Politics | Die "Reformagenda für Südtirol" des SWR und der Handelskammer

Eine "spending review" zu Lasten der sozial Schwächeren

"Wachstumsimpulse" titeln Handelskammer und SWR ihre Sparvorschläge und schicken voraus, dass die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die räumliche und soziale Entwicklung zentrale Kriterien bei den Sparmaßnahmen beim Land zu sein haben. Der Grundtenor ist dann ein anderer: Liberalisierung und Privatisierung, Kürzungen und "Rationalisierung" bei Bildung, Sozialleistungen und Gesundheitswesen, Personalabbau im öffentlichen Dienst.
Note: This article is a community contribution and does not necessarily reflect the opinion of the salto.bz editorial team.
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Foto: Eco Center

Mit "räumlich" könnte man annehmen, dass die Wirkungen von Sparmaßnahmen auf Umwelt- und Landschaft gemeint ist. Doch im Text spart man sich jegliche Überlegung zu diesem Bereich wie überhaupt zu ökologischer Nachhaltigkeit. Die Geringschätzung des Landschaftsschutzes wird dadurch deutlich, dass man die Gutachtertätigkeit für diesen Bereich der Forstbehörde überantworten will. Sparen durch mehr Energieeffizienz, strenge Auflagen zur Nachhaltigkeit bei Subventionen (beim Gastgewerbe absent), durch eine umweltbewusste Verkehrspolitik (kein Wort vom Millionengrab Bozner Flughafen) sucht man in dieser Reformagenda vergeblich. Auch sonst kein Wort von nachhaltiger Energiepolitik, keinerlei Überlegung, welche Art von Wachstum für Südtirol Sinn macht.

Zweites Kriterium: die Auswirkungen auf die soziale Entwicklung. Hier wird die Marschrichtung von SWR/HK schnell klar. Wachstum erwartet man sich durch Einschnitte bei den Sozialleistungen, was im O-Ton eleganter "Überprüfung des Leistungskatalogs" heißt. "Die öffentlichen Bauprojekte (Schulen, Altersheime)", schreiben die Verbände, "haben einen Standard erreicht, der schwer zu rechtfertigen ist" (S.17). Größere Klassengrößen, weniger periphere Schulstandorte, weniger nicht unterrichtendes Personal, Kürzungen der Lehrmaterialien und de Ausrüstung der Schulen, Zusammenlegung der Schulämter, Abschaffung der Pädagogischen Institute - das sind die "Wachstumsimpulse", die WK/SWR für den Bereich Bildung vorgegeben. Obwohl der Reallohnverlust der letzten Jahre der öffentlichen Bediensteten eingeräumt wird, will die Unternehmerschaft weiters "...die Angleichung der öffentlichen Kollektivverträge an die privaten Kollektivverträge."

Für den SWR und die Handelskammer bleibt kaum ein Haushaltskapitel tabu, außer die Direktsubventionen an die gewerbliche Wirtschaft. Hier ist den Unternehmern nur eine Straffung der Tourismusorganisationen, der übliche Bürokratieabbau und die Zusammenlegung von Landesabteilung zur Wirtschaftsförderung eingefallen. Dabei ist letzterer Posten quantitativ nicht so belanglos. Einschließlich Land- und Forstwirtschaft fließen immerhin 7,7% des Landeshaushalts für 2013, also 355 Mio Euro als Beiträge an die Unternehmen. Da kann es schon erstaunen, dass das Effizienzdenken der Unternehmerschaft bei diesem Kapitel plötzlich aussetzt. Denn dieses gegenüber den Nachbarregionen weit höhere Subventionsniveau ist noch nie einer echten Effizienzprüfung, sprich Wirksamkeitsanalyse, unterzogen worden. Im Gegenteil: man pocht auf Verfahrensvereinfachungen, mit "Bürokratieabbau" verbrämt, womit bereits heute unzureichende Kontrollen weiter zu reduziert werden sollen. Dabei gäbe es bei den Subventionen echtes Sparpotenzial ohne Wachstumsverluste. Beispiel: die Subventionen an die Hotellerie waren bis 2012 3 Jahre ausgesetzt, die Branche wuchs munter weiter, kein Zeichen von Krise. Zum heurigen Wahljahr sind dennoch rechtzeitig wieder 38 Mio. Euro an Beiträgen freigegeben worden. Der Mitnahmeeffekt ist evident.

Natürlich bringt die Reformagenda auch eine Reihe interessanter und sinnvoller Sparmaßnahmen, die aufzeigen, wo beim Land in den Jahren finanzieller Fülle der Blick für Sparsamkeit abhanden gekommen war. Doch bleibt sie den Nachweis schuldig, warum gerade Sparen bei Bildung, Sozialleistungen und Gesundheitswesen Wachstum bringen sollen und warum ein derartig erkauftes Wachstum für die Bevölkerung wünschenswert sein sollte. Schließlich: überall sieht die Handelskammer Sparmöglichkeiten außer bei sich selbst. Denn der vom Regionalrat für 2013 gekürzte Millionenbeitrag an das mit Rücklagen gut dotierte Haus ist soeben bei der Hintertür wieder eingeführt worden. Auch die einzelnen Unternehmerverbände - sonst so rationalisierungswütig - denken nicht daran, bei den Beträgen des Landes für ihre eigene Jahrestätigkeit zu sparen, mit welchen sie die Südtirol-weite Kampagne für diese "Reform-Agenda" mitfinanziert haben. Man darf gespannt sein, ob Gewerkschaften und AFI dieser "Reformagenda" etwas entgegensetzen.

Thomas Benedikter

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Martin Daniel Sat, 05/25/2013 - 20:45

Mit Sicherheit haben Gewerkschaften und AFI dieser PR-Offensive nicht dieselben Mittel entgegenzusetzen... Kompliment für die messerscharfe Analyse!

Sat, 05/25/2013 - 20:45 Permalink
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Michael Bockhorni Tue, 05/28/2013 - 09:01

hier fehlt es den interessensvertretern der wirtschaft an sachkenntnis, die vorhandenen effektivitäts- und effizienzpotentatiale im sozial- und bildungsbereich zu erkennen (die tatsächlich da sind) stattdessen schwingen sie wie üblich die "rasenmäherkeule". umgekehrt reagiert die wirtschaft recht zaghaft auf die reformagenda gemeinwohökonomie u.ä.

Tue, 05/28/2013 - 09:01 Permalink
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Frank Blumtritt Sat, 06/01/2013 - 19:28

Als Führungskraft im Gesundheitswesen habe ich den entsprechenden Teil der Agenda überflogen. Was da steht ist entweder bereits längst erkannt, geplant, oder auch umgesetzt, oder es ist unrealistisch (wir gehören - Gott sei dank - zum steuerfinanzierten nationalen Gesundheitsdienst). Da lese ich doch lieber Micky Maus und die Agenda von Dagobert Duck...

Sat, 06/01/2013 - 19:28 Permalink