchen, das sich wie ein Junge fühlt. Auf der Suche nach der Ablösung der patriarchalen Sprache durch eine andere begibt sich die italienische Performancegruppe Motus mit dem Stück „MDLSX“, das an diesem Wochenende bei den Wiener Festwochen zu sehen war.
Die extrem gut gelaunte Performerin Silvia Calderoni liefert ein 1,5 stündiges Solo, eine Coming of Age und Coming Out-Story, die sich teilweise aus der eigenen Biographie speist und teilweise frei ersonnen ist. Tempo und Rhythmus liefern ihr Körper zusammen mit den mehr als 20 Musiktracks von The Knife, Smashing Pumpkins oder The Smiths. Eine drahtige, von den Beats aufgestochene Kaspar-David-Bowie-Hauser-Figur, die sich frei gemacht hat von den Konventionen, aber auch von den Verletzungen auf dem Weg dorthin berichtet. Nicht geschlechtslos, sondern ihr eigenes Geschlecht erfindend.
 

MDLSX by MOTUS from ALBAMADA on Vimeo.


Im Duett unterwegs sind hingegen Florentina Holzinger und ihr Kumpel Vincent Riebeek, die in „Kein Applaus für Scheiße“ mit allen Wassern gewaschen (im Wortsinn: Pisse und blaue Kotzstrahlen) apokalyptischen Zeiten trotzen, indem sie ein Hohelied auf ihre Freundschaft und ihre Liebe singen, schief und pampig, und dabei ihre Körper in den Ring schicken, ihr Kapital: gestählt vom Boxen und Work-Out, meistern sie jede „Ich-halte-dich-du-hälst-mich-du-lässt-mich-abprallen-ich-rutsch-aus-an-dir-Akrobatik“ sowie eine burleske Seil-Show mit links. Cunt Power at its best: er kriecht zwischen ihre Beine und holt mit dem Mund einen nicht enden wollenden Faden aus ihrem im Spagat geöffneten, unbedeckten Zentrum.

Der nackte Frauenkörper aus der Perspektive der Künstlerin selbst erscheint auch wiederholt in der Arbeit der Israelin Sigalit Landau, die im Rahmen der Festwochen im Künstlerhaus ausstellt. In dem Video aus der Vogelperspektive „DeadSee“ (11:39min, 2005) hängt sie in einer Spirale aus 500 Wassermelonen, die an einem 250 Meter langen Stahlseil aufgezogen worden sind und im Toten Meer treiben – eine Art schwimmendes Floß, das sich langsam aufrollt. Einige der Melonen sind aufgebrochen, ihr rotes Fleisch leuchtet inmitten des grün-türkisen, enigmatischen Bildes. In „Standing on a Watermelon in the Dead Sea“ (5:21min, 2005) versucht die Künstlerin unter Wasser auf einer Melone das Gleichgewicht zu halten. Ein absurder Selbstversuch, der die Schönheit des Körpers auf der Suche nach Herausforderungen ins Licht rückt.

Körper ausradieren, Materie verschwinden lassen: das sind die magischen Fähigkeiten namens „Blitz“ und „Auslöschung“ einer Gruppe von Frauen in Barbi Markovićs Roman „Superheldinnen“ (Residenz Verlag, 2016).
Die aus Belgrad stammende Wahlwienerin hat im Rahmen von „Rund um die Burg“ an diesem Wochenende aus ihrem Buch gelesen. Die Autorin beschreibt darin sich an ihrer Mittellosigkeit abkämpfende Ex-Jugoslawierinnen, niemand mehr wirklich optimistisch, aber gemeinsam stärker, und erzählt von einem Leben in Kneipen, von Kotzteichen auf Treppenaufgängen, die die Tauben als Nahrungsquelle nutzen, und dem ewigen Traum des Aufstiegs in die Mittelklasse.

Wien, you’re wonderful.